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Computernetze
  Soziologie-Lexikon, G. Reinhold (Hg.). Dritte, überarbeitete und erweiterteAuflage. München/Wien: Oldenbourg, S. 93-96, 1997.

Ute Hoffmann , 6/97

  Sprungbrett
1  Begriff und Geschichte
2  Stand der Forschung
3  Das Internet
4  Netzgemeinschaften
5  Selbstregulierung
6  Virtueller Erfahrungsraum
7  Elektronische Märkte
  Literatur

 

 
1 Begriff und Geschichte
  Der Begriff des Rechnernetzes umfaßt unterschiedliche Formen derkabelgebundenen oder kabellosen Verbindung einer mehr oder weniger großen Zahl von Computern, die untereinander mittels gemeinsamer Kommunikationsprotokolle digitalisierte Daten (Texte,Programme, Sprache, Bilder) austauschen können. Die Computerkommunikation reicht bis in die Anfänge derDatenverarbeitung zurück. Die 50er Jahre sind geprägt von zentral kontrollierten Großsystemen ("Central Command and ControlSystems") als Leitbild einer effizienten Lenkung von Stoff-, Energie- und Informationsflüssen. Seit Mitte der 60er Jahre kommt es verstärkt zur Herausbildung von interaktiven Abfrage- und Dialogsystemen im Realzeit-Teilnehmerbetrieb. Mit paketvermittelten Datennetzen entsteht eine neuartigeedv-spezifische, volldigitale Netzarchitektur. In den 80er Jahren verbreiten sich als Gegenbild und Ergänzung zuvernetzten Großrechnern lokale Netze und Netzarchitekturen, die am sozialen Modell eines lokalen Arbeits- und Kooperationszusammenhangs("distibuted personal computing") ausgerichtet sind. Die 90er Jahre stehen im Zeichen des Auf- und Ausbaus regionaler, nationaler und globaler Informationsinfrastrukturen. Ob es -gestützt auf weltweite Normen und breitbandige Hochgeschwindigkeitsnetze - zu einer umfassenden Integration und Verschmelzung heterogener Netze, unterschiedlicher Protokollwelten undMedienformen ("Multimedia") kommen wird, oder ob künftig eher nach Art eines breitgefächerten Kaleidoskops immer neue Medien und Vernetzungsformen geschaffen und kombiniert werden, läßt sich kaumprognostizieren und noch weniger steuern. Technikgenese ist ein mehrstufiger Prozeß der Generierung und Selektion von Problemen, Konstruktionselementen und Nutzungsvisionen, an dem ganz unterschiedliche Akteure in wechselndenKontexten beteiligt sind.

2 Stand der Forschung
  Formen und Folgen der informationstechnischen Vernetzung werden inverschiedenen (Sub-)Disziplinen und Forschungszusammenhängen bearbeitet. In historischen Technikgenese- und Leitbildanalysen wurde untersucht, ob und inwieweitComputerkommunikationstechniken durch ihren militärischen Entstehungskontext geprägt sind (Hellige). Die inner- und zwischenbetriebliche Vernetzung bildet im Zusammenhang der Restrukturierung vonArbeits-, Produzenten-Zulieferer- und Produzenten-Anwender-Beziehungen ein zunehmend wichtiges Thema der Industriesoziologie. Erscheinungsformen und Einflußfaktoren der zwischenbetrieblichen undbranchenübergreifenden Vernetzung entlang der Produktions- und Distributionskette durch interorganisationale Anwendungssysteme, die ansatzweise auch private Haushalte einbeziehen, werden vor allem inmikroökonomisch orientierten Studien bearbeitet, die sich zunehmend auch dem Phänomen "elektronischerMärkte" zuwenden. Forschungen über die Entwicklungsdynamiken von internationalen Telekommunikationsregimes finden ihre Ergänzung in Fallstudien zu konkreten technischen Standardisierungsprozessen; institutionalistisch orientierten Untersuchungen der Entwicklung einzelner Anwendungssysteme (z.B. Bildschirmtext) stehen kulturalistische Studien übernutzerinitiierte Vernetzungsformen, etwa die "Mailbox-Szene", gegenüber (Wetzstein u.a.). Die sog. CMC-Forschung (Computer-Mediated Communication) beschäftigt sich mit den Unterschiedenzwischen der face-to-face- und der computervermittelten Kommunikation sowie mit der Kultur und Sozialwelt virtueller Gemeinschaften (Jones).

