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Am Herzen der Dinge - Regierungsmacht im Internet | |
Wienand Gellner & Fritz von Korff (Hg.) Internet und Demokratie, Nomos Verlag: Baden-Baden, S. 55-77, 1998. Jeanette Hofmann , 5/98
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"If the Internet stumbles, it will not be because we lack for technology,
vision, or motivation. It will be because we cannot set a direction and march
collectively into the future." (Leiner et al. 1997) Charisma sei weniger eine persönliche Eigenschaft als ein Zeichen von "being near the heart of things", schrieb Clifford Geertz in Anlehnung an Edward Shils (Geertz 1983, 123). Die anhaltende Beschäftigung mit charismatischen Erscheinungen verdankt sich auch ihrer politischen Bedeutung. Max Weber hatte der charismatischen Autorität den Status einer zwar "außeralltäglichen", doch genuinen Herrschaftsform zuerkannt (Weber 1972, 140ff.). Wo Weber charismatische Aura allein Personen vorzubehalten schien, spürte Shils sie auch in gesellschaftlichen Institutionen auf. Charisma werde in Institutionen "ansässig" in Gestalt von zentralen, ja lebenswichtigen Normen und Überzeugungen - und dort denjenigen Menschen zuteil, die diese Normen repräsentieren oder verantworten, kurz: die glaubhaft reklamieren, dem Herzen der Dinge nahe zu stehen (Shils 1965). Verfügt das Internet über Strukturen oder Institutionen, die zentral, ordnungsmächtig und außeralltäglich genug sind, um ihnen einen charismatischen Charakter zuzusprechen? Haben sich im Netz Formen politischer Autorität manifestieren können und wie treten sie gegebenenfalls in Erscheinung, wie und worüber regieren sie? Dieser Beitrag dreht sich im wörtlichen Sinne um die Frage, ob der digitale Kommunikationsraum eine binnenpolitische Dimension hervorbringt und, sofern man diese Frage bejaht, wie sich diese charakterisieren läßt.
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1 Internet und Politik | |
1.1 Drei Lesarten des Politischen | |
Im Zuge der wachsenden gesellschaftlichen Durchdringung des Internet
haben sich die Sozialwissenschaften auch der politischen Bedeutung des Internet
zugewandt. Die einzelnen Beiträge zu diesem Thema zeigen allerdings,
daß sich unter dem Rubrum 'Internet und Politik' verschiedene,
untereinander nicht immer anschlußfähige Fragestellungen versammeln.
Derzeit kursieren mindestens drei unterschiedliche Lesarten dessen, was denn
das Politische am und im Netz ist. 1. Politik vermittels Internet: Die größte Aufmerksamkeit scheint sich zur Zeit auf die Erkundung der Einflußmöglichkeiten zu richten, die das Internet im Rahmen der politischer Partizipation bietet. Zur Diskussion steht hier einerseits, ob das Internet den Menschen auf wirksamere, direktere Weise politisches Gehör zu verschaffen vermag als herkömmliche Partizipationsformen und andererseits, ob das elektronische Kommunizieren neue Modi der politischen Artikulation erzeugt. Electronic town halls, community networks oder Bürgernetze sind aktuelle Beispiele für medial vermittelte Formen politischer Organisation, die allerdings bereits auf eine längere Geschichte zurückschauen können (vergl. dazu Hagen 1996; Wagner & Kubicek 1996; London 1994). Gemeinsam ist den verschiedenen Modellen elektronischer Demokratie, daß sie in der technischen Infrastruktur einen bloß instrumentellen Charakter sehen. Von politischem Interesse sind die Effekte des Internet, nicht seine Konstitution. 2. Internet als Gegenstand von Politik: Eine große Rolle spielt die technische Konstitution des Netzes dagegen aus der politischen Regulierungsperspektive. In nahezu allen Staaten, die über einen Zugang zum Internet verfügen, scheint über kurz oder lang ein Nachdenken darüber einzusetzen, wie der unkontrollierte, grenzüberschreitende Datenfluß der nationalen Gesetzgebung unterworfen werden kann. Dabei geht es um Jugendschutz und Verbrechensverfolgung, um Urheber- und Datenschutz und künftig wohl immer häufiger auch um fiskalische Besteuerung. Die Debatte, die sich angesichts der zunehmenden Initiativen zur Verrechtlichung des "rechtsfreien Raums" entwickelt, beschäftigt sich interessanterweise gerade nicht mit dem Für und Wider staatlicher Interventionen, sondern mit den Konsequenzen ihrer geringen Erfolgsaussichten. Wenn sich in einem offenen Datennetz von globalem Ausmaß nationale Gesetze nicht durchsetzen lassen, worin bestehen die Alternativen? Kann sich das Internet selbst regieren? Eine im Ton dramatisch ausgefallene Antwort auf die Governancefrage hat John Perry Barlow vorgelegt: "Governments of the Industrial World, you weary giants of flesh and steel, I come from Cyberspace, the new home of Mind. On behalf of the future, I ask you of the past to leave us alone. You are not welcome among us. You have no sovereignty where we gather", heißt es einleitend in Barlows "Declaration of the Independence of Cyberspace" (Barlow 1996; vergl. auch Johnson & Post 1997a; 1997b; Lenk 1997; Loader 1997; Reidenberg 1997; Baer 1996). 3. Politik im Internet: An das Problem der Regulierung des Internet knüpft die Frage nach binnenpolitischen Organisationsformen im Netz unmittelbar an. Gleichwohl muß man diese Perspektive auf Internet und Politik wohl als verhangenste, weil noch am wenigsten entwickelte Konzeption bezeichnen. Scheint bei den anderen beiden Ansätzen auf der Hand zu liegen, welche Akteure und Sachverhalte das Etikett des Politischen verdienen, läßt die These einer binnenpolitischen Dimension des Internet dies offen. Unklar oder kontrovers ist nicht nur, was im Netz als politisch definiert werden könnte, sondern ebenso, wer darüber in welcher Weise zu entscheiden hätte. So besteht zwar inzwischen weitgehend Einigkeit darüber, daß der interaktive Charakter des Internet raumgenerierend wirkt und neue Formen medial bzw. technisch vermittelter Sozialität begründet (Hoffmann 1998), die politische Konstitution dieser neuen Welt der "digerati" aber ist bislang relativ wenig ausgeleuchtet. Auch in unserem Forschungsprogramm wurde die Existenz einer politischen Sphäre im Netz eher behauptet als systematisch ausgearbeitet (Helmers, Hoffmann & Hofmann 1996). Worin liegen die Gründe für diese Leerstelle? Eine naheliegende Erklärung läuft natürlich auf die Nicht-Existenz des Gegenstandes hinaus. So schließen einige Beobachter aus dem offenen Charakter des Netzes auf seine Untauglichkeit als Ort politischer Entscheidung. Die Stoff- und Grenzenlosigkeit des Internet mache die Etablierung politischer Autorität unmöglich (vergl. Poster 1997). Die geringen Eintritts- und Austrittskosten qualifizierten das Netz wohl als Stätte der Kommunikation, nicht aber für das, was Politik definiere, nämlich "das Treffen verbindlicher Entscheidungen" (Rilling 1997a; b; vergl. auch Koch 1996). Dem läßt sich entgegenhalten, daß bereits der bloße Betrieb des Internet Elemente einer Ordnung hervorgebracht hat, die verbindliche Entscheidungen nicht nur ermöglichen, sondern sogar verlangen (Gillet & Kapor 1997, 3). Allerdings, und das scheint sie als Kandidaten für eine politische Rolle von vorne herein zu disqualifizieren, unterscheiden sich die Akteure und auch die Techniken, die im Internet für Ordnung sorgen, erheblich von denjenigen, die an den "konventionellen Austragungsorten" (Eley 1994) von Politik anzutreffen sind. Ein Grund für die Vorbehalte gegen die Idee einer binnenpolitischen Dimension des Internet mag mithin auch darin liegen, daß sich der vorherrschende Politikbegriff wieder stärker auf das verengt hat, was Lefort als seine nationalstaatlichen Organisations- und Repräsentationsformen bezeichnet. Politisch ist demnach das, was in jener Sphäre stattfindet, "which appear to be political, as distinct from other spheres which appear to be economic, juridical, and so on" (Lefort 1988, 11).