Startseite Über uns Endbericht (Hyper-)Texte Allerlei Interaktionen Sitemap
Startseite Über uns Endbericht (Hyper-)Texte Allerlei Interaktionen Sitemap

Finnische Software: Eroberung des Internet
  NORDEUROPA JOURNAL, Dezember 1994

Sabine Helmers , 12/94

  Sprungbrett
1  Eroberung des Internet

 

 
1 Eroberung des Internet
  Früher als Deutschland erkannten die nordischen Länder das bedeutende Potential des Internet. Clevere finnische Softwareentwickler leisten Glanzstücke der Programmierkunst.

Weltweit verbindet das Internet, ein riesiges Computernetz, schätzungsweise zwanzig bis dreißig Millionen Menschen in mehr als siebzig Ländern. Vor rund zwanzig Jahren in den Vereinigten Staaten in seinen Ansätzen und Basistechniken entwickelt, gehört es heute zum Alltag einer besonders in den letzten Jahren sprunghaft angestiegenen Zahl von Nutzerinnen und Nutzern aus Wissenschaft, Verwaltung, Unternehmen und anderen Bereichen. Auch in Europa wird das Internet immer populärer. Über ans Netz angeschlossenen Rechner eröffnet sich ein Zugang zu unüberschaubar großen, in der Regel noch immer kostenfrei nutzbaren Datenbeständen mit vielfältigsten Informations- und Software-Angeboten, die auf Internet-Rechnern, den sogenannten Hosts, zum Abruf bereit stehen. Natürlich kann man auch selbst solche Angebote zur Verfügung stellen. Man kann am elektronischen Postverkehr teilnehmen oder sich direkt, online, mit einem oder mit mehreren Gesprächspartnern unterhalten. Technisch betrachtet ist das Internet ein eher lockerer Verbuhd unterschiedlicher Netzwerke, die für den Datenaustausch ein bestimmtes Übertragungsprotokoll und Adressierungssystem benutzen. In der Internetwelt haben von den europäischen Ländern gerade die nordischen eine prominente Rolle.

Das nordische Forschungsnetz NORDUnet, das mit einem gut ausgebauten Datennetz Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen miteinander verbindet, ist Teil des weltumspannenden Internet. Betrieben wird es von den nationalen Forschungsnetzen in Dänemark, Finnland, Island, Schweden und Norwegen. Seinen Geschäftssitz hat NORDUnet in Horsholm, Dänemark. Der wichtigste Verkehrsknoten liegt, wie die Abbildung veranschaulicht, in Stockholn. Dort laufen die großen Datenfernstrecken zusammen. Das isländische Isnet ist mit einer Satellitenverbindung an diesen Hauptverkehrsknoten angeschlossen. Das Informations- und Software-Archiv, das auf den Internetrechnern des finnischen FUNET zusammengetragen und zur Verfügung gestellt wird, bildet heute den größten Datenbestand innerhalb des NORDUnet. Wer Zugang zur Datenübertragung per FTP (File Transfer Protocol; damit kann man über eine Netzverbindung Daten zwischen Computern, auch weit entfernten, transferieren) hat, kann sich mit einem Blick auf den Server ftp.funet.fi ein eigenes Bild davon machen. Die dort archivierten frei erhältlichen sogenannten Public Domain Softwareprogramme, die besonders auch von Wissenschaftlern viel genutzt werden, sind sogar eine der größten Public Domain Samlungen im ganzen Internet. Diese Programme wurden von ihren Entwicklern der Öffentlichkeit übereignet und kursieren frei im Netz. Das in jüngster Zeit mehr und mehr an Bedeutung gewinnende, einfach zu navigierende und farbenfrohe Informationssystem World Wide Web (WWW) ist auf zahlreichen NORDUnet Rechnern installiert. Die Informationsangebote sind fast immer zweisprachig, so daß man sie auch ohne Kenntnisse der Nationalsprachen nutzen kann. Innerhalb Europas waren die nordischen Länder mit Frankreich im Jahre 1988 die ersten, die sich an das US-amerikanische Wissenschaftsnetz NSF auf der anderen Seite des Atlantik angeschlossen haben. Deutschland hat erst ein Jahr später diesen wichtigen Netzanschluß vollzogen. Die nordischen Länder haben nicht nur sehr früh am , Internetverkehr teilgenommen, sondern auch sehr intensiv. Deutlich wird dies mit ein paar Zahlen: Im Oktober 1990 hat das ja nicht eben bevölkerungsreiche Finnland fast 3.500 Internet-Hosts betrieben, Norwegen rund 4.000 und Schweden über 6.000. Zur-selben Zeit waren es in Deutschland gerade rund 3.400, in Frankreich etwa 3.100, in Großbritannien sogar nur 300.Inzwischen haben diese Staaten die nordischen Internet-Pioniere eingeholt. Berücksichtigt man die geringere Bevölkerungsdichte im Norden, belegen diese Länder immer noch einen Spitzenplatz.

