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b) Begleitende Attributionen

Wie bereits erwaehnt, zeichnen sich Zentrumsuser vor allem durch Computer- und Netzwissen aus. Dieses Wissen ist ebenso-wenig aeusserlich sichtbar wie der Jargon, aber einige der mit dem Spezialistentum einhergehenden Eigenschaften sind es. Woran erkennt man einen Zentrumsnet'er, wenn man einem begegnet? Die im folgenden dargestellten Begleiteigenschaf-ten entsprechen sowohl dem gaengigen Klischeebild von Compu-terfreaks, die nur aus Gehirn und Schnittstelle zum Rechner bestehen, als auch dem in den Real- Programmer- oder Bastard-Operator-From-Hell-Texten propagierten Image. Was fuer Aussenstehende laecherlich oder abstossend sein mag, wird in Insiderkreisen als positives Zeichen von Genialitaet und Hingabe an das Metier bewertet. Insider sind etwas besonde- res, sie haben es nicht noetig, zu normalen Arbeitszeiten in Anzugund Krawatte zu erscheinen und verplempern ihre kost-bare Zeit nicht mit Nebensaechlichkeiten. Insider erkennen sich auch an bestimmten, sie von der Masse unterscheidenden Begleiteigenschaften, wovon einige hier skizziert werden.

Die hier vorgestellten Begleiteigenschaften wie Ernaehrung, Kleidung, Arbeits-/Wohnraeume und Netzreisezeiten beziehen sich auf die realweltliche Existenz, reichen aber in das Netz hinein. Im Rahmen meiner ethnologischen Netzbetrachtung waere es belanglos, nach dem Verhaeltnis von Beschreibungen, die im Netz ueber die realweltliche Seite wie z.B. die Beklei-dung abgegeben werden einerseits und andererseits dem real-weltlich Vorfindbarem zu fragen. Die folgenden Beschreibun-gen stammen aus dem Netz. -

"Chaos in der Hackerbude"

Wie sehen die realweltlichen Raeume aus, in denen sich zum Zentrum rechnende Bewohner ihre Datenreisen antreten? So wie bei Buecherwuermern die Buecher oder in Malerateliers die Farbtoepfe das Ambiente bestimmen, sind es Computer, Modems und Leitungen, die die Datenreise-Bahnhoefe dominieren. In CCC.GER [16], dem Forum des Chaos Computer Clubs, kam um die Jah-reswende 93/4 ein Austausch zum Thema "Chaos in der Hackerbu-de" auf, nachdem jemand gefragt hatte: "Mich wuerde mal in-teressieren, in welchem durchschnittlichen Zustand das Zim-mer sich befindet, in dem der Rechner steht, auf dem ihr gera-de diese Mail zu Augen bekommt." Viele haben daraufhin ge-schildert, wie sehr sich in ihren Raeumlichkeiten alles um den oder die Rechner und Zubehoer dreht. Ausfuehrliche Beschreibungen von Unordnung und Vernachlaessigung aller nicht unmittelbar auf Computer und DFUe bezogenen Anteile der Raeume betonen den herausragenden Stellenwert von Computern und DFUe. Hier einige Auszuege aus dieser ganz lustigen, aber nur ein bestimmtes Usersegmentrepraesentierenden Umfrage:
... unter mir, zu beiden seiten meine beiden tower, meine fuesse ahlen sich in ausgelatschten espandrillos im kabelsalat unterm tisch. *

... festgetrammpelte Dioden, die sich im Teppich verflochten haben, und auch beim staubsaugen schon nicht mehr rauskommen... *

... und staubgesaugt?? wuerd ich ja auch gern, der staubsauger steht neben mir - das problem ist nur, ich seh so wenig vom fussboden... kleider, schachteln, blaetter , kabel, schrauben, karten... abfall.. videokassetten..disketten.... ohje ohje... muss jedes mal nen treesearch laufen lassen [17], der mir einen moeglichen weg vom compi zur tuer berechnet :) *

... ich sage nur: EIN GENIE UEBERBLICKT DAS CHAOS. *

... Ich bin froh, dass ich den Monitor noch sehe und das Keyboard jedesmal wiederfinde. *

... Alles voller Kaffeeringe und gammeliger Brotbretter *WUERG* Ich werd' mal saubermachen... *

... ehhh ... den zustand dieser bude hier kann man wirklich nur noch als chaos bezeichnen :) ... versuchen wirs zur abwechslung mal graphisch:

  +-------------------------+---------------+---+
  | noch'n schrank        |1|               |#8#|
  |-------+---------------+ |      3        |###|
  | Bett\ | ################+---------------+###|
  | Matr  | #######################*#########+-+| <- 2
  |  aze  |                         #########+-+|
  |       | # #######+-----+-----+--------+ +--+|
  +-------+ # #######|  4  |  5  |   6    | |7 ||
Tu|########## #######+-----+-----+--------+ +--+|
ere\          ##################################|
  |###########################################9#|
  |+-------------------------------------------+|
  |        maechtiger einbauschrank            ||
  |+-------------------------------------------+|
  +---------------------------------------------+

*   - ich
      allgemeinen zeitschriften, coladosen\flaschen,
      zeitschriften,leere teller\call a pizza schachteln
      leere kippen schachteln, klamotten, telefon, tower
      gehaeuse, 2 stuehle, kabel, tabakbeutel, kabel,
      buecher, kabel, leere paper's
      etc etc etc (wie sonst ueberall halt auch :) ))
' ' - gerade noch freier raum (irgendwie musz ich ja
      zum comp bzw. ins bett kommen :) )
1   - Big Tower (offen 'tuerlich, da man oefter mal was
      auswechseln musz) [wie die anderen comp's auch]
2   - StereoAnlage: (von unten nach oben)
      kompaktanlage (CD,TAPE,TUNER) + eingebauter
      gitarren preamp, vollverstaerker, CDTV (aua - nicht
      mit steinen werfen ;) ), S*NY CD player, tape deck,
      plattenspieler, radio
3   - schreibtisch (von links nach rechts - uff):
      monitor, monitor, ZyX, monitor, boxrechner,
      pseudo_server keyboard, keyboard, laptop, 24oo'er,
      notebook, keyboard, Mousepad,2x20cm cd-stapel,
      kiloweise disketten, kippenschachteln, etc. - was
      halt auf dem boden auch so rumliegt...
4   - Monitor Schachtel -> jetzt tisch, da 17" 'er
      sehr sehr grosz
5   - Tower Schachtel -> auch tisch  | chaos, wie auch auf
6   - Glasplatte auf 2 boxen, tisch  | dem boden
7   - 4x12" 'er gitarrenbox (subwoofer) mit nochmals ca.
      40-50 CD's drauf
8   - box (sound), schreibtischlampe, #
      dazu noch: schrank: voll mit buecher, cd's,
      festplatten, disketten und was sonst noch so
      reinfaellt/fliegt einbauschrank: voll mit klamotten,
      und - ja - was sonst noch so reinfaellt/fliegt :)
Etwas belaechelt wurde folgender Satz eines Users, der sich damit als jemand geoutet hat, der ein unaufgeraeumtes Zimmer als Vorzeige-Symbol fuer Insiderstatus verwechselt hat mit einem unaufgeraeumten Zimmer, das sich bei Insidern aufgrund ihrer Taetigkeit quasi einfach so ergibt: "Tja,zu meiner Schande muss ich zugeben, dass ich vorige Woche (auf Monate-langes draengen meiner Mutter hin) mein Zimmer aufgeraeumt habe."

An diesem Beispiel laesst sich gut verdeutlichen, dass die Insider-Insignien wie ungewoehnliche Arbeitszeiten oder Fast Food einerseits "natuerliche Beiprodukte" von Insidern sind, diese Insignien zum anderen aber auch zum Repraesen-tieren benutzt werden koennen. Besonders Neulinge scheinen sich mitunter darum zu bemuehen, zumindest durch entspre-chende Symbole als etwas zu scheinen, was sie (noch) nicht sind. Hierzu gehoeren neben gewissen aeusseren Merkmalen ebenfalls die oben erwaehnten Profilierungstricks auf Verbalebene (vgl. Wagner o. J.). Beim "Chaos in der Hacker-bude" wird die bewunderte oder angestrebte Konzentration auf die Computer deutlich wie auch bei der Fast- Food-Ernaehrung. So wie in anderen Bereichen, wo beispielsweise Sonntagsmaler oder Hausmusiker nicht ganz ernst genommen werden, zaehlt im Computerbereich nur die voellige Hingabe an das Metier.