[2] Tatsächlich eignen sich die in der politikwissenschaftlichen Forschung gängigen Definitionen des Politischen nur bedingt für die Erfassung virtueller sozialer Ordnungen, so sehr sind sie den gesellschaftlichen Kontexten verhaftet, die sie hervorgebracht haben. In erster Linie betrifft das den nationalstaatlichen Bezug des modernen Politikbegriffs. Mehr oder minder ausdrücklich findet sich darin die Annahme territorialstaatlich verfaßter Gesellschaften mit expliziten Regeln der Mitgliedschaft, der Willensbildung und Repräsentation unter diesen Mitgliedern wieder (vergl. Taylor 1994). Das Internet erfüllt offenkundig keine dieser Bedingungen. Im Gegensatz zum territorial definierten Nationalstaat bestimmt sich die Zugehörigkeit zum digitalen Raum gerade nicht geographisch. Weder gibt es eine eingrenz- oder gar identifizierbare "constituency", noch verfügt das Internet über eine der Figur des Rechtsstaats vergleichbare Sanktionsmacht, die Regeln und Entscheidungen netzweit Geltung verschaffen könnte. Im Gegensatz zum Staat als Prototyp des politischen Verbandes begnügt sich das Internet nämlich mit einem Minimum allgemein verbindlicher Normen. Deren Kern bildet ein technisches Regelwerk namens Internet Protocol (IP). Dabei handelt es sich sozusagen um die Muttersprache des Netzes, die jeder Rechner kennen muß, um am allgemeinen Datenaustausch teilnehmen zu können. Von der Anerkennung solch grundlegender technischer Konventionen abgesehen stellt die offene, dezentrale Struktur des Internet den Umgang mit seinen Ressourcen ins Belieben der Nutzer. Selbst architektonische Veränderungen oder die Etablierung neuer Dienste sind auf die aktive Zustimmung der Teilnehmer im Netz angewiesen, denn eine Welt ohne Zentrum und Hierarchie muß auch ohne Anordnungen von oben auskommen.[3] Der Einwohner des Cyberspace, so läßt sich daraus schließen, erinnert eher an den umherstreifenden Flaneur als an den mit Rechten und Pflichten ausgestatteten Staatsbürger. Mangelnde Paßfähigkeit zwischen Politikbegriff und Netzwelt zeigt sich noch in einer weiteren Hinsicht. Das Internet ist ein technisch konstituierter Raum. Alles Handeln darin ereignet sich in Form von digitalen Datenflüssen, die bestimmten Konventionen gehorchen. Definitionen des Politischen, die, wie etwa explizit bei Patzelt, auf verbindliche Regelungen und Entscheidungen allein zwischen Menschen orientieren, erklären die gesellschaftliche Ordnungsmacht, die von den Regeln moderner Dingtechnologien ausgeht, faktisch für politisch irrelevant (Patzelt 1992). Was für technische Systeme im Allgemeinen gilt, trifft für die Virtualität des digitalen Raums erst recht zu. "Sozialität in virtuellen Welten", notiert Paetau für die Soziologie, "ist zweifellos ein neuartiges Thema, das schon als Frage mit einigen Grundansichten des Faches kollidiert" (Paetau 1997, 104f.). Legt man also die bekannten Kriterien zur Identifikation politischen Handelns zugrunde, so kommt man kaum umhin, dem Internet strukturbedingte Politikunfähigkeit zu bescheinigen. Oder aber man hält nach einem weniger substantiellen Politikbegriff Ausschau. In gewisser Hinsicht befindet sich die Beobachterin des Internet damit in einer ähnlichen Lage wie einst die Anthropologen bei der Erkundung afrikanischer Stammesgesellschaften. Colson zufolge stießen sie dort auf Organisationsformen, denen sie wohl eine politische Qualität zuerkennen mochten, ohne dafür jedoch über ein geeignetes konzeptionelles Instrumentarium zu verfügen: "Political science had no convenient framework for dealing with such [seemingly amorphous stateless societies; J.H.]" (Colson 1968, 191). Und während sich die Politikwissenschaft auf die Analyse solcher Institutionen konzentriert habe, die sie eigens als politisch definiert hatte, habe sich die politische Anthropologie statt dessen auf das Identifizieren politischer Gruppen und ihrer Praktiken verlegt. Was die eine Disziplin somit als gegeben voraussetzte, wurde der anderen zum Forschungsgegenstand, nämlich die Frage nach der spezifischen Gestalt politischer Organisation (Colson 1968, 189; vergl. auch Giddens 1984, 34). Angesichts der exterritorialen, außerstaatlichen Konstitution des Internet stellt sich folglich die Frage, ob sich eine Konzeption finden läßt, die offen genug wäre, um Elemente einer politischen Dimension auffindbar und beschreibbar zu machen. Dies führt zurück zur Eingangsbemerkung über den Charismabegriff.
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1.2 Insignien politischer Autorität | |
Das Konzept der charismatischen Autorität hat den Charme und zugleich das
Problem einer gewissen Luftigkeit. Shils verstand darunter eine Qualität,
die Menschen, Orten und Institutionen für ihre "order-creating,
order-disclosing, order-discovering power" zugesprochen wird (Shils 1965, 204).
Gewinnen läßt sich daraus ein Wegweiser zu den Insignien politischer
Macht im Netz. Geertz umschreibt Orte politischer Bedeutsamkeit als "active
centers of social order", wobei das Zentrale dieser Orte weniger geographisch
als metaphorisch zu verstehen sei. Es handelt sich um "concentrated loci of
serious acts; they consist in the point or points in a society where its
leading ideas come together with its leading institutions to create an arena in
which the events that most vitally affects its members' lives take place"
(Geertz 1983, 122f.). Welches die führenden Ideen und Institutionen einer
Gesellschaft sind, die Handlungsweisen bedeutsam und Orte zentral erscheinen
lassen, das läßt sich aus den geschriebenen Regeln einer
Gesellschaft allerdings nur bedingt herauslesen. Autorität und Bedeutung
müssen vielmehr behauptet und zum Ausdruck gebracht werden, sie
bedürfen der symbolischen Markierung: "At the political center (...) there
is both a governing elite and a set of symbolic forms expressing the fact that
it is in truth governing. (...) They [the elite, J.H.] justify their existence
and order their actions in terms of a collection of stories, ceremonies,
insignia, formalities, and appurtenances (...) It is these - crowns and
coronations, limousines and conferences - that mark the center as center and
give what goes on there its aura of being not merely important but in some odd
fashion connected with the way the world is built."( Geertz 1983, 124) Geertz' kulturalistischer Zugriff auf Politik lenkt die Aufmerksamkeit auf solche Orte und Ereignisse im Internet, die die Aura wahrer Bedeutsamkeit ausstrahlen. Eine Bedeutsamkeit, die, um im Bild von Geertz zu bleiben, daraus schöpft, daß sie sich in irgendeiner Weise auf die Konstitution des Internet selbst berufen kann. Offen läßt diese Annäherung an politische Autorität, worin das Herz der Dinge besteht und welche Personen und Handlungsweisen sich darum gruppieren. Das Augenmerk liegt weniger auf der Substanz als auf solchen symbolischen Zeichen, die die Ideen, Institutionen und Praktiken erst den Charakter des Politischen verleihen: "Thrones may be out of fashion, and pageantry too; but political authority still requires a cultural frame in which to define itself and advance its claims, and so does opposition to it." (Geertz 1983, 143) Das Reservoir gewichtiger Gepflogenheiten und Ornamente, aus dem sich die Manifestation politischer Autorität speist, unterliegt nicht nur zeitlichem, sondern auch kulturellem Wandel. In diesem Sinne wird man damit rechnen dürfen, im Internet auf andere Sitten und Zeremonien zu stoßen als beispielsweise in einer Bundeshauptstadt. Bleibt die Frage, wo sich im dezentralen, stofflosen Internet Ideen und Institutionen zu ernsthaftem, ordnungserzeugendem Handeln verbinden. Wer könnte Anspruch auf allgemeine Autorität im Netz erheben, wer von sich behaupten, dem Herz der digitalen Welt nahe zu sein? Tatsächlich gibt es im Internet eine Institution, der nachgesagt wird, "rule making power" zu besitzen und damit zu erfüllen, was als "basic functions required by Internet governance" bezeichnet werden könnte (Gould 1997, 48). Baer hält sie für das derzeit beste Beispiel für Formen von "nongovernmental governance" (Baer 1996, 542). Für ihre "historically important and ongoing role" in Bezug auf Internet Governance ist sie dieser Tage sogar mit einem Preis ausgestattet worden.