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Virtuelle Körper
Aspekte sozialer Körperlichkeit im Cyberspace | |
WZB Discussion Paper FS II 96-105, Wissenschaftszentrum Berlin 1996 Jörg Müller
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Zusammenfassung | |
Virtuelle Körperlichkeit, im Sinne eines Körpers der in den
immateriellen Welten des Cyberspace beheimatet ist, scheint ein Widerspruch in
sich zu sein. Denn die Materie des Körpers, sein Fleisch und Blut liegt
quer zu den a-stofflichen Welten der Bits und Bytes. Dennoch begegnet man auf
den Streifzügen durch die Netzwelten oder beim Blick in die
computersimulierten, dreidimensionalen virtuellen Realitäten
"Körperfragmenten". Diese werden nicht aufgrund materieller
Qualitäten als solche wahrgenommen, sondern in erster Linie weil sie
funktionale sowie hauptsächlich soziale Aspekte des "realen" Körpers
im Cyberspace reproduzieren. Neben der Bewegungs- und Raumfunktionalität,
die auch in virtuellen Umwelten Orientierung, Navigation und Interaktion erst
ermöglicht, konstituiert sich virtuelle Körperlichkeit durch die
Sprache des Körpers, seine Eigenschaft als Signifikant sowie als Grundlage
von Werten und Normen. Es sind dies vor allem Aspekte sozialer
Körperlichkeit, die auch in den immateriellen Welten des Cyberspace
existieren und letztlich virtuelle Körperlichkeit aus der Taufe heben.
Durch die Differenz eines materiellen und immateriellen Körpers wird in
der Folge ein Potential der Infragestellung unseres bisherigen
Verständisses des Körpers eröffnet. Gegen Ende dieses Textes
bieten sich demnach Anknüpfungspunkte an die historische "Dekonstruktion"
des Körpers an, wobei die neuen Computertechnologien als individueller
Erfahrungsort dieser geschichtlichen Arbeit verstanden wird.
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Abstract | |
When adressing the topic of "virtual bodies" in relation to Cyberspace one is
immediately confronted with an apparent contradiction: the flesh of the body
belongs to a completely different realm than that of the bits and bytes of
computers. However, on closer inspection one encounters fragments of virtual
bodies either while surfing the net or while looking at these computer
generated, three dimensional virtual realities. They are, however, not
perceived as bodies because of their material qualities but rather because they
reproduce functional and mainly social aspects of the "real life" body. Apart
from functionality of movement which enables orientation, navigation and
interaction in Cyberspace, the virtual body is constituted through
body-language, its capacity as a significant and as a bias for norms and rules.
These are mainly social aspects of the the body which also exist in immaterial
Cyberspace and which give life to the virtual body. It is through this
difference between material and immaterial bodies which consequently opens up a
potential for questioning our understanding of the body. This paper discusses
several points for relating possible experiences in Cyberspace to the
historical deconstruction of the body.
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1 Von der Auflösung des Körpers* | |
Es ist stürmisch geworden um den Körper. Die Schönheitschirurgie
löst die "natürlichen" Formen des Körpers in medialen
Idealbildern und "Künstlichkeit" auf. Die Medizin dringt immer tiefer in
die letzten Geheimnisse des fleischlichen Körpers vor, rationalisiert und
seziert ihn, um schließlich seine Komponenten Stück für
Stück durch verläßlichere Implantate zu ersetzen, sei es in
Form künstlicher Gelenke, Herzen oder fötaler Frischzellen. Zusätzlich schrecken uns Visionen einer körperlosen Zukunft aus dem Lager der Künstlichen Intelligenz und Robotikingenieure. In den trockenen Träumen eines ihrer bekanntesten Vertreter, Hans Moravec, muß der Geist von den Fesseln des Körpers, des bloßen wet meat befreit werden, um sich grenzenlos in die scheinbare Unendlichkeit des elektronischen Datenraumes auszudehnen (Moravec 1996). Die descartsche Spaltung zwischen Körper und Geist reproduzierend, wird das menschliche Bewußtsein als informationsverarbeitendes System, analog dem Computer und damit auf diesen übertragbar, konzipiert. Sobald der Geist als freischwebende Software zu Bewußtsein kommt, ist der Körper aus Fleisch und Blut, als Grundlage des Bewußtseins, überflüssig: er kann durch gegebenenfalls stabilere, kräftigere und verläßlichere Roboter ersetzt werden - die Entkörperlichung wäre perfekt1. Gegenwärtige virtual reality Technologien liefern bereits einen Vorgeschmack auf die entkörperlichte Zukunft. Ausgerüstet mit Datenbrille und -handschuh erleben wir, zur körperlosen Perspektive reduziert, die Wunder der simulierten Computerwelten, in denen die Gesetze des physischen Körpers außer Kraft gesetzt sind. Eine weitere Stoßrichtung der Auflösung des Körpers ergibt sich durch die weltweite Computervernetzung. Das Netz überwindet die Trägheit des stofflichen Körpers indem es einen erdumspannenden Kommunikationsraum konstituiert, welcher die weitverstreuten Weltenbürger zu anonymen, körperlosen Nachbarn eines globalen Dorfes zusammenzieht. Von allen Seiten kreist die Technik den materiellen Körper ein, der in ihrem übermächtigen Angesicht erblaßt, langsam transparent wird, um sich scheinbar ganz aufzulösen. Im Gegensatz zu dieser vorherrschenden materiellen Perspektive, möchte ich den Diskurs der Auflösung des Körpers von einer rein stofflichen auf eine soziale Ebene heben, d.h. den Körper als eingeflochten in ein soziales System und Technik gleichzeitig als eine neue Form der Sozialität betrachten. Damit entstehen vor dem Auge des Betrachters mehrere "Nebenschauplätze" der Auseinandersetzung zwischen dem Lebendigen und dem Leblosen. Der Körper ist nicht nur Materie, sondern darüber hinaus eng verknüpft mit der Struktur und den Funktionszusammenhängen unseres sozialen Seins. Er ist auf vielfältige Weise eingebettet in die Bedeutungszuweisungen, Interaktionsformen und Regulierungsmechanismen, welche entstehen, wenn Menschen sozial handeln. So markiert bei Bourdieu der Körper Klassenzugehörigkeit und ist damit unverzichtbare Grundlage der Hierarchisierungs- und Differenzierungsmechanismen der modernen Gesellschaft (vgl. Bourdieu 1993: 727ff.). Goffman streicht die basale Rolle des Körpers als Handlungsressource in unseren alltäglichen Interaktionen heraus (vgl. Goffman 1963: 35, 1969). Diese sozialen Aspekte entgehen einer rein materiellen und biologischen Perspektive auf den Körper. Im gleichen Ausmaß, wie der biologische Blickwinkel nicht hinreichend für die Bestimmung des Körpers ist, greift die Charakterisierung der neuen Computertechnologien als Basis des Immateriellen, als Basis der körperlosen virtuellen Welten, zu kurz. Die globale Computervernetzung generiert nicht nur eine "null-dimensionale" Datenwelt, sondern durch synchrone Kommunikationsdienste wie den Multi-User-Dungeons (MUDs) und dem Internet Relay Chat (IRC) entsteht auf der Grundlage der Computernetzwerke ein