3 Das Internet
  Das größte computervermittelte Kommunikationsnetz ist das Internet (Rost).Anfang 1996 ist es auf knapp 10 Millionen Rechner in rund 100 Ländern angewachsen. Im Kontrast zur globalen Reichweite des Netzes konzentrieren sich die Zugänge - gemessen am Standort der andas Internet angeschlossenen Computer - bislang in bestimmten Regionen, vor allem in den USA und Europa. DasInternet läßt sich aus verschiedenen Perspektiven beschreiben als (a) eine auf der TCP/IP-Protokollfamilie beruhendetechnische Möglichkeit, weltweit Computer miteinander zu verbinden, egal um welchen Rechnertyp es sich handelt und egal in welchemphysikalischen Medium die Daten übermittelt werden; (b) eine täglich expandierende Sammlung von Informationsresourcen und Netzdiensten (z.B. Telnet, File Transfer, E-Mail, Netnews,Internet Relay Chat, Internet Phone, World Wide Web); (c) eine Gemeinschaft von Menschen, die das Netz nutzen undweiterentwickeln. In jüngster Zeit wird das Internet gerne als Vorläufer oder Prototyp einer globalen Datenautobahn bezeichnet. Das Netzist vor allem aber ein neuartiger Interaktionsraum, in dem soziale Beziehungen aufgebaut, gemeinsame Welten konstruiertund alternative Identitäten erprobt werden.

4 Netzgemeinschaften
  Verschiedene Arten von Netzgemeinschaften geben der Sozialwelt des Interneteine Binnenstruktur. (a) Virtuelle Gemeinschaften bezeichnen Gruppen von Personen, die sich über ein Interesse an einer gemeinsamen Sache im Netz gefunden haben und in erster Linie über das Netz kommunizieren,aber durchaus Kontakt im "wirklichen Leben" pflegen. Virtuelle Gemeinschaften dieser Art gibt es viele im Internet. Grobe Unterscheidungen lassen sich nach der bevorzugten Kommunikationsform treffen. Die einzelnenKommunikationsdienste haben je eigene Nutzungskulturen herausgebildet. Elektronischen Konferenzsystemen mit einerausgeprägten regionalen Verankerung stehen die Newsgroups des weltweiten Usenet gegenüber. Im Internet Relay Chat, einemMehrpersonen-Konversationsprogramm können sich eine mehr oder weniger große Anzahl von Personen synchron aufunterschiedlichen Kanälen unterhalten. In den Mikrowelten der Multi User Dimensions (MUDs) gestalten und explorieren die Nutzer virtuelleRealitäten mit Räumen, Objekten und Stellvertreter-Charakteren ihrer selbst. Ein gemeinsames Merkmal derNetnews, IRC-Kanäle und MUDs bleibt der rein text-basierte Austausch. Aus dieser Beschränkung heraus sind eine Reihe von netz-typischen diskursiven Praktiken entstanden wie etwa die Verwendung von parasprachlichen Zeichen (den sogenannten Emoticonsoder Smileys), der exzessive Gebrauch von Akronymen und Jargon oder das "flaming", eine Art verbaler Attacke auf andere Nutzer. (b) Werden die Aktivitäten und Kontakte im Netz zum zentralenSozialbezug und zur Grundlage einer kollektiven Identitätsbildung, kann man von Kulturgemeinschaften im Netz sprechen. Eine solche Kulturgemeinschaft ist die Gruppe der Hacker. In dieser Kultur von Einzelgängern paaren sich überdurchschnittliche Programmier- und Netzkenntnisse mit einem Bewußtsein für geteilte Wurzeln und Werte. Unkonventionelle Arbeits- und Kleidungsgewohnheiten sind hier ebenso typisch wie eingemeinsamer, für Außenstehende weitgehend unverständlicher Wortschatz. Einen Zentralwert in der Hackerkultur bildet traditionell die freie Verfügbarkeit des Quellcodesvon Programmen. Auf der Verfügbarkeit von Programmsourcen gründen zahlreiche, nicht-kommerzielleSoftware-Entwicklungsprojekte im Netz. (c) Neben virtuellen Gemeinschaften und Kulturgemeinschaften im engeren Sinne umfaßt dieInternet-Gemeinde bestimmte Funktionsgemeinschaften. Diese erfüllen dienste- bzw. netzübergreifende Aufgaben wie etwa die Pflege und Weiterentwicklung der Internet-Protokolle (s.u.).

5 Selbstregulierung
  Aus alten Medien vertraute Rollenmuster wie Sender/Empfänger,Anbieter/Nachfrager, Produzent/Rezipient lösen sich in interaktiven Computernetzwerken wie dem Internet der Möglichkeit nach auf. So konnten sich hier nicht nur innovative Nutzungspraxen, sondern auch neuartige Regulierungsweisenentfalten. Im Gegensatz zur häufig und gerne proklamierten "World wide anarchy" des "rechtsfreien Raums" Internet stellt sich das Netz bei genauerer Betrachtung als durchaus geordneterInteraktionsraum dar. Zur gewachsenen Ordnung des Internet gehören selbsternannte oder gewählte Ordnungshüterinnen, wie etwa MUD Wizards, IRC Operators, News- und Listen-ModeratorInnen und FTP-AdministratorInnen, die in denverschiedenen Diensten des Netzes über die Einhaltung des Reglements der Internet-Kultur wachen. Ihre Sanktionsgewaltist lokal begrenzt und beschränkt sich in der Regel auf Ermahnungen und Appelle an die Eigenverantwortlichkeit, mitunterunterstützt durch Gruppendruck anderer Netzteilnehmer. Im ärgsten Fall besteht eine Sanktion in einer Verbannung der Malefikanten aus dem Netz. Mit der Netiquette hat sich imNetz ein Kodex von Regeln für das allgemeine Verhalten im Netz herausgebildet, der sowohl Benimm-Regeln für den Umgang mit anderen NutzerInnen, als auch Richtlinien für ein "angemessenes" Verhalten bei der Inanspruchnahmevon Internetresourcen umfaßt. Ohne verpflichtenden Charakter appelliert die Netiquette an die Eigeninitiative und Eigenverantwortlichkeit der Nutzern eines Kollektivguts. Formalisierte Verfahren finden sich insbesondere in Bereichen, wo es um Entscheidungen mit globaler Netz-Tragweite geht. Bei technischen Standardisierungsprozessen geht es um solche Entscheidungen. Hier liegt das Betätigungsfeld spezifischer Internet-Organisationen, z.B. der Internet Engineering Task Force (IETF). Die Schwelle für eine Partizipationan diesem Standardisierungsforum ist niedrig: Mitglied ist, wer sich an einer der IETF-Mailing-Listen beteiligt. Entscheidungen werden nicht durch Abstimmung, sondern nach dem Prinzip des "rough consensus" erzielt.