[4] Interessanterweise handelt es sich bei dem Träger von Regierungsgewalt im Internet um eine Gruppierung, die gemäß landläufiger Definitionen wenig und ihrem Selbstverständnis nach ausdrücklich gar nichts mit Politik zu tun hat. Im Gegenteil, politisches Denken erscheint ihr nachgerade als Antithese zu ihrer eigenen intellektuellen Kultur. Dieser Abgrenzung zur Politik zum Trotz beansprucht sie heute eine zentrale Rolle in der Regulierung des Netzes. Die Rede ist von der Internet Engineering Task Force, kurz IETF. Die IETF ist eine sich überwiegend aus Ingenieuren zusammensetzende Organisation, die sich mit der technischen Entwicklung des Internet befaßt. Im Vordergrund steht die Entwicklung neuer Verfahren zur Datenübertragung wie etwa die derzeit aktuelle "Internettelefonie". Technikentwicklung für das Internet ist gleichbedeutend mit Standardentwicklung. Denn nur was als Norm vorliegt, kann von verschiedenen Herstellern produziert und netzweit verwendet werden. Ist die IETF also eine herkömmliche Standardisierungsorganisation? Und was wäre daran charismatisch? Die IETF geht auf eine kleine, handverlesene Gruppe von amerikanischen Studenten zurück, die Ende der 60er Jahre damit begannen, technische Regeln für einen neuen Typ der Datenübertragung zu entwickeln: das Paketvermittlungsprinzip.[5] Seit es die IETF in ihrer Urform als studentische Arbeitsgruppe gibt, ist sie in einem Prozeß beständigen Wachstums begriffen. Bis zur Privatisierung des Internet expandierte sie vorwiegend innerhalb der akademischen Community. Unter der Aufsicht ihrer Sponsoren ARPA (Advanced Research Projects Agency, eine Forschungsförderungseinrichtung des Amerikanischen Verteidigungsministeriums) und später NSF (National Science Foundation) entstand so eine neue, eigenständige Technikergemeinde, die sich alsbald zur Konkurrenz der offiziellen technischen Normungswelt entwickelte (vergl. Hafner & Lyon 1996; Salus 1995). Seit der Privatisierung des Internet hat sich nicht nur die Expansion der IETF erheblich beschleunigt, sondern auch ihre personelle Zusammensetzung deutlich verändert. Begannen die offiziellen Versammlungen der IETF im Jahr 1986 mit 15 Teilnehmern, sind sie inzwischen auf über 2000 angewachsen (RFC 1718). Heute ist die Mehrheit der Mitglieder nicht mehr an Universitäten, sondern in Unternehmen beschäftigt. Bei der "industry" rund um das Internet handelt es sich um Hersteller von Hardware und Software für den Netzbetrieb, aber auch um Provider und Dienstanbieter. Die eigentliche Entwicklung von Internet Standards findet nicht während der Treffen statt, sondern im Netz. Jede der derzeit knapp 100 Arbeitsgruppen unterhält ihre eigene Mailingliste. Sie bilden die wichtigsten Arbeitsstätten der IETF (vergl. Hofmann 1998). Das Internet wird somit ganz überwiegend im Internet weiterentwickelt, und die IETF betrachtet sich als das "aktive Zentrum" dieses Vorgangs. Ihre Rolle im Netz, die Geschichte, in der sie gründet und die Ziele, die sich mit ihr verbinden, thematisieren eine wachsende Zahl von Texten, die die IETF über sich selbst und über das Internet verfaßt. Zusammen mit Auszügen aus Interviews werden sie im folgenden über den Gegenstand und die Form von Governance im Internet befragt.[6]
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2 Governance im Internet I: Symbolische Formen | |
2.1 T-Shirts, Shorts und Sandalen: Regierungskultur im Internet | |
Wer erwartet hatte, der Betrieb und die Weiterentwicklung des weltweit
größten offenen Datennetzes lägen in den Händen einer
internationalen Organisation - eines privaten Konsortiums oder einer
öffentlichen Einrichtung, einer rechtsförmigen Körperschaft
jedenfalls -, die einem Auftrag folgt und einer Legitimationspflicht
unterliegt, wird sich verwundert die Augen reiben. Die IETF entspricht nichts
von alledem. Weder verfügt sie über einen rechtlichen Status, noch
über verbindliche Mitgliedschaftsregeln. Die IETF versteht sich vielmehr
als lose, jedem Interessierten offenstehende Assoziation von Freiwilligen. In
"The Tao of the IETF: A Guide for New Attendees of the Internet Engineering
Task Force"[7] heißt es dazu:
"What is the IETF? Selbst für nicht-governmentale Formen öffentlicher Autorität präsentiert sich die IETF erstaunlich informell und ihre Organisationsgrenzen bemerkenswert durchlässig. So wird zwar unmißverständlich darauf hingewiesen, daß sich die IETF als zentrales Organ für die Weiterentwicklung des Internet betrachtet, unklar bleibt jedoch, wer sich nicht zu diesem Forum zählen darf. Bescheiden stellt sich die IETF als bloß lose organisierte Gruppe von Freiwilligen dar, die offen ist für alle, die an der Verwirklichung ihrer "mission" mitwirken wollen. Der hohe Grad der Inklusivität findet sich auch in anderen Selbstbeschreibungen wieder, etwa in den Statuten der Arbeitsgruppen, aus denen sich die IETF zusammensetzt: "Anyone with the time and interest to do so is entitled and urged to participate actively in one or more IETF Working Groups and to attend IETF meetings which are held three times a year. In most cases active Working Group participation is possible through electronic mail alone." (RFC 2028) Die Gemeinde stellt es ins Belieben der Interessenten, sich zugehörig zu fühlen - wozu explizit jeder eingeladen ist. Und um niemanden auszuschließen, der an den (mehrheitlich in den USA stattfindenden) Tagungen der IETF nicht teilnehmen kann, werden abschließende Entscheidungen dem elektronischen Votum der Mailinglisten vorbehalten. Öffentlich zugänglich, d.h. für jeden "abonnierbar", sind im übrigen nicht nur die Listen selbst. Auch in den elektronischen Archiven lassen sich die Diskussionen der Arbeitsgruppen Jahrgang für Jahrgang und Beitrag für Beitrag nachlesen. Die große Integrationsbereitschaft der IETF verhallt nicht ungehört. Die Verschriftlichung der Regeln und Riten im "Tao" rührt auch daher, daß die Anzahl der Neulinge auf jeder Tagung der IETF rund ein Drittel der Anwesenden beträgt, ja, zeitweilig sogar 50% erreicht hatte. Angesichts solcher Wachstumsraten war an eine allein mündliche Überlieferung von Traditionen und Gepflogenheiten der Internetgemeinde nicht mehr zu denken. Durchleuchtet man diese erste Einführung in das Innenleben der IETF nach informellen Grenzziehungen gegenüber der Außenwelt, so wird man durchaus fündig - allerdings in einem Bereich, dem man identitätsstiftende Bedeutung wohl zu allerletzt zugetraut hätte. Die Rede ist von der Kleiderordnung der IETF. Was keine Rolle spielt, solange man per elektronischer Post kommuniziert, wird offenbar zur klärungsbedürftigen Frage wenn sich die Internetcommunity in stofflicher Umgebung trifft. Was zieht man an und was besser nicht? Das "Tao" teilt dazu mit:
"Dress Code Im Gewand des Scherzes kommt daher, was im Grunde doch bloß eine alte Tradition fortsetzt. Gemäß der Formel "um angemessene Kleidung wird gebeten" ergeht an die Neulinge die Aufforderung, die Kleidungssitten der Internetgemeinde zu beachten. Im Interesse einer Vermeidung von Blamagen wird vom Anzug als Tagungskleidung nachdrücklich abgeraten. Tatsächlich trägt die große Mehrheit der Internetgemeinde T-Shirts und Turnschuhe während der Versammlungen. Und die Bedeutung dieses Kleidungsrituals ist groß genug, um Abweichungen zu registrieren und anekdotisch zu kommentieren.[8] Welche T-Shirts auf den Tagungen der IETF getragen werden, ist keineswegs beliebig. Das legt schon die beeindruckende Bandbreite der Botschaften, Bekenntnisse und Scherze nahe, die innerhalb der fünftägigen Versammlung geboten wird. Viele Teilnehmer stellen für jede Tagung der IETF eine sorgfältige Kollektion zusammen. Das jedenfalls ergab eine informelle Umfrage auf der Versammlung im Dezember 1997. T-Shirts fungieren als eine Art Ausstellungsfläche, über die sich kommunizieren läßt. Auf den ersten Blick wirkt die T-Shirt-Kultur der IETF wie eine Umkehrung der Kleidungszeremonien, mit denen den "loci of serious acts" einer Gesellschaft üblicherweise die Ehre erwiesen wird. Statt den metaphorischen Kronen und Limousinen bevorzugt die Internetgemeinde Massenware, darunter gerade auch kostenlos erhältliche Konferenz- und Werbe-T-Shirts.[9] Die Kleiderordnung der IETF unterscheidet sich zwar unübersehbar im Stil, nicht aber in der Bedeutung, die sie für andere Entscheidungseliten besitzt. Auch T-Shirts drücken Zugehörigkeit aus. Auch sie spiegeln symbolisch wider, was als gruppenkonstituierend gilt. Die kulturellen Formen und Zeichen, mit denen Regierungsmacht im Internet zum Ausdruck gebracht wird, sind durchaus nicht beliebig. Mehr oder minder direkt spielen sie auf das Herz der Dinge an, dem die IETF sich verbunden weiß. Und in diesem Sinne erweist sich ihre so betont informelle und inklusive Selbstdarstellung fast wie ein Abbild der Skizze, die sie vom Internet entwirft.