neuartiger, "mehrdimensionaler", sozialer Raum. Das bezeichnende Merkmal der weltweiten computer mediated communication (CMC) ist nicht allein die Simulation einer immateriellen Welt, sondern vielmehr die Konstituierung einer sozialen Welt. Dies bedeutet nicht, daß die gegenseitige Anonymität und Nichtzugänglichkeit der (Körper der) Interagierenden irrelevant für die Bestimmung dieses Kommunikationsraumes sind, sondern daß die Berücksichtigung der sozialen Qualität dieser Technik zu ihrer adäquaten Charakterisierung unerläßlich ist. In der Folge verschieben sich die Ebenen der Auseinandersetzung zwischen dem Körper und dem Cyberspace: ich möchte in diesem Sinne das Interesse auf die Einbettung von Aspekten sozialer Körperlichkeit in einen technikgenerierten Interaktionsraum lenken. Wie sich zeigen wird, ist es uns nach wie vor verwehrt im Cyberspace zu fühlen, real zu essen oder zu trinken, und insofern liegt der stoffliche Körper quer zur Immaterialität der virtuellen Welt, allerdings greifen Interagierende auch im Cyberspace auf den Körper und seine Sprache, auf den Körper als Signifikant bzw. den Körper zur Etablierung von Regeln des Umgangs zurück. Von einem virtuellen Körper zu sprechen, bezieht sich daher hauptsächlich auf den Körper als Teil sozialer Systeme. Indem nun im Kontext der Computertechnologien die Frage der Körperlichkeit nicht mehr ausschließlich zwischen den Polen der Materialität und Immaterialität verhandelt wird, sondern soziale Aspekte ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken, ensteht eine eigentümliche Spannung zwischen dem stofflichen und dem virtuellen Körper. Soziale körperliche Erfahrungen sind nicht mehr an die Stofflichkeit und relative Stabilität sowie Unveränderlichkeit des "natürlich" gegebenen Körpers gebunden. So ist z.B. die emotionale Ausdrucksfähigkeit der Körpersprache ebenso Teil des sozialen Cyberspace wie der Körper in seiner Eigenschaft als Signifikant. Der hervorstechende Kontrast, welcher sich durch die Existenz eines materiellen und immateriellen Körpers ergibt, begründet in der Folge ein Potential der Infragestellung unseres Körper-Verständnisses. Am Ende dieser Arbeit stehen damit Anknüpfungspunkte an die Entlarvung des Körpers als kulturelles und historisches Konstrukt. Die neuen Computertechnologien stehen in diesem Sinne weniger für die immaterielle Bedrohung eines stofflichen Körpers, sondern entpuppen sich vielmehr als individueller Erfahrungsort einer "Dekonstruktion" des Körpers. | |
2 Cyberspace | |
William Gibson (1995) prägte mit seinem Cyberpunk Roman Neuromancer
den Begriff des Cyberspace und entwarf in seiner Science Fiction eine Technik,
die bereits heute in Ausschnitten Realität geworden ist. Ich möchte
an dieser Stelle allerdings nicht anhand Gibsons Roman den Begriff Cyberspace
aus- und die gegenwärtig damit bezeichneten Phänomene beleuchten,
sondern zu diesem Zweck einen Blick in die Vergangenheit, d.h. in die
Kinderstube des Computers werfen. Seit den 40iger Jahren bis zur Gegenwart
stechen in der Computergeschichte zwei auffällige Entwicklungslinien ins
Auge, welche die grundlegenden Eigenschaften repräsentieren, die der
Begriff des Cyberspace umfaßt. In besagten Anfangsjahren füllten Computer noch ganze Zimmer aus und waren daher nicht nur weit davon entfernt, in unsere Westentaschen zu passen, sondern dienten auch gänzlich anderen Zwecken als den gegenwärtigen. So verwendete man sie vor allem als Rechenkünstler, als "Zahlenfresser", deren Aufgabe darin bestand, komplizierteste und vor allem an Zahlenmaterial aufwendige Rechnungen zu kalkulieren. Die Eingabe der auszuführenden Operationen bzw. Rechnungen erfolgte mittels Lochstreifen von einer extra dazu befugten und aufgrund ihres Spezialistentums wohl auch verehrten Bedienungsmannschaft (vgl. Rheingold 1995: 83). Seit diesen glorreichen, ersten Computerpioniertagen hat sich nicht nur die Rechenleistung enorm gesteigert, sondern, was angesichts dieser spektakulären Entwicklung immer gern in Vergessenheit gerät, auch der Zweck sowie die Bedienungsfreundlichkeit des einstigen Rechenknechts verändert. Subtraktion und Addition bilden zwar nach wie vor die elementaren Operationen des Computers, aber diese werden nicht ausschließlich zur Kalkulation von Rechnungen eingesetzt, sondern, im auffälligen Gegensatz zu den ersten Jahren, immer mehr zur weltweiten Kommunikation (Turkle 1996b). Auch haben wir uns inzwischen weit davon entfernt, dem eigenen Computer in Haus und Heim gelöcherte Papierstreifen zu füttern und sind dazu übergegangen, die Kommunikation zwischen uns und der Maschine per Maus und drag-and-drop System zu bewältigen. Weitere Entwicklungen in dieser Richtung versuchen das Interface, also die Schnittstelle zwischen Mensch und Computer immer nahtloser zu gestalten, indem die Bewegung der Augen, allgemein des Körpers, abgetastet und in Befehle für den Computer umgesetzt werden. Sobald der Computer auf den Leib geschnitten ist, sobald es nur noch einer leichten Drehung des Kopfes bedarf um mit dem Computer zu kommunizieren, bewegt man sich in einer Art des Cyberspace. Es sind diese künstlichen, computergenerierten Umgebungen, diese "virtuellen Realitäten" (VR), zu denen man sich am bekanntesten mit Datenhandschuh und Datenbrille Zugang verschafft und welche eine Dimension des Cyberspace konstituieren. Konkret sieht dies so aus, daß der Computer eine Simulation z. B. eines Raumes erzeugt, die mittels eins Head-Mounted-Displays (HMD) den NutzerInnen präsentiert wird. Das HMD umschließt dabei das gesamte Sichtfeld. Wichtig ist, daß man der Simulation nicht ausweichen kann, d.h. blickt man im virtuellen Raum umher, so erzeugt der Rechner die korrespondierende Perspektive auf dem Display und es entsteht der Eindruck, tatsächlich am virtuellen Ort zu sein. In der künstlichen Umgebung muß der eigene Körper nicht repräsentiert werden, woraus folgt, daß man zur reinen Perspektive reduziert in den immateriellen Datenraum blicken kann. Fehlt allerdings die virtuelle Repräsentation des eigenen Körpers bzw. eines Körperteils völlig, so führt dies schnell zu Orientierungslosigkeit und Navigationsschwierigkeiten. Meist wird deshalb eine Hand in der Simulation erzeugt, deren Bewegungen zu den Bewegungen der realen Hand im Datenhandschuh korrespondieren. Doch dazu mehr im nächsten Abschnitt. An diesem Punkt genügt es festzuhalten, daß die rechnergenerierten, dreidimensionalen Welten sehr anschaulich vermitteln, was mit dem Begriff des "Cyber-Raums" gemeint ist: eine computergenerierte, meist räumliche Umgebung, in der man sich durch die natürlichen Bewegungen des Körpers zurechtfindet. Das heißt nichts anderes, als daß der Computer die Bewegungen des Körpers "versteht" und in Befehlssequenzen, z.B. zur Erzeugung einer bestimmten Perspektive, übersetzt. Daneben bezeichnet Cyberspace aber auch, zunächst einmal auf einer rein technischen Ebene, das globale Datennetz, in dem mittlerweile mehr als 9 472 000 Hostrechner2 miteinander verbunden sind. Computer dienen eben