6 Virtueller Erfahrungsraum
  Kommunikationsprotokolle berühren die Bedingungender Interaktion und Teilhabe in der virtuellen Welt deshalb in grundlegender Weise, weil hier jeder Austauch ein Datenaustausch ist. Die Anonymität und Stofflosigkeit der computervermittelten Kommunikation eröffnen den Teilnehmenden Erfahrungen, die in der Realwelt nicht möglich sind (Turkle). In der Netzwelt interagieren genau genommen nicht Personen, sondern Personae - fiktive Identitäten, die mit der "wirklichen"Identität der Nutzer nichts zu tun haben brauchen. Der Geschlechtswechsel ("gender swapping") istein Aspekt des Überschreitens des realweltlichen Erfahrungsraums im Internet. Innerhalb der entkörperlichten, rein symbolischenKommunikation im Datenraum gibt es darüber hinaus, technisch gesehen, keinen Unterschied zwischen Aktivitäten, die von menschlichen Netznutzern ausgehen, und solchen, die durch Programme gestartet werden. Im Internet tummeltsich bereits eine Vielzahl von Computerprogrammen, die weitgehend autonom eine bestimmte Aufgabe ausführen und dabei im Auftrag einer einzelnen Nutzerin oder einer Organisation tätig sind. Software-Agenten, Roboter, Botsund Spider sind maschinelle Kreationen, die eher den Status eines Akteurs als Werkzeugcharakter haben. Sie können dieHandlungsfähigkeiten menschlicher Nutzer ebenso unterstützen und erweitern wie einschränken. Ihr Risikopotentialist beträchtlich. Die Anwesenheit solcher nichtmenschlichen Akteure wirft zahlreiche Fragen auf: Wie weit sollen ihre Handlungsfähigkeiten alsStellvertreter, Assistent oder Gegenspieler menschlicher Nutzer reichen? Welche Aspekte der Gestaltung des Netzverkehrs sollen an Agenten delegiert werden? Wer entscheidet darüber, wofür Agenten eingesetzt werden?

7 Elektronische Märkte
  Das Internet gilt als der elektronische Marktplatzder Zukunft; gegenwärtig ist der Umfang kommerzieller Transaktionen im Netz noch eher gering. Ein großer Stellenwert kommt der Frage nach zukunftsträchtigen Nutzungsformen zu. Von einer breiteren Nutzung bzw. Nachfragehängt es aber ab, ob sich tatsächlich elektronische Marktplätze für Arbeit, Bildung und Freizeit mit einemvielfältigen Angebot kommerzieller und nicht-kommerzieller Art entfalten werden. Ebenso unbestimmt wie die Gestalt möglicherMassenmärkte ist bislang der Umfang, in dem sich die Wirtschaft künftig offener Datennetze bedienen wird und - damit zusammenhängend - das Ausmaß, in dem weiterhin geschlossene, proprietäre Netze genutzt und ausgebaut werden. Erst die Verfügbarkeit und Akzeptanz verbindlicher elektronischer Zahlungsmittel wird einer breiten kommerziellen Nutzung der Netze den Weg ebnen.Buchstäblich eine Schlüsseltechnologie sind dabei kryptographische Verfahren zur Authentifizierung von Personen und Informationen. In der Netzwelt istTechnik sowohl Kultur als auch Politik.

Literatur
  H.-D. Hellige: "Militärische Einflüsse auf Leitbilder, Lösungsmusterund Entwicklungsrichtungen der Computerkommunikation", in: Technikgeschichte 59/4, 1992, 372-401; S. G. Jones (Hg.): Cybersociety. Computer-Mediated Communication and Community. Thousand Oaks 1995; M. Rost (Hg.): Die Netzrevolution. Auf dem Weg in die Weltgesellschaft. Frankfurt am Main 1996; S. Turkle: Life on the Screen. Identity in the Age of the Internet. New York 1995; T. Wetzstein u.a.: Datenreisende. Die Kultur der Computernetze. Opladen 1995.

 

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