Die netzprominente Rolle des europäischen Nordens beruht heute aber nicht mehr so sehr auf den Netzanschlüssen, sondern gründet sich in hohem Maße auf das, was von dort aus in das Netz eingespeist wird. Berühmt sind zwei in Finnland entwickelte Softwarepakete: Ein leistungsstarkes Betriebssystem, das nach seinem "Erfinder" Linux heißt, sowie ein Programm zur weltweiten online-Kommunikation namens Internet Relay Chat (IRC). Beide Ent- wicklungen sind nicht-kommerziell, das heißt, sie können kostenfrei bezogen und genutzt werden, was in der Internetkultur traditionell hoch geschätzt wird. Linux ist auch für den Endnutzer interessant, während die IRC- Software fast nur von Systemverwaltern installiert wird. Nutzen können die IRC Software dann aber alle im Netz. Linus Torvalds, ein junger Student an der Technischen Universität Helsinki, hat vor wenigen Jahren auf einen kleinen Computer ein Glanzstück der Programmierkunst vollbracht und erntet dafür netzweite Anerkennung, wird zu Vorträgen eingeladen und für Computermagazine interviewt. Seine Entwicklung heißt Linux und ist ein Betriebssystem der Unix-Familie. Diese Systeme werden vor allem von solchen Nutzerinnen und Nutzern bevorzugt, die besondere Anforderungen an Leistungsfähigkeit und Zugänglichkeit stellen. Kommerziell entwicklete und vertriebene Unix-Systeme sind nicht eben preiswert, benötigen oftmals spezielle Hardware und werden im Privatbereich daher selten eingesetzt. Auch für Universitäten und Forschungseinrichtungen ist die Preisfrage nicht immer unwichtig. Linux hingegen ist nicht nur kostenfrei, es arbeitet auch mit preiswerter Hardware der PC Massenmärkte. Ein weiterer und für viele Computerspezialisten sehr bedeutender Unterschied zu kommerziellen Produkten ist, daß die zugrunde liegenden Programmierungen, gewissermaßen die technischen Baupläne, ebenso frei erhältlich und damit für die Benutzer nachvollziehbar sind. Dies bedeutet, daß die Software gegebenenfalls für den eigenen Bedarf umprogrammiert und verändert werden kann. So viel Einblick in die Konstruktionspläne und das Know-How eines Systems können verkaufende und in Konkurrenz stehende Anbieter aus verständlichen Gründen nicht gewähren. Liegen deren Stärken und Vorzüge in Service und Ausgereiftheit der verkauften Software, so besteht ein wichtiger Vorzug von Linux in seiner Entwicklungsgeschwindigkeit. Längst ist es nicht mehr Linus Torvalds allein, der an Linux arbeitet. Ueber die diversen Kommunikationskanäle des Internet kooperiert seit Anfang 1992 ein inzwischen internationaler Entwicklerkreis, wobei die Fäden bei Linus Torvalds zusammenlaufen. Programmierfragen werden rund um die Uhr per Email oder on-line diskutiert, über auftretende Probleme oder Programmfehler berichtet, Testergebnisse mitgeteilt usw. In kurzen Abständen werden neue Linuxversionen oder Programmteile, in das Netz gegeben. Linux ist nicht das einzige freie Unix-System - aus den USA kommen FreeBSD und NetBSD - es ist in Europa aber sehr verbreitet. Viele Internetrechner auf der Welt bieten Linux Software an, die man sich, zwar etwas umständlich, aber dafür direkt von der Werkbank der Entwickler, mittels des oben erwähnten FTP auf seinen Computer herunterziehen kann. Noch ist Linux nicht fertig entwickelt und mehr etwas für Bastelfreunde, dennoch gibt es Schätzungen, nach denen die internationale Linuxnutzer- und Fangemeinde zahlenmäßig in die Hunderttausende gehen. Genaues weiß keiner, denn Verkaufsiahlen und Lizenzen gibt es bei Linux nicht. Auf einen norwegischen Internetrechner wurde ein Zählwerk eingerichtet, bei dem sich Linuxnutzer registrieren lassen können. Bis Jahres- ende 1994 machten von dieser freiwilligen Meldung aber nur rund 10.000 Personen gebrauch. Die Rechneradresse für das Register lautet ftp.aun.uninett.no /pub/misc/linux-counter.

