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Talk to my Agent...
Bots, Spider und andere seltsame Netzbewohner
  Kryptische Konzepte 1-12 Oktober 1995

Ute Hoffmann

  Sprungbrett
  Fußnoten

 

  Eine Maschine, die so gut sein will
wie ein Mensch, hat einfach keinen Ehrgeiz.
(unbekannt)

Der Geist war das Abschiedsgeschenk ihres Vaters. Während der ersten Stunden des Flugs nach London lag es unbeachtet in ihrer Tasche, das glatte, dunkle längliche Stück, das an einer Seite mit dem allgegenwärtigen Logo von Maas-Neotek geprägt und an der anderen Seite leicht gerundet war, um gut in der Hand des Benutzers zu liegen. (...)
Der Geist erwachte bei Kumikos Berührung, als sie gerade Heathrow anflogen. Die einundfünfzigste Biochip-Generation von Maas-Neotek zauberte eine verschwommene Gestalt in den Sitz neben ihr, einen Jungen aus einem vergilbten Jagdmotiv-Druck mit brauner Reithose und -stiefeln, der die Beine lässig übereinanderschlug. <<Hallo-chen>>, sagte der Geist. <<Heiß' Colin. Und du?>>

Technisch erzeugte Simulacra gehören heute zum Standardrepertoire der Science Fiction-Literatur. William Gibsons Roman Mona Lisa Overdrive ist voll davon.[1] In Colin begegnet uns, unschwer zu erkennen, ein dienstbarer Geist. Er verkörpert gewissermaßen einen user agent, der seiner Benutzerin bald vertraut sein wird. Das Gegenbild zu Colin sind eigenmächtige Künstliche Intelligenzen, die ständig von Turing-Leuten überprüft werden müssen, damit sie nicht zu clever werden.

Gibsons fiktionaler Turingtest ist eine Referenz an den englischen Mathematiker und Kryptologen Alan Turing. Dieser hatte 1950 ein Imitationsspiel vorgeschlagen, um - wie er sagte - eine alte Frage auf empirischem Wege zu klären: Können Maschinen denken? Bis zum Jahr 2000 - so Turings Prognose - werde das Verhalten eines Menschen von dem eines Computers nicht mehr mit Sicherheit zu unterscheiden sein. Dann werde es entsprechend programmierten Computern problemlos gelingen, in einem verdeckten Frage- und Antwort-Spiel einen durchschnittlichen (menschlichen) Fragesteller mindestens fünf Minuten lang über ihre wahre Identität im Unklaren zu lassen.

1991 setzte der New Yorker Geschäftsmann Hugh G. Loebner einen Preis von 100.000 US $ für dasjenige Programm aus, das als erstes uneingeschränkt den Turingtest besteht. Seither finden jährlich in den USA Loebner-Wettbewerbe statt. Keines der teilnehmenden Programme konnte bislang so recht überzeugen. Jedes Mal mußte die Jury am Ende feststellen: "Humans were pitted against computers once again."[2] Dabei müssen die Maschinen nicht einmal "über alles" reden können, sondern nur über ein eingeschränktes Alltagsthema, wie etwa jüngst die Rolling Stones, den Prozeß gegen O. J. Simpson, Umweltprobleme, Sex oder Haustiere.

Zu den Preisrichtern des ersten Loebner-Wettbewerbs gehörte auch Joseph Weizenbaum. Am Massachussetts Institute of Technology (MIT) hatte er Mitte der 60er Jahre das erste Progamm entworfen, mit dem man eine "Unterhaltung" führen konnte - ELIZA, sozusagen die Urahnin der heutigen Konversationsprogramme. Dem experimentellen Sprach-Analyse-Programm Weizenbaums war eine heute kaum mehr nachvollziehbare Resonanz beschieden. Besonderen Anklang fand zu seiner Bestürzung ein Skript, das einen non-direktiven Gesprächstherapeuten imitierte.[3]

Eliza says, "How do jou do. Please tell me your problem."