nicht mehr ausschließlich der Kalkulation, sondern werden, analog dem Telefon, zur Kommunikation eingesetzt. Die einzelnen Rechner sind über Leitungen miteinander verbunden, in denen nichts als immaterielle Datenpakete mittels einer gemeinsamen "Sprache", z.B. dem TCP/IP Protokoll im Internet, verschoben werden. Plastischer wird dieses Rechnernetz, führt man sich die darin zur Verfügung stehenden, unterschiedlichen Kommunikationsmöglichkeiten vor Augen. Die wohl inzwischen bekanntesten Nutzungsarten sind das Verschicken von elektronischer Post und das World-Wide-Web (WWW), welches den Zugriff auf ein unüberschaubar großes, vor allem graphisch aufbereitetes, Informationsangebot ermöglicht. Neben diesen asynchronen existieren allerdings auch synchrone Kommunikationsdienste, wie das Internet-Relay-Chat (IRC) oder die Multi-User Dungeons/Dimensions (MUDs)3. Ein MUD bzw. das IRC ist zunächst einmal nichts weiter als ein Computerprogramm, welches die synchrone Kommunikation zwischen im Prinzip unbegrenzt vielen BenutzerInnen eines Rechnernetzes ermöglicht. Die "Unterhaltung" bleibt dabei auf das Tippen bzw. Lesen von Textzeilen beschränkt. Vergleichbar mit einem Telefongespräch, bei dem visuelle Information, wie z.B. das Tapetenmuster, sprachlich umgesetzt werden muß, um dem Partner am anderen Ende der Leitung zugänglich zu sein, ist bei MUDs und dem IRC jede Information auf eine Umsetzung in Textzeilen am Computerbildschirm angewiesen. Das heißt, nicht nur das Tapetenmuster, sondern auch die im Telefongespräch noch stimmlich vermittelten Befindlichkeiten und persönlichen Eigenschaften, wie Alter oder Geschlecht, bedürfen, sofern sie denn kommuniziert werden wollen, einer Umsetzung in Text. Sandy Stone spricht in diesem Zusammenhang von "narrow bandwidth communication" (1995b: 92ff.): Im Gegensatz zur face-to-face Gesprächssituation, bei der eine große Bandbreite an Informationskanälen, wie Stimmlage, Gesten und Mimik, zur Übertragung von Informationen genutzt wird, ist der Austausch von Informationen im Netz größtenteils auf ASCII-Code eingeschränkt. Interessant wird diese Einengung der Kommunikationsbandbreite, geht es um die daraus resultierende Veränderung realweltlicher sozialer Phänomene wie Vergemeinschaftung, Liebesbeziehungen, Vertrauen oder körperlicher Nähe, die sich in veränderter Form auch in der kalten Welt der Nullen und Einsen beschreiben lassen. An dieser Stelle deutet sich eine weitere Dimension des `Cyberspace' an: bis hier hat sich die Begriffsbestimmung auf einer rein technischen Ebene bewegt, wonach Cyberspace zum einen die virtuellen Welten der head-mounted-displays, zum anderen das globale Rechnernetz zum Austausch von Datenpaketen beinhaltet4. Jedoch meint Cyberspace auch immer die neuen sozialen und kulturellen Phänomene mit, die sich innerhalb des Kommunikationsraumes des Datennetzes entwickeln. Das Computernetz ist die Grundlage für einen neuartigen, immateriellen sozialen Raum, in dem sich zwischenmenschliche Beziehungen entwickeln, Identitäten ausprobiert und gemeinsame Welten konstruiert werden können. Auch wenn diese virtuelle Gemeinschaft unter dem Vorzeichen der narrow bandwidth communication und der teilweise daraus resultierenden, gegenseitigen hohen Anonymität der InteraktionspartnerInnen steht, so kann man dort dennoch Freunde und Feinde finden, Teil einer Gemeinschaft sein, sich lieben und sogar im sicheren Hafen der Ehe vor Anker gehen. Vor allem in synchronen Kommunikationsdiensten, wie den MUDs oder dem IRC läßt sich die Herausbildung einer eigenen Kultur, mit ihren eigenen Werten, Ritualen und ihrer eigenen Sprache beobachten. In diesem Sinne wird der Cyberspace auch gern als eine consensual halucination bezeichnet, als eine imaginäre aber dennoch von Millionen Menschen gemeinsam gestaltete, bewohnte und gelebte Welt. Ein anschauliches und in diesem Zusammenhang beliebtes Beispiel sind die Emoticons, die den Zeichenkombinationen der regulären Tastatur einen neuen Sinn geben. Der Smiley :-) , welcher neben zahlreichen anderen Emoticons wohl am häufigsten Verwendung findet, bedeutet nicht mehr Doppelpunkt-Bindestrich-Klammer zu, sondern bringt die wohlwollende Absicht seines Autors - ein Grinsen - zum Ausdruck. Zusammenfassend lassen sich folgende Dimensionen des Cyberspace erkennen: zum einen beinhaltet Cyberspace die computergenerierten virtuellen Welten, in denen sich die BenutzerInnen mittels Datenanzug und Datenbrille bewegen. Zum anderen bezeichnet der Begriff die weltweit über Datenleitungen miteinander verbundenen Rechner und den dadurch konstituierten Kommunikationsraum. Dessen charakteristische Eigenheit ist die Cybersociety (vgl. Jones 1995), sind die neuartigen sozialen und kulturellen Phänomene, die in diesem technikgenerierten Aktionsraum entstehen. Sinngemäß schreibt Sandy Stone: "und weil Gemeinschaften von Körpern bewohnt werden, wird es auch virtuelle Körper in virtuellen Gemeinschaften geben" (vgl. Stone 1994: 103). Im folgenden soll deshalb die Kontour dieses "Cyber-Bodys" herausgearbeitet und hauptsächlich gezeigt werden, durch welche sozialen Merkmale er als Teil einer Gemeinschaft fungiert. Dem möchte ich eine Beschreibung der Räumlichkeits- und Bewegungsfunktionalität des Körpers vorausschicken, welche besonders anschaulich das Prinzip immaterieller Körperlichkeit demonstriert. Verständlicher und gleichsam plastischer tritt der virtuelle Körper hervor, zieht man die metaphorische Ebene der "Anwesenheit" in die folgenden Ausführungen ein. Da der Cyberspace als dreidimensionaler Raum (VR) aber auch abstrakter, als sozialer Raum beschrieben werden kann, läßt sich virtuelle Körperlichkeit zusammenfassend als Garant der Anwesenheit in diesen Räumen begreifen. Die Anwesenheit in einem geometrischen, dreidimensionalen Raum ergibt sich durch die Beweglichkeit, der Navigation und Interaktion mit/in der virtuellen Umgebung. Die Anwesenheit in einem sozialen Raum wird durch die Etablierung von sozialen Beziehungen, das Sprechen der gleichen Sprache, die Kenntnis der Werte und Normen erreicht. | |
3 Räumlichkeit und Beweglichkeit des Körpers | |
4 In Virtueller Realität | |
Wie bereits in der Einleitung angeklungen, scheinen sich Cyberspace und
Körper durch ihre Immaterialität bzw. Materialität gegenseitig
auszuschließen. Einerseits wird durch die globale, computervermittelte
Kommunikation der Körper in seiner Trägheit und Materialität
überwunden. Unter dem Vorzeichen der Information ist nun jeder Ort der
Welt bequem vom Schreibtisch aus per Mausklick zu erreichen, wo früher
tagelange Strapazen in kauf genommen werden mußten. Andererseits zeigen
die VR-Technologien den "Gewichtsverlust" des stofflichen Körpers an:
durch das Aufsetzen einer Datenbrille verschwindet dieser aus dem Gesichtsfeld
des Benutzers und ist innerhalb der Computersimulation falls überhaupt,
dann nur als beliebig leicht zu manipulierendes Objekt wahrnehmbar. Der Geist
wird durch das Ausblenden des realen Körpers befreit und gewahrt sich als