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2.2 Portraits von Verwandten: Die Internetarchitektur und seine Gemeinde | |
Was das Internet ist, läßt sich sehr verschieden beschreiben.
Unlängst erschien in der Publikationsreihe der IETF ein Text, der sich
ausschließlich mit der Vielzahl kursierender Definitionskriterien
beschäftigt.[10] Zustimmung findet
schließlich ein kleiner Satz von Eigenschaften, der in dieser oder
ähnlicher Form in vielen Dokumenten der IETF zu finden ist:
"The Internet, a loosely-organized international collaboration of autonomous, interconnected networks, supports host-to-host communication through voluntary adherence to open protocols and procedures defined by Internet Standards. There are also many isolated interconnected networks, which are not connected to the global Internet but use the Internet Standards." (RFC 2026)
Aus Sicht der Internetgemeinde wird das Internet durch ein Bündel von Standards konstituiert, das es autonomen Netzwerken ermöglicht, untereinander Daten auszutauschen. Drei Eigenschaften der Internet Standards finden Erwähnung. Sie unterstützen die direkte Interaktion zwischen den Endpunkten (hosts) im Netz; sie sind offen und können daher nach Belieben auch für den Betrieb privater Netze unabhängig vom Internet genutzt werden; und ihre Verwendung ist freiwillig. Es steht jedem offen, sich für andere Verfahren der Datenübertragung zu entscheiden. Vergleicht man dies knappe Portrait des Internet mit den Beschreibungen, die die IETF von sich selbst vorgelegt hat, zeichnen sich deutliche Parallelen ab: Nicht nur die Internetgemeinde, auch das Internet wird als bloß lose assoziiertes und auf Freiwilligkeit gründendes Gebilde vorgestellt. Weitere Verwandtschaften zeigen sich in der Offenheit und der Inklusivität ihrer Organisationsweisen. Wie in der IETF kann auch im Internet zumindest prinzipiell jeder mitmachen. Es gibt keine formale Grenzziehung nach außen, wie man sie etwa von den territorial organisierten Telefonnetzen kennt. Im Gegenteil, ein wesentliches Designziel der Internetstandards lautet "Konnektivität". Und da es sich um offene, frei zugängliche Standards handelt, begibt sich die IETF faktisch jeder Kontrolle über die Art ihrer Nutzung. Die Organisationsprinzipien von Internetgemeinde und Internetarchitektur scheinen der gleichen Formsprache zu folgen. Sie erwecken den Eindruck einer gemeinsamen Kultur, in der sich technische und organisatorische Ordnungsmuster wechselseitig reflektieren und begründen. Die Affinität zwischen Netz und Netzgemeinde wirft auch ein neues Licht auf das verschwommene Erscheinungsbild von Governance im Internet. Was zunächst als amorphe Assoziation von Regierungsmacht anmutet, erfährt im Spiegel eines erfolgreichen Netzmodells eine konkrete Bedeutung. Wenn das Internet seine augenblickliche Überlegenheit gegenüber anderen Netzarchitekturen aus seiner Offenheit und Dezentralität bezieht, verbürgen diese Prinzipien dann womöglich auch in der Regulierung und Standardentwicklung Erfolg? Die selbstsichere Gelassenheit und gelegentliche Koketterie, mit der die IETF ihre kulturelle Andersartigkeit - und damit einhergehend: ihre Opposition zum offiziellen internationalen Standardisierungsestablishment - kundtut, beruft sich auf eine Art kongenialer Verbundenheit mit dem Internet. IETF und Internet statten sich wechselseitig mit einer Aura des Besonderen, Außeralltäglichen und Unvergleichlichen aus: "We say", so lautet das schlußendliche Fazit jener Autoren, die sich anschickten, das Internet zu definieren, "the Internet is the Internet, not the same as anything else." (RFC 1935) Mit den Händen greifbar wird die zelebrierte Homologie zwischen Netztechnik und Netzorganisation in den Gedichten, Anekdoten und Geschichten, die der Entstehung des Internet gedenken.
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2.3 Internetgeschichtsschreibung - Let links be built; machines and men be paired! | |
"Yes, the history is legend and the pioneers are here", heißt es in einem
der Gedichte anläßlich einer Geburtstagsfeier für den ersten
Netzknotens, der das ARPANET, den Vorläufer des Internet, begründete
(Kleinrock 1989a). Die Entstehungsstunde von ARPANET und
Paketvermittlungstechnologie in Leonard Kleinrocks Labor an der University of
California Los Angeles zählt heute zu den epochalen Ereignissen auf dem
Weg zum Internet. Rund um die Uhr hatte sie gearbeitet, die "remarkable group"
(Kleinrock 1997), an jenem Wochenende im September 1969, um
auftragsgemäß eine erste Datenübertragung zu erreichen. Und
siehe da:
"We cautiously connected and the bits began to flow. ...und mit ihm zugleich die "community which is now the Internet" (Kleinrock 1997). Im Rückblick fallen die Geburtsstunde und auch die Kindheit von Internet und seiner Gemeinde zusammen. Mit jeder neuen Universität, die zum Netzknoten des ARPANET wurde, wuchs auch der "brain trust" aus Studenten, die sich an seiner weiteren Entwicklung beteiligten. Im Jahr 1969 trug sich neben der ersten geglückten Datenübertragung ein weiteres Ereignis zu, das die Geschichtschreibung inzwischen zur Legende verklärt hat: die Entstehung der RFCs (Request for Comments), der wichtigsten Publikationsreihe der IETF. RFCs, zunächst als reguläre Briefe mit der Post verschickt, waren ursprünglich als informelles Diskussions- und Informationsorgan gedacht: "The basic ground rules were that anyone could say anything and that nothing was official." (RFC 1000) Heute sind sie Symbol für den öffentlichen Austausch von Ideen und die Technikentwicklung im Kollektiv. Aus den Beiträgen, die als "Bitte um Kommentare" verschickt wurden, gingen später unter anderem die "Internet Standards" hervor, die bis heute als RFCs veröffentlicht werden (vergl. dazu RFC 2026 u. 1796). Eine besondere Bedeutung rankt sich um den ersten RFC, der, angefertigt des nachts in einem Badezimmer, vorläufige Ergebnisse und offene Fragen der drei- bis vierköpfigen Diskussionsrunde aus "Abgesandten" der bereits vernetzten Universitäten rekapitulieren sollte. Request for Comments nannte der Autor Steve Crocker sein Werk, um nicht "deklarativ" zu klingen (RFC 1000). Mit diesem Impetus ausgestattet, strahlte bereits die erste Bitte um Kommentare aus, was so prägend für das Selbstverständnis der Internetgemeinde werden sollte:
"When you read RFC 1, you walked away from it with a sense of , 'Oh, this is a club that I can play in too. (...) It has rules, but it welcomes other members as long as the members are aware of those rules. (...) I did not feel excluded by a little core of protocol kings. I felt included by a friendly group of people who recognized that the purpose of networking was to bring everybody in." (Brian Reid, zit. n. Hafner & Lyon 1996, 145)
Der erste RFC diskutierte die Frage "what hosts would say to each other" (RFC 1000), um eine Verbindung untereinander herzustellen. Bis heute übliche Prinzipien des Verbindungsaufbaus werden darin skizziert. Die freundliche Atmosphäre des Dokuments rührt wohl auch daher, daß es gar keine "Protokoll-Könige" gab, die sich exklusiv verhalten konnten. Der RFC gibt vielmehr die Ideen und Gedankenexperimente einer Studentengruppe wieder, die sich über den späteren Stellenwert ihres Tuns überhaupt nicht im klaren war. Im Gegenteil, die "Network Working Group" verstand sich als eine bloß vorläufig sich selbst überlassene Initiative von Amateuren, die alsbald von den eigentlich Spezialisten des Faches abgelöst oder zumindest angeleitet werden würde. Aber die Gruppe der "true professionals" blieb aus, "and nobody came along, so we were sort of tentatively feeling our way into how we could go about getting the software up and running." (Cerf, zit. n. Salus 1995, 29) Die Zusammenarbeit von "exceptionell talented, devoted young men" (Hafner & Lyon 1996), die zwar ohne großen Plan, aber doch rund um die Uhr arbeiteten, um die jeweils unmittelbar anliegenden Probleme auf - wie sich dann im Nachhinein herausstellen sollte - technisch bahnbrechende Weise zu lösen, gehört nicht zufällig zum Standardrepertoire aller Entstehungsgeschichten des Netzes. Auch diese Episode aus der Gründungserzählung allegorisiert ein bis heute relevantes Bindeglied zwischen Netz und Netzgemeinde:
"...And for our part we worked and put to test Was die "Väter" des Netzes verband, war in erster Linie Interesse und Motivation, und was sie qualifizierte war eher Talent als wissenschaftliche Reputation. Handelte es sich doch überwiegend um angehende Ingenieure, die, weil sie selbst programmierten, die Machbarkeit ihrer exotischen Ideen sofort austesten konnten. Daß etwas nachweislich funktioniert, bevor es zur technischen Norm erhoben wird, ist später zum Markenzeichen von Internet Standards erklärt worden. "Lunchbags" und Rückseiten von Briefumschlägen, die einst als provisorische Schreibunterlage für technische Skizzen gedient hatten, verwandelten sich in Ikonen eines praxisnahen "community spirit", der das Funktionieren einer technischen Lösung höher bewertet als ihren Grad der Perfektion: "It doesn't have to be the best standard; it just has to be good enough to get the job done." (R.C.)[11] Daraus ergibt sich das Image vom Internet als evolutionär gewachsenes Produkt praktischen Könnens, das sich gegen die am Reißbrett entworfenen Modelle der Konkurrenz durchgesetzt hat. Zurückgeführt wird dieser Erfolg aber nicht allein auf seine technischen Qualität oder das Talent seiner Entwickler, sondern gerade auf die Verbindung von beidem:
"The Internet is as much a collection of communities as a collection of technologies, and its success is largely attributable to both satisfying basic community needs as well as utilizing the community in an effective way to push the infrastructure forward." (Leiner et al. 1997) Die Geschichte der IETF ist die Geschichte des Internet und umgekehrt, so kann man eine wesentliche Botschaft der Gründererzählungen zusammenfassen. Und um so länger die "humble beginnings" des Netzes zurückliegen, desto merklicher wird der Pathos, mit dem sie vorgetragen wird. Vermutlich sind solche rückblickend zutage beförderten harmonischen Entsprechungen zwischen Gründern und ihrem Werk keine Seltenheit. Denn indem Gründungsmythen die Vergangenheit ordnen, ermächtigen sie zugleich Handlungsprinzipien, die auf Gegenwart und Zukunft zielen. Die "collection of stories", die Geertz im Repertoire typischer Regierungssymbole ausmacht, erfüllen also einen praktischen Zweck. Sie begründen einen Regierungsanspruch und markieren zugleich, worüber regiert werden soll.