You say, "Men are all alike."

Eliza says, "In what way?"

You say, "They're always bugging us about something or other."

Eliza says, "Can you think of an example?"

You say, "Well, my boyfriend made me come here."

Eliza says, "Your boyfriend made you come here?"

Elizas Trick ist simpel, aber wirksam. Sie spiegelt Aussagen mit Fragen und erzeugt damit bei ihrem Gegenüber die Illusion des Zuhörens. Deutlich zugeneigter und immer auf eine Unterhaltung aus ist dagegen Julia. 1994 erreichte sie beim Loebner-Wettbewerb in der Kategorie "most human computer" den vierten Platz.

Julia says, "I like most animals but I favor cats over dogs. Are you a cat lover?"

You say, "Yes, I am."

Julia says, "Do you have any pets?"

You say, "I have two cats."

Julia says, "Oh, I have two cats, myself. We used to have a third cat, but we had to give her away because she refused to use her litter box."

You say, "Would you like to have a dog too?"

Julia says, "My cats are enough."

Julia ist ein Chatterbot. Ihr Zuhause ist die Carnegie-Mellon Universität in Pittsburgh. Über ihre Homepage im World Wide Web ist sie leicht für einen Schwatz erreichbar. Bevor ihr Entwickler Michael L. ("Fuzzy") Maudlin, vom Ehrgeiz gepackt, Julia für den Loebner Wettbewerb trimmte, trieb sie sich mit Vorliebe in den Spielwelten des Internet herum. Hier, in den Multi-User Dungeons, können sich mehrere Hundert NutzerInnen gleichzeitig in einer virtuellen Szenerie miteinander unterhalten und die jeweilige Welt (um)gestalten: neue Räume, Gegenstände und Ereignisse kreieren. Hier, in den MUDs, ist Julia in ihrem Element.

"Fuzzy" wollte mit Julia eine Persönlichkeit schaffen, die Stimmungen, Vorlieben und vor allem Humor besitzt. Außerdem sollte sie ein nützliches Mitglied der MUD-Gemeinschaft sein. Julia ist nicht nur schwatzhaft, sondern ihren Mitspielern auch eine Orientierungshilfe, da sie die Topolgie des MUD Universums, das leicht auf mehrere Hundert Räume anwachsen kann, "im Kopf" hat. Julia beherrscht selbstverständlich die Tricks von Eliza, und viele andere außerdem. Sie hat ein "Gedächtnis" und kann sich an frühere Begegnungen mit anderen Nutzern erinnern. Sie kann, was nicht unwichtig ist, die Tippgeschwindigkeit eines Menschen simulieren. Eingeloggt wie jede andere menschliche Nutzerin, ist sie rein "äußerlich" als Robot nicht erkennbar, was unter anderem zu einer beachtlichen Zahl machmal recht hartnäckiger Verehrer führt. Wer wissen möchte, mit wem er es zu tun hat, muß schon die "richtigen" Fragen stellen.

You say, "Julia, how much memory do you consume?"

Julia says, "Here is a summary of my memory usage: 807472 bytes for 17335 strings, 232344 bytes for 19362 exits, 101100 bytes for rooms, 20220 bytes for paths, 268600 bytes for players, 4214784 bytes for 2058 dialog entries. That's 5644520 bytes all together."

Vordergründig scheint sich in der Konversation mit Julia und ähnlichen Software-Agenten im Netz die Lektion zu wiederholen, die bereits das Automat Olimpia in ETA Hoffmanns Erzählung Der Sandmann dem kurzsichtigen Nathanael verpaßte: Intelligenz liegt im Auge des Betrachters und nicht in der Maschine, auf die sich der Blick richtet. Vielleicht ist das aber noch nicht die ganze Geschichte. Es könnte ja sein. daß es am Ende gar nicht wichtig ist, wer das Imitationsspiel gewinnt, jedenfalls nicht so wichtig, daß wir darüber die Bedeutung der Kommunikationsform vergessen sollten, die der Interaktion von Mensch und Maschine eine Umgebung gibt. Wandeln sich die Kommunikationsformen, verändert sich unter Umständen das Wesen der Dinge entscheidend.