reiner "Blick" in sein neues Reich, den Datenraum. Der Materialität des
Körpers tritt hiermit die Immaterialität des Cyberspace entgegen. Folglich kann sich die Rede von der "Anwesenheit" in virtuellen Welten nicht auf die stofflichen Qualitäten des Körpers beziehen. In den Cyberspace einzutauchen bedeutet nicht, dort mit dem fleischlichen Körper präsent zu sein. Vielmehr meint "Anwesenheit" im Kontext von dreidimensionalen, euklidischen - im Unterschied zu den sozialen - Räumen, die aus der "Realität" bekannte Bewegungsfunktionalität des Körpers zur Orientierung, Navigation und Interaktion zu beanspruchen. Ich möchte die Bedeutung der Körperrepräsentation für die Anwesenheit in dreidimensionalen computergenerierten Räumen zunächst am Beispiel der VR-Technologien veranschaulichen, um in einem zweiten Schritt diese Bewegungsfunktionalität auch in den virtuellen Welten der MUDs hervortreten zu lassen. Was an dieser Stelle so metaphorisch mit "Anwesenheit" umschrieben wird, hat im Kontext der VR-Technologien eine präzise Bezeichnung, nämlich "Immersion", was soviel bedeutet wie "eintauchen in" virtuelle Realitäten. Nicht umsonst werden vor allem Datenhandschuh und Datenbrille mit den virtuellen, dreidimensionalen Welten assoziiert, denn diese beiden Gerätschaften bürgen für den Effekt der Immersion und bilden gewissermaßen das Tor zur künstlichen Umgebung. Entscheidend für das Präsenzempfinden ist dabei erstens, die Synchronisation der (Kopf-)Bewegungen mit der erzeugten Perspektive bzw. dem vermittelten Bildausschnitt5. Dreht man den Kopf nach links, rechts, oben oder unten muß der Computer das entsprechende dreidimensionale Bild des Raumes bzw. von allem was sich in ihm befinden mag generieren und auf den mini-Bildschirmen vor den Augen der BenutzerInnen darstellen. Dadurch wird der Eindruck erzeugt, sich "wirklich" in diesen simulierten Räumen zu befinden. Allerdings ist dies erst die halbe "Immersions-Wahrheit". Rheingold schreibt in seinem Buch über "Virtuelle Welten. Reisen im Cyberspace" : Es gibt jedoch noch einen zweiten Gesichtspunkt [der Immersion] - die Frage, ob der Operator ein passiver Beobachter dieser Umgebung ist [ ] oder ob er die Möglichkeit zu aktiver Navigation und Exploration in ihr hat. (Rheingold 1995: 111) Diesen zweiten Gesichtspunkt, den Rheingold hier anspricht und der entscheidend zum Effekt der Immersion beiträgt, ist die Repräsentation einer Hand in der VR. Über einen Datenhandschuh werden die Bewegungen der Finger, allgemein die Gesten der realen Hand, auf die simulierte Hand in der virtuellen Umgebung übertragen. Um den Rechenaufwand gering zu halten, wird die virtuelle Hand meist sehr schematisch dargestellt, was allerdings ihrer Funktionalität keinen Abbruch tut. Durch sie wird es möglich, die computergenerierte Welt zu manipulieren, simulierte Gegenstände an einen anderen Platz zu verschieben sie zu untersuchen oder mit ihnen zu "jonglieren". Vor allem erlaubt es die Hand dem Benutzer sich selbst in Relation zur künstlichen Umgebung zu setzen. Rheingold beschreibt diesen Umstand treffend mit dem Satz: "Die Hand, die im virtuellen Raum schwebte, war mehr als eine Hand - sie war ich" (Rheingold 1995: 159). Die Hand garantiert die eigene Position innerhalb des Raumes, bestimmte Bewegungen lassen den Benutzer, d.h. die Perspektive, tiefer in den Raum gleiten, andere nach links, rechts, oben oder unten. Das subjektive Bewegungsgefühl der realen Hand wird nun in Relation zur virtuellen Umgebung wahrgenommen und garantiert dadurch das Gefühl der Immersion. Die Repräsentation ermöglicht es somit, sich in der VR zu orientieren, darin zu navigieren und letztlich auch mit den darin enthaltenen Gegenständen zu interagieren, kurz: die Simulation der Hand ist entscheidend daran beteiligt, sich am virtuellen Ort anwesend zu fühlen. Basal für die Konstitution des virtuellen Körpers ist daher nicht das Ausmaß, indem es möglich wäre, den stofflichen Körper in den Cyberspace zu übertragen, sondern vielmehr das Ausmaß, in dem seine Bewegungs- bzw. Raumfunktionalität dorthin transferiert wird. Wie soeben gezeigt, können diese in einem immateriellen Medium simuliert werden, bzw. sind vielmehr grundlegend um überhaupt Zugang, Orientierung, Navigations- und Manipulationsfähigkeit in diesem Medium zu gewinnen. Im Zusammenhang der VR-Technologien ist es noch relativ naheliegend vom virtuellen Körper zu sprechen, da wenigstens eine visuelle Repräsentation des Körpers in der Simulation zu sehen ist. Die bildliche Darstellung des virtuellen Körpers in computergenerierten Welten ist allerdings keine Voraussetzung, um seine Konstitution anzuzeigen, da seine Bewegungs- und Raumfunktionalität auch in rein textorientierten virtuellen Welten - z. B. den MUDs - anzutreffen ist. | |
5 In textorientierten virtuellen Welten: MUDs | |
MUDs, wie bereits im Abschnitt über die Begriffsbestimmung des Cyberspace
erläutert, sind zunächst einmal nichts weiter als Programme zum
online Plausch über Gott und die Welt. Aber MUDs sind mehr: es sind Orte
der Anwesenheit, labyrinthische Ansammlungen von verschiedensten Räumen
und Gegenständen, die es zu kreieren und erkunden gilt. Das heißt,
die Kommunikation mit anderen findet in einer - ebenfalls textorientiert
vermittelten - räumlichen Umgebung statt. Mit dem login befindet
man sich automatisch in einer solchen "Anfangsumgebung", einer kurzen
Ortsbeschreibung, die für eine erste Orientierung sorgt. Beim
MorgenGrauen6 an der Universität Münster
sieht dies folgendermaßen aus: Der grosse Raum mit seiner niedrigen Decke und den grob geschnittenen Querbalken hat Platz fuer sehr viele Personen. Knarrende Dielen erzaehlen ueber Heldentaten laengst vergessener Abenteurer, beruehmter als mancher Weise unserer Zeit. Abenteurer, aber auch andere Bewohner dieser Welt kommen hierher, um sich zu informieren, ihre Erfahrungen auszutauschen oder sich in den verschiedensten Wissenschaften zu verbessern. Durch die immer offene Tuer scheint die aufgehende Sonne herein und fuellt den Raum mit ihrem goldenen Licht. Sonst gibt es hier nur noch den Ausgang im Norden, welcher auf die Hafenstrasse fuehrt und Bilder an den Waenden, mit Zeichnungen und Gemaelden von MorgenGrauen. Eins der Bilder erlaeutert die Funktion der Gilde und eine grosse Uhr an der Wand zeigt, was die Stunde schlaegt. An einer anderen Wand haengt eine steinerne Tafel. Nach oben fuehrt eine Treppe in das Buero des Foerdervereins Projekt MorgenGrauen e.V., das Du unbedingt besuchen solltest. Es gibt zwei sichtbare Ausgaenge: oben und norden. Analog zum wirklichen Leben und analog zu den 3D-Welten der VR hält auch in den texorientierten synchronen Kommunikationsdiensten der MUDs eine Räumlichkeits- und Körpermetaphorik Einzug, die es erlaubt, dort anwesend zu sein. Parallel zur Realität, in der wir durch unseren Körper die Freiheit zur Bewegung genießen, impliziert die Beweglichkeit zwischen den verschiedenen simulierten Orten den virtuellen Körper. Durch Richtungskommandos wie Norden, Süden, Oben, Unten etc. wechselt man den Aufenthaltsort; der