Fast Food

Ernaehrung durch Fast Food gehoert fuer viele Insider zum taeglichen Brot und fuer einige auch zur Imagepflege. Die Weizenbaumschen "Computerfetischisten" lassen sich Sand-wiches an ihren Rechnerplatz bringen, "Real Programmers survive on Twinkies [18] and coffee", ihre Terminals sind umge-ben von "... some half- dozen or so partly filled cups of cold coffee. Occasionally, there will be cigarette butts floating in the coffee" (Condon o. J.), und Hacker bevorzugen "das bekannte 8-gaenge-menue: pommes, currywurst und 'n six_pack !!!"* Geistiges Futter wird hoch bewertet, Futter fuer den Koerper wird nebenbei zugefuehrt, ohne den Platz am Rechner verlassen zu muessen. Die Klischeefiguren von Weizenbaum und ein anerkanntes Genie wie Richard Stallman schlafen gleich auf Liegen bei ihren Computern, was ja ungeheuer Zeit ein- spart :-)

Kleidung

Im Anhangteil des als Woerterbuch gefassten Hacker Jargon Files sind einige Geschichten und Typisierungen vonHackern fuer Hacker zusammengestellt. In dem von zahlreichen Use- net'ern erstellten Profil von "J. Random Hacker" finden sich zum Thema Kleidung Angaben wie
... Casual, vaguely post-hippie; T- shirts, jeans, running shoes, Birkenstocks (or bare feet). Long hair, beards, and moustaches are common... Female hackers almost never wear visible makeup, and many use none at all. (Jargon2912 o. J.: Appendix B).
Dies ist ein Kleidungsstil, der nicht speziell von Hackern, sondern von vielen Menschen bevorzugt wird, denen keine spe-ziellen Bekleidungen vorgeschrieben sind. Interessant ist ein anderer Abschnitt aus diesem Portrait, wo der Kleidungs- stil zur prinzipiellen Frage erklaert wird:
Hackers dress for comfort, function, and minimal maintenance hassles rather than for appearance (some, perhaps unfortunately, take this to extremes and neglect personal hygiene). They have a very low tolerance of suits and other `business' attire; in fact, it is not uncommon for hackers to quit a job rather than conform to a dress code. (Jargon2912 o. J.: Appendix B).
Gleichmachendes, nicht auf Bequemlichkeit ausgelegtes Business-Outfit widerspricht einem Selbstbild, das sich auf Inhalte, nicht aber auf Formalien und Dekor stuetzt. Krawat-ten symbolisieren nicht nur Kommerz, sondern auch unnuetzen Schnickschnack, und sind in dieser Hinsicht so unpassend wie ueberfluessige bedienerfreundliche Software oder ausfuehr-liche Dokumentationen zu Programmen. So wendet man sich mit einem Kleidungsstil gegen einen anderen, wobei der Gegen-Stil nicht weniger Konformitaet aufweist als derjenige, ge-gen den dieser gerichtet ist.

Nachtaktive Wesen

Die realweltlichen Naechte stellen die bevorzugten Arbeits- und Netzreisezeiten dar.
No RealProgrammer works 9 to 5 (unless it's the ones at night)... Real Programmers arrive at work in time for lunch. (Condon o. J.)

Es ist eine typische Sommernacht, in der mal wieder niemand wegen der Hitze ins Bett findet. So auch nicht der schon leicht senile, angegraute SysOp(a) der Red_STar, der die ganze Nacht hinueber mit schweren Augen (zuviel Bier) und nervoesen Fingern (viel zuviel Kaffee) an der Console hockte, um einige gute Chats mitzukriegen und ausserdem noch die schon lange bestel-lten Files durch den Draht schickte, damit unsere Freunde in den USA auch mal etwas gute Software auf den Rechner bekommen. Die Nacht schleicht sich langsam aus dem Blickfeld, und die Uhr schiebt den grossen Zeiger gemaechlich in Richtung sieben. (Schorsch (Modem_max) 1992: 221).

Nachts sind die Leitungen weniger belastet als zu normalen Geschaeftsstunden, es ist ruhiger und man kann ungestoerter und vielleicht auch kreativer arbeiten. "Programming (or making music) at night is dreamtime, a period exclusively mental, utterly absorbed, sustained and timeless, place-less, disembodied" (Brand 1987: 58). Neben den genannten taetigkeitsbezogenen Gruenden hat die Nachtarbeit etwas gegenueber dem "Normalen" abgrenzendes, was sich mit dem distinguierten Selbstbild vieler Zentrumsnet'er trifft. Computerfreaks sind etwas Besonderes, und dies soll sich nicht nur in der Computertaetigkeit, sondern auch im Habitus zeigen.

 

 

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