Turing selbst plazierte die imaginierten menschlichen und maschinellen Teilnehmer seines Imitationsspiels in imaginierte getrennte Räume und ließ sie mittels imaginierter Fernschreiber kommunizieren. Entkörperlichte, rein symbolische Kommunikation. You are what you type. Für Turing war es ein Gedankenexperiment, in der Netzwelt ist es der Normalfall. Das Spiel ist Ernst geworden. Technisch gesehen, gibt es hier keinen Unterschied zwischen Software-Agenten und Menschen, menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren. Jeder Teilnehmer des Imitationsspiels befindet sich in demselben Raum. Jeder Austausch ist ein Datenaustausch.

Julia ist eine MUD-Nutzerin, die ein Programm ist. Eine Vielzahl solcher programmgesteuerten User finden sich auch auf den Kanälen des Internet Relay Chat (IRC), gewissermaßen den - rein textbasierten - Party lines des Internet. IRC Bots sind allerdings nur selten schwatzhaft und meist in administrativen Funktionen tätig. Sie sind mostly harmless, trotzdem haftet ihnen ein schlechter Ruf an. IRC Bots sind ein Skript, das festlegt, auf welches Ereignis das Programm nach dem Einloggen wartet, um dann auf eine definierte Weise darauf zu reagieren. IRC Bots sind beispielsweise häufig darauf getrimmt zu melden, wenn sich ein bestimmter User einloggt. Zuweilen werden sie dazu benutzt, um die Identität einer unerwünschten Person im Moment des Einloggens zu übernehmen, um dieser dadurch den Zugang zum IRC zu blockieren.

IRC Bots sind das Werk einzelne Nutzer und auf deren Bedürfnisse und Vorlieben abgestimmt. Auch Bots, die eine ähnliche Funktionen ausfüllen, unterscheiden sich mehr oder weniger voneinander, weil sie von verschiedenen Personen geschrieben wurden. Solche Individualität ist zentralisierten Newsagents wie dem Stanford Netnews Filtering Service fremd. Dieser Multi-user Agent sucht für eine größere Zahl von Nutzern gleichzeitig zig-tausend Newsgruppen auf Artikel nach vorgegebenen Stichworten ab und meldet das Ergebnis seiner Auftraggeberin per E-mail. Der Fernsehbutler einer TV-Zeitschrift stellt ein Programm nach persönlichen Vorlieben zusammen - er berücksichtigt nur Sender, die man sehen will, und Rubriken (Sport, Horror oder Nachrichten), die einen interessieren. HOMR, entwickelt von Pattie Maes am Media Lab des MIT, stellt anhand der Angaben anderer Nutzer mit ähnlichen Vorlieben Musikempfehlungen zusammen.

Wie finde ich unter 5 Millionen Webseiten Ressourcen zu einem bestimmten Thema? Ohne einen World Wide Web Spider wie dem "Webcrawler" oder "Lycos" wäre man dem Information Overflow noch hilfloser als ohnehin ausgesetzt. Getarnt hinter einer trockenen Eingabemaske und unverdächtigen Bezeichnungen wie "Informationssystem" oder "Navigationshilfe" durchforsten solche vergleichsweise autonomen Agenten das Netz Dokument für Dokument, Link auf Link. Die gefundenen Informationen werden aufgezeichnet und sind für eine Stichwortsuche zugänglich. Die Fundstücke können dann per Mauklick angesteuert werden.