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3 Governance im Internet II: Das technische Manifest | |
3.1 Prinzipien und Glaubensbekenntnisse: Was konstituiert das Internet? | |
Unter der Architektur des Internet werden seine Ordnungsprinzipien verstanden,
genauer: jene Regeln, die die Form und topologische Position all der
Operationen bestimmen, die zusammen den Datenfluß bewerkstelligen. Wie
die Baukunst unterliegt auch die Netzarchitektur nahezu unbegrenzten
Möglichkeiten der Gestaltung. Diese Gestaltungsspielräume wiederum
bilden die Voraussetzung dafür, daß sich "Designhegemonien"
(Isenberg 1997) mitsamt ihren Gegenströmungen herausbilden, kurz:
daß die "richtige" Architektur eines Netzes zum Politikum werden kann. Solange die Internetgemeinde in überschaubarem Umfang wuchs, wurden die architektonischen Prinzipien des Internet - nicht anders als ihr Sittenkodex - hauptsächlich durch mündliche Überlieferung gewahrt. Inzwischen ist jedoch eine Tendenz zur Verschriftlichung auch der technischen Handlungsmaximen zu beobachten. Im Namen der Community hat das höchste Organ der IETF, das "Internet Architecture Board" (vergl. RFC 2028), eine Art technisches Manifest vorgelegt. Die "Architectural Principles of the Internet" geben programmatisch Antwort auf zwei Fragen: Wie sollte ein digitales Datennetz beschaffen sein und welches sind die Kriterien, an denen sich sein Wandel zu orientieren hat? Im Mittelpunkt steht "a small 'spanning set' of rules that generates a large, varied and evolving space of technology" (RFC 1958). Der Text läßt keinen Zweifel daran, daß es sich bei der Beschreibung der grundlegenden Formprinzipien des Internet um einen Drahtseilakt handelt. Nicht nur habe es eben den großen Designplan nie gegeben, weshalb von einer Architektur im Sinne eines kohärenten Ganzen keine Rede sein könne. Erschwerend kommt hinzu, daß der in rund 25 Jahren gewachsene Bestand technischer Konventionen einem kontinuierlichen Wandel unterliege: "Principles that seem sacred today will be deprecated tomorrow. The principle of constant change is perhaps the only principle that should survive indefinitely." (RFC 1958) Verkörpert das Internet einerseits ein heiliges, weil in seiner Überlegenheit unvergänglich anmutendes Regelwerk, soll es aber andererseits doch beständig zur Disposition gestellt sein. Um diese widersprüchliche Lage aufzulösen, wird die Erklärung zur Architektur des Netzes unter den Vorbehalt eines bloßen "Schnappschusses" gestellt.[12] Eröffnet wird die bloße Momentaufnahme dann mit einem Glaubensbekenntnis der Community:
"The community believes that the goal is connectivity, the tool is the Internet Protocol, and the intelligence is end to end rather than hidden in the network." (RFC 1958) Konnektivität, so lautet die Begründung für dieses zunächst eher trivial klingende Ziel, sei ein Wert an sich, der die Bedeutung einzelner Dienste überschreite. Als Schlüssel für die Realisierung dieses Ziels gilt das Internet Protocol. Dieses befördert Konnektivität durch seine Unabhängigkeit von der konkreten Netzwerkumgebung. Weder enthält es "Annahmen" über die physischen Medien und Maschinen, die zur Datenübertragung verwendet werden, noch über die Dienste, die es unterstützen soll. Die Toleranz gegenüber lokaler Heterogenität war ein vorrangiges Designziel von IP. Deshalb ist es universal einsetzbar. Bei den Telefonnetzen verhält sich das anders. Zum einen privilegieren sie die Übermittlung von Sprache (Isenberg 1997; Cowhey 1990); zum anderen beruht jedes Netz auf nationalen, häufig herstellerspezifischen Standards. Im Mobilfunk gibt es etwa noch heute keinen weltweit einheitlichen Übertragungsstandard. Konnektivität, so kann man daraus schließen, ist in der Telefonwelt nur ein Ziel unter anderen. Die zweite Differenz, auf die in dem Glaubensbekenntnis der Gemeinde Bezug genommen wird, betrifft die Allokation von Steuerungsmitteln im Netz. Aufgrund des Paketvermittlungsprinzips ist es möglich, die Kontrolle über den Datenaustausch an den Endpunkten des Internet, genauer: bei den Anwendungen, zu plazieren. Die dezentrale Architektur des Internet delegiert die "Intelligenz" an die Peripherie und beläßt dem Netz lediglich den Transport der "datagrams". In der Telefonwelt, in der für jedes Telefonat durchgehende Verbindungen zwischen den Kommunizierenden hergestellt werden, obliegen Verantwortung und Kontrolle darüber dem Netz. In den "Architectural Principles" wird zu diesen konträren Designphilosophien explizit Stellung bezogen. Die Architektur des Internet sei besser, heißt es, weil sie die richtige Arbeitsteilung zwischen Netz und Peripherie verkörpert:
"... datagrams are better than classical virtual circuits. The network's job is to transmit datagrams as efficiently and flexibly as possible. Everything else should be done at the fringes." (RFC 1958) Für die dezentrale Netzstruktur spricht aus Sicht der Internetgemeinde, daß der Datenfluß selbst dann nicht zum Erliegen kommt, wenn Teile des Netzes plötzlich ausfallen. Da der Datenaustausch von den kommunizierenden Diensten überwacht wird, lassen sich unterwegs auftretende Übertragungsfehler vom Nutzer unbemerkt beheben, indem die verlorengegangenen Datenpakete aufs Neue losgeschickt und für den Transport gegebenenfalls andere, intakte Routen gewählt werden. Diese fehlertoleranten, robusten Eigenschaften des Internet werden gelegentlich als Beleg für seinen militärischen Ursprung angeführt. Demnach sei das Internet mit Bedacht so konstruiert worden, daß es auch Bombenanschläge überstehen kann (kritisch dazu: Hafner & Lyon 1996, 10). Von anderer Seite ist der dezentralen Architektur des Internet dagegen eine anarchische Note attestiert worden. Denn was durch Militärschläge nicht restlos zerstört werden kann, zeigt sich auch gegenüber politischen Übergriffen vergleichsweise unempfindlich. Auf Zensurmaßnahmen, so lautet eine Redensart im Netz, reagiert der Datenfluß wie auf einen ausgefallenen Router, er macht einen Bogen darum. Für die IETF liegt die grundlegende, heilige Bedeutung dieser architektonischen Prinzipien jedoch nicht in dem, was sie politisch ermöglichen oder unterbinden. Für sie bildet Konnektivität einen Wert an sich: "They wanted to make sure everything was up and running", so beschreibt ein IETF-Mitglied das Anliegen der Internetarchitekten, "there is no inherent subversive social thinking behind it, it's just that these people think that this is the architecture." (E. H., Hervh. von J.H.) Diese Architektur ist es, die der IETF Programm ist. Mit ihr verbindet sich Definitionshoheit. Um sie gruppiert sich Regierungsmacht im Internet. Und entlang dieser Architektur bestimmt sich letztlich auch, wer dazugehört, zum Zentrum politischer Autorität im Netz. Als Teil der Gemeinde darf sich verstehen, wer sich ihr Glaubensbekenntnis zu eigen macht. Nicht förmliche Mitgliedschaftsregeln konstituieren die Organisationsgrenzen der IETF, sondern die Haltung zu ihren technischen Maximen. Eine aktive Mitarbeit in der IETF setzt voraus, daß man sich auf diese Maximen bezieht wie in der Politik aufs Grundgesetz - mit dem feinen Unterschied, daß die "Architectural Principles" ja offen für Veränderungen sind - im Prinzip jedenfalls. | |
3.2 Running code: Das Primat der Technik | |
Die zweite Frage, der sich die "Architectural Principles of the Internet"
widmen, gilt den Entwicklungsbedingungen des Netzes. Wer und was bestimmt den