jeweils neue Raum erschließt sich durch eine kurze Beschreibung am Bildschirm. Der Eindruck von getrennten Räumlichkeiten innerhalb der MUDs wird vertieft, indem die Software sicher stellt, daß nur die Textzeilen von Personen auf dem Bildschirm erscheinen, die im selben Raum anwesend sind. Damit wird nicht nur auf grundlegende Art und Weise körperliche Präsenz im Cyberspace simuliert, sondern auch sicher gestellt, daß kein Gesprächswirrwar auf dem heimischen Bildschirm entsteht: hält man sich vor Augen, daß in MUDs nicht selten mehr als 50 BenutzerInnen gleichzeitig eingeloggt sein können, wäre es unpraktikabel und unkommunikativ, wenn alle miteinander gleichzeitig "sprechen" müßten. Neben der Wahl und damit der (körperlichen) Bewegung zwischen verschiedensten Räumlichkeiten in MUDs, wird explizit im Kontext von Interaktion mit der virtuellen Umgebung auf eine Körpermetaphorik zurückgegriffen. Erst durch die aus dem Alltag so vertraute Bewegungsfunktionalität des Körpers ist es möglich, mit und in der virtuellen Welt zu interagieren. Dazu stellt die MUD-Software ein bestimmtes Repertoire an Verben zur Verfügung, das es erlaubt einen Gegenstand, z.B. ein Buch, zu nehmen um es dann zu lesen (vgl. Argyle 1996). Konkret bedeutet dies, daß der Inhalt eines virtuellen Buches nur zugänglich ist, wenn dem MUD-Rechner die Kommandofolge "nehme Buch" und "lese Buch" mitgeteilt wird. Genauso muß ich, um näheres über ein Bild, einen Fernseher oder einen beliebigen anderen Gegenstand zu erfahren, das Kommando "schau Gegenstand" oder "untersuche Gegenstand" geben, worauf der Computer, sofern es denn programmiert wurde, nähere Details sendet. Dies soll nicht zu der Annahme verführen, daß ungehemmte Kommunikation mit anderen Anwesenden das gesamte MUD-Vokabular voraussetzt, ganz im Gegenteil, reicht doch zum reinen online chat in der Regel das Kommando "sage" aus. Allerdings ist dieses Befehls-Vokabular, welches den virtuellen Körper aus der Taufe hebt, eine wesentliche Voraussetzung um dort anwesend zu sein und sich selbst am virtuellen Ort zu glauben. Überzeugender wirkt dies, hält man sich die unterschiedlichen MUD - Typen vor Augen. Zum einen gibt es MUDs, die rein der Freude am chatten und gemeinschaftlichen Beisammensein dienen. Zum anderen existieren aber auch solche, die adventure-games nachempfunden sind und in denen es gilt Abenteuer zu bestehen, gegen Drachen zu kämpfen, Nahrung zu finden, Schatzpläne zu entziffern, auf Entdeckungsreisen zu gehen oder furchterregenden Wächtern uralter Geheimnisse Weisheiten zu entlocken. Durch den Computer wird eine ganze phantastische Abenteuerwelt simuliert, mit all ihren Drachen und Feen, allen guten und bösen Geistern7. An dieser Welt teilzunehmen bedeutet, sich in dem virtuellen Geschehen zu verlieren, die Zeit zu vergessen und mit all diesen Geschöpfen und Gegenständen das eigene Abenteuer zu gestalten und erleben. Die Anwesenheit in diesen virtuellen Welten wird durch die Bewegungs- und Raumfunktionalität des Körpers gewährleistet, denn durch den virtuellen Körper ist es möglich, Waffen zu führen um gegen Drachen zu kämpfen, die Schatzpläne zu nehmen um zu lesen, Türen und Truhen zu öffnen und letztlich Proviant für die langen und gefährlichen Reisen zu schultern. Mit einem Vergleich ließe sich abschließend zusammenfassen, daß in gleichem Maße, wie unser realer Körper der Punkt unseres Seins im Raum ist, der virtuelle Körper - durch seine Bewegungs- und Raumfunktionalität - die Anwesenheit des Einzelnen in den Computerwelten ermöglicht. Bis zu diesem Abschnitt hat sich die Beschreibung des Körpers auf einer relativ anschaulichen Ebene vollzogen. In den dreidimensionalen virtuellen Realitäten wurde der Körper bzw. einzelne seiner Teile noch graphisch realisiert, während in den MUDs diese Räumlichkeit bereits textorientiert und somit abstrakter vermittelt wird. Handelt es sich jedoch um soziale Räume, muß man sich zunächst ganz von der Vorstellung eines euklidischen Raumes befreien. Gegenstand ist nun die Partizipation an virtueller Gemeinschaft, d.h. an einem Geflecht von sozialen Beziehungen, zu deren Knüpfung, Aufrechterhaltung und Pflege ebenfalls auf den Körper zurückgegriffen wird. Das bedeutet nicht, daß zur Konstitution der Cybersociety der Körper unabdingbar ist, jedoch möchte ich zeigen, auf welche Weise er in eine immaterielle soziale Welt eingebunden ist und dadurch letztlich ins virtuelle "Dasein" gerufen wird. Wieder handelt es sich dabei nicht um stoffliche Qualitäten, die es erlauben von einem Cyberspace-Körper zu sprechen, sondern es sind seine sozialen Aspekte, die in ihrer Funktionalität in den Cyberspace transferiert werden können. | |
6 Soziale Aspekte des Körpers | |
Die gegenwärtigen reality-engines, wie Rheingold (1995) gerne die Computer zur Erzeugung dreidimensionaler virtueller Realitäten nennt, sind eine sehr kostspielige Angelegenheit. Nach wie vor ist der Aufwand an Rechenleistung für eine VR enorm, folglich muß für die entsprechenden Rechner bzw. die gesamte technische Ausstattung tief in die Tasche gegriffen werden. Natürlich steigt der Rechenaufwand mit der Anzahl der BenutzerInnen, die sich in ein und der selben VR aufhalten. Lange Rede, kurzer Sinn - die 3D-Welten des Cyberspace werden selten von mehr als zwei Menschen gleichzeitig und nur temporär "bewohnt", sie bieten daher keine Plattform für die Entstehung zwischenmenschlicher Beziehungen. Die Beschreibung der Konstitution des Körpers im virtuellen sozialen Raum bezieht sich daher rein auf den Cyberspace der Netzwelt, in dem zwar die Einzelnen nicht 24 Stunden am Tag partizipieren, sich jedoch durch die Gesamtheit der Millionen von NutzerInnen eine permanent agierende Kommunikationsgemeinschaft bildet. | |
7 Körpersprache | |
Eines der bezeichnenden Merkmale computervermittelter Kommunikation ist die
relativ hohe Anonymität zwischen den InteraktionspartnerInnen. Zur
Kommunikation stehen eben nur Tastatur und Bildschirm zur Verfügung und es
liegt daher im Ermessen des jeweiligen Benutzers, welche Informationen er oder
sie denn gerne der Online-Gemeinde präsentiert8. Dadurch werden aber gleichzeitig andere
Kommunikationskanäle, die in den alltäglichen
face-to-face Interaktionssituationen eine entscheidende Rolle
spielen, ebenfalls ausgeblendet und fallen der narrow bandwidth zum
Opfer. So greifen wir in unseren "realen" sozialen vis-à-vis Situationen
nahezu unbewußt auf den Körper als Kommunikationshilfe zurück:
Gesten, Mimik, der ärgerliche Klang unserer Stimme oder die
Körperhaltung ergänzen und unterstützen unsere sprachlichen
Ausdrucksmöglichkeiten. Bei der computervermittelten Kommunikation fallen
diese Vermittlungswege von subjektiv Gemeintem auf den ersten Blick weg. Auf
den zweiten Blick zeigt sich jedoch, daß zwar Gestik und Mimik des real
existierenden Körpers dem jeweils anderen nicht zugänglich sind,
diese Ausdrucksmöglichkeiten aber dennoch in die virtuellen Welten Eingang
finden. Das Mienenspiel, oder die Gestik des Körpers wird durch Text, d.h.