Genaü Zahlen sind bei der anderen finnischen Software-Entwicklung bekannt, dem Internet Relay Chat, denn beim IRC werden alle Nutzerinnen und Nutzer gezählt. Im Moment, in dem ich dies schreibe, sind es genau 4.793, die sich über dieses Internet Kommunikationsprogramm in kleinen Grüppchen über bestimmte Themengebiete wie beispielsweise Linux oder auch ganz allgemein über dies und das online per Tastatureingaben "unterhalten". In der Regel geschieht dies in Englisch, der Verkehrssprache des Internet. Es gibt aber auch zahlreiche IRC-Kanäle für die Kommunikation in anderen Sprachen. Die IRC Kommunikation ist öffentlich, man kann sich aber auch privat austauschen. Auf großes Interesse stoßen die sogenannten "Report"-Kanäle, die bei besonderen Situationen wie beispielsweise dem Golfkrieg, dem Putschversuch in Moskau oder dem großen Erdbeben in Kalifornien eingerichtet werden und wo Meldungen aus Kriegs- und Krisengebieten unmittelbarer und manchmal auch schneller die Welt erreichen als durch herkömmliche Medien. 1988 hat Jarkko Oikarinen von der Universität Oulu die IRC Software entwickelt - bestimmt für den lokalen Gebrauch in Oulu und mit anfänglich gerade zehn IRCern. Bald kamen Tampere und Helsinki hinzu, und das IRC ging um die Welt. Nach Deutschland gelangte es im Herbst 1989. IRCer kennen sich als eingetippte Buchstaben auf dem Bildschirm. Die Kommunikation ist ohne Mimik und Gestik, ohne Stimme Und Gesicht. Möchte man sehen, welche Menschen das sind, mit denen man auf dem IRC diskutiert, plaudert, streitet, lacht, dann besucht man eine realweltliche IRC Party. In Deutschland werden sie zweimal jährlich an wechselnden Orten veranstaltet. Das weltweit erste IRCer Treffen fand im Sommer 1989 auf dem Campus der Technischen Universität Helsinki statt. Auf diesen Parties begegnen sich Menschen, die sich oft nur als Buchstaben aus der Netzwelt kennen, dann in der Realwelt. "Aha. So siehst Du also aus." Es wird nicht nur diskutiert, geplaudert, gestritten, gelacht, das Geschehen steht auch unter feucht-fröhlichen Sternen - womit wieder einmal gezeigt werden kann, daß Computernetzwerker nicht immer die trockenen Langweiler sind, für die sie von Außenstehenden mitunter gehalten werden.

Die vermeintlich graue Netzwelt, in der sich allenfalls ein paar Computerspezialisten in Fach-Chinesisch über esoterische Programmierfragen austauschen, entspricht nicht der bunten Informations- und Kommunikationslandschaft des Internet, die für jede Interessenlage vieles zu bieten hat. Dies haben die nordischen Länder sehr früh erkannt und für sich nutzbar gemacht. Bis heute erstrahlt die in Europa jüngst mit so viel Medienrummel gefeierte Datenautobahn am hellsten in Nordlicht.

 

Startseite Über uns Endbericht (Hyper-)Texte Allerlei Interaktionen Sitemap
Startseite Über uns Endbericht (Hyper-)Texte Allerlei Interaktionen Sitemap

Projektgruppe "Kulturraum Internet". c/o Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
Reichpietschufer 50, 10785 Berlin. Telefon: (030) 254 91 - 207; Fax: (030) 254 91 - 209;
; http://duplox.wzb.eu.