Wandel des Internet? Die Antwort der IETF hierauf hat wiederum programmatischen
Charakter. Behauptet wird eine Vorrangstellung oder, wenn man so will: ein
Primat der Technik - und zwar nicht, wie man meinen könnte, in Gestalt der
dahinterstehenden Prinzipien, sondern in Gestalt von "running code":
"Fortunately, nobody owns the Internet, there is no centralized control, and nobody can turn it off. Its evolution depends on rough consensus about technical proposals, and on running code. Engineering feed-back from real implementations is more important than any architectural principles." (RFC 1958) Das Herz des Internet ist running code, die durch Implementationen getestete technische Spezifikation.[13] Weil das Netz niemandem gehört und auch nicht abzuschalten ist, hängt seine Entwicklung von dem ab, was praktisch funktioniert. Was sich nämlich in seinem alltäglichen Betrieb als robust erweist - die dezentrale Steuerung - macht sich zugleich als wirksamer Schutz vor solchen Geltungsansprüchen verdient, die nicht in der Sprache formuliert werden, die die IETF der Regulierung des Internet vorbehalten will: running code. Schutzbedürftig ist für die Internetgemeinde somit nicht etwa ein Monopol auf die Herstellung von Netztechnik (spätestens seit der Entwicklung des WorldWideWeb, die überwiegend außerhalb der IETF stattfindet, ist dieses ohnehin passé); es geht vielmehr um die Bewahrung der Philosophie, die in den Wandel des Internet eingelassen ist:
"In the Internet world, it's okay to talk about an idea for IP [Internet Protocol, J.H.] or another protocol, but until you've actually done an implementation and shown how this extension can be done in practice and what the effects will be, you haven't gone anywhere. (...) In the Internet community the highest goal is interoperability and getting something to work. Something that works is its own advertisement. (...) Long before you think about standardizing something, you first go out to see whether it does anything useful. This has a very compelling logic to it." (L.C.) Running code gilt als das technische Gütesiegel, als "hardnosed pragmatic notion of correctness" (M. D.), wie es ein Mitglied der Gemeinde ausdrückte. Seine Bedeutung hat sich jedoch in der Eigenschaft als Maß der Dinge nicht erschöpft. Aufgrund des charismatischen, ordnungschaffenden Stellenwertes bewährt sich running code zugleich als eine weitere Demarkationslinie zwischen der Internetgemeinde, nämlich den "engineers who build stuff, who wear t-shirts and sandals" und all denjenigen im Umkreis des Internet, die eben nichts bauen, beispielsweise den "business people who (...) wear three-piece suits and ties" (R.C.). Sinnbildlich unterstützt durch die Kleiderordnung definiert sich die IETF als Ort der handanlegenden Ingenieure, für die nichts mehr zählt als das Schreiben von Programmcode. Nahe am Herzen der Dinge befinden sich mithin die Mitglieder der Gemeinde, deren running code sich als "seminal contribution to the Greater Good of networking" (Rose 1990, 592) erwies. Umgekehrt sind nach Möglichkeit alle aus dem Zentrum des Netzes ausgeschlossen, die zum höheren Gut der Netzentwicklung nichts beizutragen wissen. Das Internet der "Architectural Principles" ist eine rein technische Angelegenheit. Seine Definition als running code-regiertes Werk ist bewußt exklusiv. Bei aller Offenheit gegenüber denjenigen, die an der Regulierung des Internet mitwirken möchten, wird doch Wert darauf gelegt, daß die Arbeitsgruppen der IETF "a high degree of technical maturity" verkörpern und das Entwickeln von "technically superior protocols and services" als Richtschnur ihres Tuns betrachten (RFC 2028). Für eine Gruppe von Interessenten am Internet gilt dieses unausgesprochene Verdikt jedoch mehr als für alle anderen. Naheliegend und paradox zugleich handelt es sich dabei ausgerechnet um die Politik.
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3.3 Technische Realität versus politischer Wille - Was regiert das Internet? | |
Auf den Punkt gebracht findet sich die Frontstellung zwischen Technik
und Politik in einer Bemerkung, die in den 90er Jahren zu einem - während
IETF-Tagungen auf T-Shirts zur Schau getragenen - Wahlspruch der
Internetgemeinde avanciert ist:
We reject kings, presidents and voting. Könige, Präsidenten und Wahlen dienen als Metaphern für Entscheidungs- bzw. Problemlösungsverfahren, die von der Internetgemeinde mit unüberhörbarem Pathos zurückgewiesen werden. Konsensbildung in der IETF kommt tatsächlich ohne förmliche Abstimmungen aus. Auch Repräsentations- und Delegationsverfahren spielen bislang nur eine untergeordnete Rolle. Statt dessen gilt das Prinzip des "one man, one vote". Dies besagt, daß jedes Mitglied nur für sich selbst spricht und somit weder Unternehmens- noch Landesinteressen vertritt. Der Verzicht auf förmliche Abstimmungs- und Repräsentationsverfahren hängt auch mit der offenen Organisationsstruktur der IETF zusammen. Wo es keine eindeutigen Grenzen zwischen innen und außen gibt, lassen sich auch Mehrheitsverhältnisse schwerlich quantifizieren. Der entscheidende Grund dafür, daß die Internetgemeinde in rough consensus und running code mehr Vertrauen setzt als in demokratische Abstimmungen ist jedoch substantiellerer Natur. Er betrifft die Qualität des Resultats. Rough consensus bezeichnet ein Maß der Zustimmung, das größer ist als eine einfache Mehrheit und kleiner als Einstimmigkeit: "A consensus in the IETF is not unanimity. You can have some people who will feel very passionately that it is the wrong thing to do, and still, if the number of people, who feel that passionately that way, is a very small part of the overall community, then you can still have consensus." (S. B.) Will sich in einer Arbeitsgruppe nicht einmal ein ungefährer Konsens einstellen, wird weiter diskutiert oder eine neue Arbeitsgruppe gegründet.[14] Spricht gegen ein absolutes Konsensgebot, daß einzelnen Mitgliedern damit eine Vetomacht eingeräumt würde, gilt die klassische Mehrheitsentscheidung dagegen als fehler- und korruptionsanfällig. Kampfabstimmungen, so die weit verbreitete Überzeugung in der IETF, provozieren "horsetrading" ("I will vote for your checksum algorithm if you vote for my address format") und "politicking" - beides sichere Vorboten für "bad technology". Konsens, so die tiefe Überzeugung in der IETF, muß statt dessen durch die "excellence of the technical work" erzielt werden. (Huitema 1995, 24). Vermutlich gibt es kein zweites Phänomen, das in der Internetgemeinde so übereinstimmend auf Ablehnung stößt, wie politische Interventionen in den Prozeß der Technikentwicklung. Was macht "politicking" zum Sakrileg? Ein schier unendlicher Vorrat an Anekdoten, Scherzen und - selbstverständlich auf T-Shirts umhergetragenen - Cartoons[15] thematisiert die Unterschiede zwischen der Welt, in der running code regiert und jener, in der vermeintlich die Politik das Sagen hat: die offiziellen, staatlich institutionalisierten Standardisierungsgremien, allen voran ISO (International Organization for Standardization). Diese hatte nämlich in den 70er Jahren begonnen, an einem Konkurrenzprodukt zu den Internet Standards zu arbeiten. Und noch Ende der 80 Jahre wurde allgemein erwartet, daß die mit internationaler politischer Unterstützung versehene Technologie namens OSI (Open Systems Interconnection) das Internet über kurz oder lang ablösen würde. Statt dessen konnte das Internet zumindest einen vorläufigen Sieg davon tragen. Keines der einschlägigen Werke über Netztechnik begibt sich deshalb der Chance, mehr oder minder ausbalancierte Erklärungen für dieses erstaunliche Ergebnis im Standardwettlauf vorzulegen. Den Dreh- und Angelpunkt hierbei bildet der Einfluß von Politik auf die Standardentwicklung. Die OSI-Community, so heißt es, sei "more apt to converge on a solution that is politically correct than one that is technically so". Die Internetcommunity versuche dagegen, die "rich tradition and image of 'research and technology first'" fortzuführen (Piscitello & Chapin 1993, 26f.). Ziele die IETF auf die Produktion von running code, gehe es in der ISO um international kompromißfähige Dokumente. Kennzeichnend für OSI sei, daß "technical issues, per se, take a back seat to political and market pressures" (Rose 1990, 583). Mit Blick auf die technischen Resultate bedeutet das: TCP/IP, die Protokollfamilie des Internet, "couldn't have been invented anywhere but in the collaborative research world (...), while a camel like OSI couldn't have been invented anywhere but in a thousand committees."