durch Beschreibungen am Bildschirm, substituiert. Es ist der
emote-Befehl, welcher das virtuelle Pendant zur Körpersprache
konstituiert - damit kann der MUD-Gemeinde mitgeteilt werden, ob man lacht,
weint, grinst, sonstige Verrenkungen vollführt oder dem ein oder anderen
in freundlicher Absicht zuwinkt. Ein kurzes Beispiel verschafft
Anschaulichkeit: Halten wir uns einen MUD-Spieler vor Augen, der sich selbst Olianda nennt und folgendes tippt: > emote grinst freundlich in die Runde woraufhin alle anderen Anwesenden im selben Raum sehen würden: >Olianda grinst freundlich in die Runde Explizit wird damit auf einen sozialen Aspekt unserer Körperlichkeit zurückgegriffen, um die ansonsten so natürlich von Angesicht zu Angesicht vermittelten Emotionen und Befindlichkeiten des Einzelnen auch in den a-stofflichen Räumen des Cyberspace mit einer gewissen Spontanität und Persönlichkeit mitteilen zu können. Abneigung oder Zuneigung, Interesse oder freundliche Aufforderung zum gemeinsamen Plausch lassen sich in der Regel einfacher anhand virtueller Gesten zum Ausdruck bringen, als durch wörtliche Formulierungen. Der Körper erlaubt es, spontan und unmittelbar eine gemeinsame Situationsdefinition zu etablieren, auf deren Grundlage die weitere Kommunikation leichter antizipiert und interpretiert werden kann (Geser 1990: 219). Das heißt, durch die virtuelle Körpersprache gelingt es auch, die Kommunikation persönlicher und emotionaler zu gestalten und einen vertrauten, oft wohlwollenden Stimmungs-Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen eine ungezwungene "Gesprächssituation" etabliert werden kann. Körpersprache gestaltet die Kommunikation nicht nur informeller, emotionaler und spielerischer, sondern Gestik und Mimik betten, die oft kryptischen Satzfragmente in einen unerläßlichen, übergeordneten Verstehens - Kontext. Andersherum formuliert: ohne die virtuelle Körpersprache wäre es oft sehr mühsam, den vom jeweiligen Autor intendierten Sinn eines am Bildschirm flimmernden Satzes zu verstehen. Worte und Sätze allein teilen nur die Hälfte des Gemeinten mit; in unseren alltäglichen Interaktionen verlassen wir uns deshalb fast schon automatisch auf die kontextuelle Einbettung der gesprochenen Worte in unser Mienenspiel bzw. unsere Gestik. Erst der nonverbale, körperliche Ausdruck verleiht den oft höchst ambiguosen Sätzen einen eindeutigen Sinn. Mittels der virtuellen Geste entlastet man sich gewissermaßen von der lästigen Frage, ob das eben "Gesagte" auch richtig verstanden wurde. Durch einen "smiley" lassen sich z.B. sarkastische Anmerkungen abschwächen und damit sicherstellen, daß der intendierte Sinn der Aussage beim Rezipienten verstanden wird. Erst der virtuelle Körper erlaubt es daher, den Sinngehalt von Sätzen eindeutig zu bestimmen und die Einengung der normalerweise in Anspruch genommenen "Informationskanäle" zu kompensieren. Mit anderen Worten: Kommunikation im Netz ist vor allem auf das emotionale Ausdrucksvermögen des Körpers zur Vermittlung von subjektiv Gemeintem angewiesen9. Beobachtet man sich z.B. als Neuling beim ersten Kontakt mit den MUDs oder dem IRC, fühlt man sich zunächst seltsam hilflos - man weiß nicht wie man sich ausdrücken soll und vor allem kann, um das Beabsichtigte einigermaßen verständlich den anderen mitzuteilen. Besonders in den MUDs fühlt man sich vom Kommunikationsfluß zunächst ausgeschlossen, solange man nicht die Befehle der Körpersprache beherrscht. Dazu gehört z.B. auch die Kenntnis des elementaren Kommandos "sage", ohne das man sich praktisch nicht im online-Geschehen bemerkbar machen geschweige denn beteiligen kann. Erst mit dem Erlernen der virtuellen Körpersprache und auch den verschiedenen Möglichkeiten den Cyberspace gemeinsam zu manipulieren, steigt man in die soziale Welt ein. Erst dann kann man an der Gemeinschaft partizipieren, die Nuancen der Sprache mit denen des Körpers kombinieren und einen spontanen, emotionalen und persönlichen Umgang pflegen. Daher das Bild der "Anwesenheit": um im sozialen Raum des Cyberspace zu sein, um kommunizieren und soziale Beziehungen aufbauen zu können, ist man auf das Ausdrucksvermögen des realen und nun in der Virtualität reproduzierten Körpers angewiesen. Zwischenmenschliche Beziehungen im Netz aufzubauen, heißt auf die Sprache des Körpers zurückzugreifen, heißt Nähe, Zuneigung und Intimität einzuführen, heißt spontanes Verstehen zu ermöglichen. In diesem Sinne möchte ich den virtuellen Körper als Garant von Anwesenheit im sozialen Raum des Cyberspace verstehen. | |
8 Der Körper als Signifikant | |
Viel von der Aufmerksamkeit, welche die Sozial- und Geisteswissenschaften
gegenwärtig dem Körper widmen, ist der Entdeckung des Körpers
als "epochales Sozialkonstrukt" (Duden 1991: 107) geschuldet. Der Körper
erscheint, vor allem im Spiegel der Geschichte, nicht mehr als
unveränderliches, von kulturellen Vorstellungen verschont gebliebenes,
"authentisches, natürliches" Objekt, sondern seine Bedeutungen und
sozialen Funktionen sind kontingent und in ihrer Spezifität nicht auf
"Natur" sondern auf gesellschaftliche Kräfteverhältnisse
zurückzuführen. Den Körper aus seiner A-Historizität zu
befreien bedeutet dabei weniger die Veränderlichkeit seiner
Materialität durch die Jahrhunderte aufzuzeigen, als die jeweils "auch
anders möglichen" Prämissen der Wahrnehmung und Körpererfahrung
herauszuarbeiten. Das, was wir gegenwärtig unter dem Körper verstehen
bzw. was zu einer bestimmten historischen Epoche unter dem Körper
verstanden wurde10, und was gewissermaßen
"den Körper" konstituiert, wird als Produkt sozialer Aushandlungsprozesse
betrachtet. Folglich kann der Körper nicht als ein rein biologisches