Der Webcrawler wurde kürzlich von America Online gekauft. Bislang hat das an seiner freien Verfügbarkeit im Netz nichts geändert, Nutzungsgebühren werden (noch?) nicht erhoben. Aber der Tag wird kommen, an dem es elektronisches Geld (digital cash) geben wird. Dann werden vielleicht nicht nur die menschlichen Nutzer die Dienste von Software-Agenten honorieren können bzw. müssen. Auch die Agenten selbst werden anfangen, ihre wechselseitigen Hilfeleistungen nach Prinzipien der Geldökonomie zu gestalten.

Mit Fragen wie die nach den Formen der Kommunikation und Kooperation unter Agenten oder dem Lernen von Agenten befasst sich mittlerweile auch die KI-Forschung. Software-Agenten wurden in den letzten Jahren als neues Wissensobjekt der Künstlichen Intelligenz "entdeckt". Zusammen mit Artificial Life-Kreaturen und Mobilen Robotern gehören elektronische Agenten zum sich derzeit formierenden Gebiet der Autonomous oder Intelligent Agents. Manche Leute wollen Maschinen anscheinend immer noch das Denken beibringen. KI-Techniken werden allerdings auch eingesetzt, um die Fähigkeit von Turingsystemen zu verfeinern, die Menschen durch "Glaubwürdigkeit" und "Emotionalität" zu täuschen. Als Teil von Systemen, mit denen Autoren interaktive Dramen entwerfen und präsentieren können ("Interaktive Story Systems"), könnten Chatterbots wie Julia so ihr Auskommen künftig in der Unterhaltungsbranche finden.

In der real existierenden Netzwelt sind derzeit allerdings andere Probleme vordringlich. Die Software-Agenten sind unter uns, und es werden immer mehr, auch wenn viele Nutzer sie nicht erkennen können oder sehen wollen. Wie läßt sich erreichen, daß die Resourcenbeanspruchung, die mit dem Auftreten von immer mehr Bots, Agents und Spiders verbunden ist, möglichst gering bleibt? An welche Regeln sollten sich die Konstrukteure von Robotern halten und wie läßt sich im Netz möglicht rasch ein Konsens über eine Netiquette für Software-Agenten herstellen, die sie zu guten Netzbürgern (good net citizens) macht? Schließlich: Die Welt des Internet ist kompex und dynamisch und das macht den menschlichen Nutzern anscheinend weniger zu schaffen als den elektronischen Agenten, die sich in einer geordneten und stabilen Umwelt einfach besser entfalten könnten. Brauchen Agenten einen Raum für sich allein? Wer will, kann für Colin, den dienstbaren Geist, einstweilen wenigstens ein Zimmer schaffen.

Congratulations on selecting a quality "Maas-Neotek (TM)" Robot for your multiuser exploration needs.

Before you unpack your robot, you must make a place for him to live. He needs three things:

1. A TinyMUD character and Password. Create a new TinyMUD character with an appropriate name and password. The robot is shipped named "Colin", but you should pick a different name if you wish to do more than a quick demonstration of Maas-Neotek robotics.

2. A home room. (...)

3. A desk. (...)

Maas-Neotek Robot source code is available for anonymous ftp from NL.CS.CMU.EDU [128.2.222.56] in directory /usr/mlm/ftp (the file is called robot.tar.Z).

Fußnoten
  [1] William Gibson, Mona Lisa Overdrive. München (Heyne) 1989. Der Roman erschien 1988 im Original und bildet nach Neuromancer [1984] und und Count Zero [1986] den dritten Teil einer Cyberpunk-Trilogie.

[2] Pressemitteilung mit Resulaten des '94er Wettbewerbs http://coyote.csusm.edu/cwis/loebner/contest.html. <<In the contest, judges conversed with a series of computer terminals. Some of the terminals were controlled by computer programs and some by hidden human "confederates." After "conversing" with all the computers, the judges rank-ordered the terminals from "least human" to "most human.">>

[3] Das klassische Eliza-Skript und Eliza-Programme für verschiedenen Rechnertypen finden sich unter http://www.cs.cmu.edu/afs/cs/project/ai-repository/ai/areas/classics/eliza.

 

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