[16] (Hafner & Lyon 1996, 247f.; vergl. auch Tanenbaum 1996, 40) "Politics", resumiert Rose im Namen vieler, "is the death of technology, regardless of the community", denn: "Democracy might be a fine way to run a government, but it is no way to produce rational technology" (Rose 1990, 596 u. 583).[17] Im Selbstverständnis der Techniker repräsentieren Technik und Politik nicht nur verschiedene, sondern miteinander unverträgliche Handlungsrationalitäten. Worin diese bestehen und worauf sie zurückzuführen sind, war ungefragter Gegenstand eines Interviews, das sich eigentlich mit Technikentwicklung in der IETF beschäftigte. Um mir die Denkweise der Ingenieure nahezubringen, wählte der Techniker nicht zufällig den Vergleich mit der Rationalität politischen Handelns:
"Since we have this focus on real things, running real systems, we have a lot in common with the traditional architect who builds buildings. (...) The approach we have is much more along the line of physicists and architects because they are ultimately concerned with reconciling reality. This is a difference in the intellectual tradition. When two physicists come at the same problem from two different directions and get contradictory results, that's grounds for deep thinking, but when this happens with two groups in the public policy arena, we say: 'We'll leave it up to the judge.' There's a different willingness to tolerate cognitive dissonance." (M. D.) Die unterschiedlichen intellektuellen Traditionen von Politik und Technik illustriert der Umgang mit Dissens. Was unter Technikern Anlaß zum Nachdenken sei, delegiere die Politik ans Gericht oder beseitige es qua Mehrheitsentscheidung. Während Techniker um der technischen Lösung willen versuchten, die Ursachen für ihre Auffassungsunterschiede zu ergründen, hätten sich Politiker in "kognitiver Dissonanz" gewissermaßen eingerichtet. Der Grund dafür ist überraschend einfach. In der Politik regiere der Wille, in der Technik dagegen die Natur:
"In our world, I have a favourite phrase: 'Nature neither seeks nor abides your opinion.' What you want to be the case is irrelevant. (...) When you get into the policy discussions, this is where the technicians and the policy people have a hard time to understand each other. The policy people believe wanting something to work ought to be good enough reason for it to work. In terms of the policy folks, dealing with content regulation and making rules about the Internet shows that what they're discovering is limits to power: Because [the Internet ] is global, nobody is close enough to affect everything. Während die Technik offenbar über einen verläßlichen, überparteilichen Maßstab zur Unterscheidung richtiger von falschen bzw. machbarer von nicht machbaren Ideen verfügt, benötigt die Politik einen solchen erst gar nicht. Denn die politische Lösung legitimiert sich nicht durch Richtigkeit, sondern durch den Willen. Und für die Durchsetzung des politischen Willens gelten andere Regeln als für die Einigung auf die technisch gute Lösung. "Politicking", ein Synonym für argumentatives Taktieren und Manipulieren im eigenen Interesse, gilt als Sakrileg, weil es das ohnehin beständig gefährdete Ideal eines offenen, rationalen, technischen Diskurses zu zerstören droht, in dem nichts zählt als "rough consensus and running code", kurz: in dem die technische Realität regiert: "Technical reality should be the ruling factor and not what some group of people think." (R.C.) In der Frage der Internet Governance treffen nun die konträren Regulierungsmodelle von Technik und Politik aufeinander. Und wer wird aus Sicht der Techniker den Sieg davontragen? Solange running code regiert, die Technik natürlich. Denn das Herz des Internet läßt den politischen Willen an seiner Funktionslogik scheitern.
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4 Regierende Techniken und Techniken des Regierens: Zur politischen Gemengelage im Netz | |
Es ist nicht ohne Ironie, daß ausgerechnet die Organisation, die als
zentrale Instanz in der Binnenregulierung des Internet dargestellt wurde, die
Politik zum zentralen Feindbild erhebt und wahrscheinlich nichts abwegiger
findet, als zur politischen Kraft im Netz erklärt zu werden. Wird man ihr
eine politische Bedeutung trotzdem zuschreiben dürfen? Ich meine, ja. Drei
Gründe möchte ich dafür abschließend anführen.
1. Das Primat der Technik: Die Internetgemeinde betrachtet das Internet als rein technische, durch running code regierte Angelegenheit. Das bedeutet allerdings nicht, daß seine Architektur durch running code auch hinreichend beschrieben wäre. Einige typische Merkmale des Netzes lassen sich nämlich erst gar nicht kodieren oder aber sind zumindest praktischen "acid tests" nicht zugänglich. Ein naheliegendes Beispiel für den ersten Fall ist die Offenheit der Internet Standards. Daß das Internet Protocol niemandem gehört, ist einer der Gründe dafür, warum das Netz nicht abgeschaltet und nicht kontrolliert, aber durch die Internetgemeinde regiert werden kann. Weitere, das Primat der Technik unterlaufende Charakteristika des Internet ließen sich ohne Mühe anführen.[18] Daß running code überhaupt zum Herz der Dinge im Internet werden konnte, hat insofern mindestens soviel mit denjenigen zu tun, die sich diesem Herzen nahe wähnen wie mit der Beschaffenheit des Internet selbst. Es ist ja nicht zufällig eine Gemeinde von Technikern, die die Entwicklung des Internet zur technischen Frage erklärt und allen Ordnungsvorstellungen, die als bloßer "Wille" formuliert sind, die Realitätstauglichkeit abspricht. Man fühlt sich an Geertz' Bemerkung über die Rolle von Zeremonien und Insignien der Regierenden erinnert: Nicht nur strahlten sie eine Aura des Bedeutsamen aus, sie verliehen dem, was im Umkreis der Regierenden vor sich geht, auch den Anschein eines Verbundenseins mit der Konstitutionsweise der Welt (Geertz 1983, 124). Diese Verbundenheit zeigt sich im Internet wohl am stärksten in den Geschichten über die "Geburt" des Netzes und seiner Community. Aber charismatische, außeralltägliche Nähe zum Herzen der Dinge scheint bis heute auch in der Freiwilligkeit und Informalität ihrer Organisationsweise auf. Nicht von offiziellen Delegierten und Bürokraten wird das Internet regiert, sondern von einer internationalen technischen Elite, die einst die Netztechnik revolutionierte. Wer wollte an der Legitimität ihrer Autorität zweifeln?
2. Designhegemonien: Im Schatten des running code schlummert ein Problem, das sich technisch nur schwer lösen läßt. Running code mag zwar in vielen Fällen Auskunft darüber geben, ob sich eine Idee im Internet realisieren läßt, überfordert ist er aber mit der Frage, welcher unter den vorhandenen Ideen der Vorzug gegeben werden sollte. Die Entwicklung des Internet sah sich von Beginn an mit Wahlmöglichkeiten, mit "lots of engineering choices" (Cerf 1997) konfrontiert. Über diese kann aber nicht technisch entschieden werden, denn: "We don't have any Maxwell's Equations or Newton's Laws in this field." (J. D.) Zwar lassen sich die Unterschiede zwischen den Architekturen von Telefonwelt und "IP land" in netztechnischen Kategorien beschreiben, nicht aber die Beweggründe, die zu den jeweiligen Designphilosophien geführt haben. Dieser Mangel an technischen "Letztbegründungen" mag auch erklären, warum die IETF eine Art öffentliches Glaubensbekenntnis auf die Internetarchitektur ablegt. Denn ob das Paketvermittlungsprinzip anderen Datenübertragungsverfahren überlegen ist, das ist tatsächlich eine (selbst innerhalb der IETF inzwischen umstrittene) Frage der Auffassung. In diesem Sinne kann man die Konkurrenz um die Hegemonie unter den Netzarchitekturen wie auch die weitere "technische Marschrichtung" des Internets als Politikum werten. Zumindest indirekt klingt das auch in der einleitend zitierten Bilanz einer der Gründungserzählungen über das Internet an: Wenn das Internet ins Stolpern geraten sollte, heißt es dort, dann nicht aus einem Mangel an Technologie, Vision oder Motivation, sondern weil es der IETF nicht mehr gelänge, die Richtung des Wandels vorzugeben (Leiner et al. 1997). 3. "Cognitive dissonances": Die holzschnittartigen Grenzziehungen zwischen Politik und Technik, auf seiten der Internetgemeinde sind auch Verteidigungslinien. Ihr Zweck besteht offensichtlich weniger darin, treffende Beschreibungen der Handlungsrationalitäten von Technikern und Politikern vorzulegen. Im Vordergrund scheint eher die Absicht zu stehen, ontologische Verschiedenheit und Unvereinbarkeit zwischen den beiden Feldern zu demonstrieren. Die Gemengelage aus heiligen Prinzipien und Glaubensbekenntnissen, Implementationen und unbestechlichem running code wird auf diese Weise als technisches Territorium markiert, zu dem der Politik der Zutritt verweigert werden soll. Wie aber verhält es sich mit dem Verständnis von Politik und Technik in der Politikwissenschaft? Besteht hier nicht ebenfalls eine Tendenz zur Ontologisierung unterschiedlicher Erscheinungsformen? Ob Internet Governance als Politikum anerkannt wird ist gleichbedeutend mit der Frage, welchen Regierungstechniken das Siegel des Politischen zuerkannt wird. Immerhin fällt bei allen Unterschieden in den intellektuellen Traditionen und praktischen Durchsetzungsstrategien auf, daß die Welt der Technik und jene der Politik in einem Ziel übereinstimmen: Sie beanspruchen Macht über das Netz oder doch zumindest über die Prinzipien, die es regieren. "We like to think that technology is seperate from politics. Of course it's not: the technology of the Net not only reflects, but fully embodies the politics of the Net," notierte Steinberg anläßlich einer zweifelhaften Richtungsentscheidung der IETF (Steinberg 1995, 141). Im Anschluß daran ließe sich mutmaßen, daß die Unterscheidung von Politik und Technik selbst Teil jenes symbolischen Zubehörs ist, mit denen sich Ordnungsmacht im Internet zur Geltung bringt. Das aber liefe auf einen für Technisches offenen Begriff des Regierens sowie einen für Politisches offenen Begriff des Technischen hinaus.
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Fußnoten | |
1 Dieser Text ist im Rahmen des von der
Volkswagen-Stiftung geförderten Projekts "Interaktionsraum Internet.
Netzkultur und Netzwerkorganisation in offenen Computernetzen" entstanden.
Für Anregungen und Kritik danke ich Sabine Helmers, Peter Bleses und
Klemens Polatschek. 2 Ich danke Peter Wagner für den Hinweis auf die Schriften von Lefort zur permanent aktuell bleibenden Frage nach der Konstitution des Politischen. 3 Die Reform des Adressierungssystems des Internet ist ein aktuelles Beispiel für die Regulierungsprobleme, die sich aus dieser relativ ungewöhnlichen Kräftekonstellation ergeben. Anfang der 90er Jahre schienen die numerischen Internetadressen zur Neige zu gehen. Um die Adressierungskapazität des Internet zu vergrößern, wurde eine Reform des Internet Protocols beschlossen. Jetzt befindet sich das neue Protokoll "IPV6" kurz vor der Anwendungsreife. Ob es jedoch jemals zum Einsatz kommen wird, hängt nicht von den Entwicklern, sondern von der Gesamtheit der Nutzer ab. Die aber haben unterdessen längst begonnen, den Adressenengpaß in Eigenhilfe zu behben (vergl. dazu RFC 1631). 4 Es handelt sich um den "Norbert Wiener Award" der Computer Professionals for Social Responsibility (CPSR). Näheres findet sich im Internet unter: http://www.cpsr.org/issues/98Wiener.html. 5 Im Gegensatz zur Telefonverbindung, die für jedes Telefonat einen eigenen Kanal zwischen zwei Apparaten reserviert, schickt das Paketvermittlungsverfahren die Datenströme über alle verfügbaren Leitungen. Voraussetzung hierfür ist, daß der Datenstrom zuvor in Pakete zerlegt und erst beim Empfänger wieder zusammengefügt wird. 6 Unberücksichtigt bleibt in diesem Zusammenhang die organisatorische Struktur der IETF. Einzelheiten hierzu finden sich im RFC 2028 sowie im Internet auf der homepage der IETF: http://www.ietf.org/. 7 Tao, so wird dem Interessierten im Anhang des Textes erläutert, bedeute "der Weg" und bezeichne das grundlegende Prinzip hinter den Lehren Lao-tses. So spielt der Begriff Tao mit der Möglichkeit des einen richtigen Weges, läßt aber listigerweise offen, was damit in bezug auf das Internet und seine Engineering Task Force gemeint sein könnte. 8 Einer der notorischen "Anzug- und Krawattenträger" ist Vinton Cerf. Den Freiraum für seinen Verstoß gegen die Kleiderordnung der Internet community hat sich dieser "hero" durch seinen Beitrag zur Entwicklung von TCP (Transmission Control Protocol), einem entscheidenden Baustein in der Datenübertragung des Internet, erworben. Auf diese "other reasons" spielt das "Tao" an. 9 Zum Auslöser für meine Umfrage wurde ein T-Shirt, das ein angesehenes Mitglied der Community anläßlich einer seiner Präsentationen trug. Darauf abgebildet war ein grüner Tannenbaum. Darüber stand in Großbuchstaben: "I'M FRESH". Unter dem Tannenbaum war zu lesen: "Little Trees = fresh as a breeze". Es handelte sich um eine schon etwas verwaschene Werbung für jene Duft-Tannenbäume, die man gelegentlich an Rückspiegeln in Autos hängen sieht. 10 Einleitend werden mit unverhüllter Mißbilligung all jene Beschreibungen aufgelistet, die außerhalb von Fachkreisen populär geworden sind "... in the press you read about the Internet as the prototype of the Information Highway; as a research tool; as open for business; as not ready for prime time; as a place your children might communicate with (pick one) a. strangers, b. teachers, c. pornographers, d. other children, e. their parents; as bigger than Poland; as smaller than Chicago; as a place to surf; as the biggest hype since Woodstock; as a competitive business tool; as the newest thing since sliced bread." (RFC 1935) 11 Dies und alle folgenden Kürzel stehen für die Namen von interviewten IETF-Mitgliedern. 12 Kritische Stimmen in der IETF behaupten in diesem Zusammenhang, die Gemeinde habe ihre Bereitschaft, den Bestand architektonischer Prinzipien unvoreingenommen in Frage zu stellen, längst verloren. Die Community sei "religiös" geworden, heißt es. Sie halte an ihren technischen Errungenschaften inzwischen so unverrückbar fest wie die Telefongesellschaften an ihren Traditionen. 13 Um den Status eines Standards zu erhalten, müssen technische Spezifikationen mehrere "genetisch unabhängige und korrekt interoperierende" Implementationen vorweisen. Denn des Netzwerks "acid test is: Does the stuff talk to each other?" (M.D.) Als running code gilt, was diese Bedingungen erfüllt. 14 "... part of the things that made the IETF work in the first place was that if people couldn't agree on between two or three proposals, you just sent them off in two or three working groups (...) and then [you] follow the IETF tradition of allowing alternative proposals to go forward to the point where you can actually tell what proposals make sence technically and what didn't. (...) And having multiple standards means that technical reality wins rather than a voting block." (R. C.) 15 Zwei Beispiele finden sich abgebildet in Salus 1995, 122. 16 Bei dem Kamel handelt es sich einem alten Scherz zufolge um ein "'horse designed by a committee', where the two bumps on the back reflect the diverse options" (Huitema 1995, 24). 17 Wie gravierend die Unterschiede zwischen den beiden Architekturen tatsächlich sind, ist übrigens umstritten. Den anhaltenden "protocol wars" zum Trotz gibt es Stimmen, die die kulturellen Dissonanzen zwischen den Technikergemeinden für gewichtiger halten als ihre technischen Differenzen. In der IETF wird eine solche Auffassung allerdings selbst dann nicht konsensfähig werden, wenn sich, wie inzwischen geschehen, einzelne OSI-Standards auch im Internet durchsetzen. 18 Das Adressierungssystem des Internet gehört zu den wichtigen Bereichen, die sich nicht testen lassen. Im Routingbereich, der Wegeführung der Daten im Netz, treffen "technologies" und "policies" unmittelbar aufeinander. In der Wegewahl wird die Macht der Routingsprotokolle immer stärker durch die policies der Provider substituiert. Policies, die sich im technisch dafür vorgesehenen Rahmen bewegen, unterliegen nicht dem allgemeinen Politiktaboo. |
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