Objekt verstanden werden. Neben dem Aspekt der Raum- und Bewegungsfunktionalität sowie dem Aspekt der Körpersprache, manifestiert sich virtuelle Körperlichkeit dementsprechend auf einer dritten Ebene als Spiegelung realweltlicher, körperlicher Bedeutungsdimensionen im Cyberspace. Menschen aus aller Welt klicken sich in die virtuelle Gemeinschaft ein und bringen zunächst einmal ihr alltägliches Verständnis und ihre, im "wirklichen" Leben geschaffenen Konnotationen des Körpers ein. Diese "Bedeutungsschwere" des realen und damit auch virtuellen Körpers manifestiert sich vor allem in den Kommunikationsmustern, die sich um seine Repräsentationen anlagern. Nicht die Materialität des Körpers verbürgt seine Existenz im Cyberspace, sondern seine Eigenschaft als Signifikant, d.h. das was er konnotiert - sei es soziales Geschlecht, Lebensstil oder kulturelle Identität. Die Eigenschaft, Interaktion im Netz zu strukturieren, d.h. gegenseitige kommunikative Erwartungen und Typisierungen aufzubauen, zeigt sich besonders klar am Beispiel von Geschlechtlichkeit. So greifen wir bei unseren alltäglichen face-to-face Situationen auf den biologischen Körper und damit auf (soziales) Geschlecht als Referenzpunkt der Kommunikation zurück. Unbewußt richten wir unser Gespräch am Geschlecht des Gegenübers aus - sei es z.B. durch die unterschiedliche Interpretation eines Augenzwinkerns oder die unterschiedliche Bereitschaft "zuvorkommend" die Tür zu öffnen. Wir sind in einem starken Maße daran gewöhnt, die geschlechtliche Identität unseres Gesprächspartners zu kennen und damit auf ein Repertoire an gesellschaftlich festgelegten, gemeinsamen Bedeutungszuweisungen zurückzugreifen. Unter dem virtuellen Körper möchte ich die Reproduktion dieser (geschlechtlichen) Konnotationen fassen, welche sich in Erwartungen, Einschätzungen bzw. gegenseitigen Typisierungen und Kommunikationsmustern äußern. Beispielsweise lassen sich im Cyberspace zwei bekannte stereotype Verhaltensweisen der Realwelt beobachten, wonach weibliche Personae11 von RL-Männern einerseits als technisch besonders unerfahren und daher hilfsbedürftig, andererseits als sexuell verfügbar wahrgenommen werden. So ist es für Neulinge der MUD-Welten günstig einen weiblichen Charakter zu kreieren, denn damit ist ihnen ein höheres Maß an Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft der überwiegend männlichen Netznutzer gewiß, und es eröffnet sich ein leichterer Zugang zur MUD-Gemeinschaft. Allerdings können diese "Hilfsangebote" mit der Erwartung "kleiner" Gegenleistungen verknüpft sein, die oft nicht weit von handfesten sexuellen Anspielungen, Erwartungen und Belästigungen (Bruckmann 1996, Reid 1994, Stone 1995b:120) entfernt liegen. Ein weiteres Beispiel für die "Bedeutungsschwere" des Körpers, welche sich in der Interaktionsweise niederschlägt, ist das gender-swapping. Damit wird die Möglichkeit bezeichnet, sich der Netzgemeinde als Angehörige/r des anderen Geschlechts auszugeben. Elisabeth Reid berichtet von ihrer ersten gender-swapping Erfahrung folgendes: Many people are simply unable to negotiate social encounters without needing to fix, at least in assumption, the genders of their interlocutors. [ ] Once deprived of the social tools which I, as female, was used to deploying and relying on, I felt rudderless, unable to negotiate the most simple of social interactions. I did not know how to speak, wether to an woman or to `other' men, and I was thrown of ballance by the ways in which other people spoke to me. (Reid 1994) Der männliche bzw. weibliche Körper ist für Reid sehr stark mit einer spezifischen Sicht bzw. mit einer bestimmten Art und Weise des Kommunizierens verbunden. Beim gender-swapper paßt der "bewohnte" Körper nicht mehr zur "natürlichen", gewohnten Verhaltensweise. Dadurch, daß Reid sich als Mann im Netz ausgibt, ist sie verunsichert, weil ihre weibliche, gewohnte Art zu "Sprechen" nicht mehr mit den online vermeintlich erwarteten, männlichen Kommunikationsmustern und Aussagen übereinstimmt. Wenn alle anderen Personae sie als Mann wahrnehmen sollen, wie muß sie sich dann verhalten, was muß sie sagen um als Mann zu gelten? Auch wenn in der Regel relativ schnell die ersten Skrupel überwunden und spielerisch die Grenzen des kommunikativ typisch weiblichen bzw. männlichen ausgelotet werden, so wird doch anhand eben aufgeführter Beispiele deutlich, was es heißt den virtuellen Körper als Signifikant zu begreifen. Im Zusammenhang der Reproduktion realweltlicher, geschlechtsspezifischer Verhaltensweisen12 als auch im Kontext des gender-swappings manifestiert sich der virtuelle Körper in seiner Eigenschaft als Zeichen geschlechtlicher Identität. In dieser Eigenschaft strukturiert er Interaktion im Netz, das heißt, er entsteht als "Abdruck" der Bedeutungsdimensionen des realen Körpers im Kommunikationsverlauf. Man könnte auch sagen, daß die Konnotation des Körpers (hier: von sozialem Geschlecht) in der Form kommunikativer Erwartungen kondensieren. Dabei bilden die z.T. noch nicht erwähnten Repräsentationsmöglichkeiten die Kondensationspunkte für die Bedeutungen des Körpers. Es lassen sich verschiedene Möglichkeiten unterscheiden, den Körper im Netz anzuzeigen. Damit z.B. das gender-swapping klappt, ist es nicht nötig eine ausgefeilte und besonders detailgetreue Beschreibung anzufertigen - oft reicht schon die Wahl eines Namens um soziales Geschlecht anzuzeigen bzw. typische Gesprächsinhalte und -verläufe hervorzurufen. Aber es gibt vor allem in den MUDs vielfältigere Gelegenheiten, den eigenen character und Körper nach Lust, Laune und Phantasie zu gestalten. Die grundlegendste Art den eigenen virtuellen character zu beschreiben, ihm Kontur zu verleihen, geschieht durch die Namensgebung. Der Name ist gleichsam die Existenzbedingung, die das Vorhandensein einer Person im Netz anzeigt. Ohne Name, d.h. auch ohne account, ist man von den Wundern der online Welten ausgeschlossen. Vorausgesetzt, dem account und somit den MUD Welten steht nichts im Wege, kann mit dem @describe me as -Befehl die äußerliche Erscheinung des characters, seine wesentlichen Eigenschaften, Vorlieben, Interessen und Abneigungen festgelegt werden. Das heißt, man legt auf dem MUD-Rechner eine kleine Datei an, in der die persönliche Beschreibung gespeichert wird. Diese kann im Prinzip unendlich oft verändert werden. Durch den look-Befehl ist es dann möglich, sich einen ersten Eindruck des Gegenübers, neben dem direkten Austausch im Gespräch, zu verschaffen: Olianda A mysterious looking woman with red hair which falls in curls down her back. Her eyes flash, and the color seems to change every time. One minute they are bright blue, the next dark black. She has full, red lips, and her smile implies a secret only she knows. Olianda is dressed in a deep purple shift made of silk and black, furry heels. She is wearing her holly dance shirt and several rings on her fingers. She is awake and looks alert. Zusätzlich zum @describe me as-Befehl erweitert und erzwingt der @gender-Befehl die Gestaltung des virtuellen "Ichs". In den meisten MUDs muß die sogenannte gender-flag gesetzt werden, d.h. die MUD-Software besteht darauf, daß Freud und Leid der Geschlechtlichkeit in die virtuelle Welt eingeschlossen werden. Allerdings werden dabei nicht nur die altbekannten Strukturen des Alltags reproduziert, neben dem "klassischen" männlich/weiblich gibt es eine neutrale gender flag oder eine hermaphroditische, gefolgt von phantasievollen Anregungen aus der Science Fiction Literatur. Es sind im wesentlichen diese drei Befehle, auf die zum Zweck der Persönlichkeits-Gestaltung im Netz zurückgegriffen wird. Mittels des Körpers gelingt es damit auch, die Gesamtpersönlichkeit zu vermitteln und die Kommunizierenden nebenbei von einer permanenten "verbalen" Selbstdarstellung ihrer selbst zu entlasten (vgl. Geser 1990: 212ff.). An dieser Stelle deutet sich bereits die Unvermeidlichkeit der Repräsentation des Körpers an, worauf ich gegen Ende dieses Abschnitts zurückkommen werde. Zuvor möchte ich aber noch auf einen weiteren Kristallisationspunkt virtueller Körperlichkeit im Zusammenhang mit seiner Funktion als Signifikant hinweisen. Neben der Namensgebung, dem describe-me-as Befehl und der gender-flag, implizieren nämlich Handlungen körperliche Bedeutungen und damit letztlich den virtuellen Körper. Das heißt, ausschlaggebend ist im wahrsten Sinne des Wortes nicht, ob man die virtuellen Gesten und "Schläge" am eigenen Leib spürt, sondern inwiefern deren Bedeutungsgehalt reproduziert wird. Die chat-Gemeinde achtet darauf, daß durch bestimmte Körpergestiken unterschiedliche soziale Beziehungen zum Ausdruck gebracht werden. Seinem virtuellen Gegenüber Schläge auszuteilen bedeutet etwas anderes, als ihn/sie/es zu umarmen, d.h. die Umarmung, eine Geste die gewisse Vertrautheit zwischen den Beteiligten zum Ausdruck bringt, gilt auch im Cyberspace als Geste körperlicher Nähe, und wird deutlich von anderen Aktionen zwischen charactern unterschieden (Cherny 1994). Insofern "spürt" man also die Berührung im Cyberspace nicht im Sinne eines realen Hautkontakts, sondern in der Form von kommunikativen Sanktionen oder positiv gewendet, sozialer Aufmerksamkeit und Anerkennung. So ist es z.B. unangebracht, als Neuling innerhalb bestimmter MUDs jedem sofort ein "whuggle", eine Art Cyberumarmung, zukommen zu lassen, um die persönliche Aufgeschlossenheit der Gemeinschaft gegenüber kundzutun. Die Umarmung soll eine gewisse affektive Zuneigung zum Ausdruck bringen, parallel der Haut-zu-Haut Berührung in Real Life (RL), zu der man sich schon ein bißchen besser kennenlernen sollte (was in der Regel allerdings schneller geht als in RL). Natürlich kann niemand davon abgehalten werden, im Schutz der Computeranonymität jeden und alles sofort zu whuggeln, allerdings dürfte es in der Folge schwerer fallen, akzeptiertes Mitglied innerhalb der MUD-Gemeinde zu werden, bei der sich "Umarmungs-Regeln" etabliert haben. In dieser Hinsicht ein besonders sensibles Gebiet ist die Sexualität, die für viele gewiß das Zentrum der Cyberspace Welt ausmacht13. In deren Kontext wird deutlich, wie folgenreich "aufgezwungene" virtuelle Aktionen werden können, die dann zu bestimmten (körperlichen) Bestrafungsaktionen oder, im schlimmsten Fall, gar zum Rausschmiß aus dem MUD, führen. Der virtuelle Körper, welcher in diesem Kontext durch seine Gestik und Mimik angezeigt wird, spiegelt die Bedeutungen der realen Aktionen. Virtuelle Gesten und Berührungen, die für sich genommen nichts weiter als Bits und Bytes sind, reproduzieren somit realweltliche Konnotationen von Haut-zu-Haut Berührungen. Sie gestatten es, Intimität und Nähe, aber auch Abneigung, also allgemein unterschiedliche soziale Beziehungsmodi zu etablieren. Mit anderen Worten läßt sich festhalten, daß der Körper im Cyberspace durch die unterschiedlichen Bedeutungsgehalte seiner Aktionen konstituiert wird. Eingangs habe ich darauf hingewiesen, daß die Existenz des virtuellen Körpers auf einer metaphorischen Ebene als Anwesenheit in sozialen Räumen verstanden werden kann. Der Körper in seiner Funktion als Signifikant fügt sich auf folgende Weise in dieses Bild, wodurch er zusammenfassend weiter an Anschaulichkeit gewinnt. In den virtuellen Welten des Cyberspace wandeln nur Personae, d.h. Repräsentationen wirklicher Menschen. Die Art und Weise, wie sich uns jemand im Netz präsentiert, muß aufgrund der Anonymität nicht das geringste mit der realen Identität gemein haben. Dadurch wird es möglich, andere "Zweitidentitäten" im Netz auszuprobieren. Mann kann z.B. eine Frau spielen, die versucht einen Mann zu mimen. In der Folge verbürgt der reale Körper nicht mehr "eine" Identität, ist der stoffliche Körper nicht mehr Sitz eines Subjekts14. Trotz dieser Auflösungserscheinungen der strikten Verbindung zwischen Körper und Identität assoziieren wir dennoch mit jeder Personae einen Körper, wohl vor allem deshalb, weil in der Realität nur die Einheit von Körper und Akteur/Identität existiert. Ganz in diesem Sinne schreibt Elizabeth Reid: They do not reject gender, or any other signs of identity, but play a game with them, freeing symbols from their organic referents and grafting the meanings of those symbols onto their virtual descriptors. (Reid 1994) In einem etwas abweichenden Sinnzusammenhang, aber dennoch zutreffend, schreibt Stone: "No matter how virtual the subject may become, there is always a body attached" (Stone 1994: 111). Mit virtuellen Personen zu interagieren, impliziert daher immer die Vorstellung eines Körpers, eines Trägers der Bedeutung, der gewissermaßen die Existenz und die Einheit einer wie auch immer gestalteten Personae markiert. Andersherum gewendet: die Anwesenheit im sozialen Raum ist unweigerlich mit einem Körper und damit dessen Bedeutungsdimensionen verknüpft. Zwar kann man/frau zwischen verschiedenen Körpern wählen und sich deren unterschiedliche Konnotationen "überstülpen" (z.B. weibliches/männliches soziales Geschlecht), aber diese Repräsentation löst sich deshalb nicht von einer gewissen körperlichen Begrenztheit und Kontourierung ab: in jeder Kommunikation schwingt die Vorstellung eines Körpers mit. Interaktion im Netz ist auf das Engste mit dem Körper, bzw. seinen Konnotationen verknüpft, insofern kann der virtuelle Körper als Garant von Anwesenheit im Cyberspace verstanden werden. Wobei Anwesenheit im Netz nicht an detailgetreue Repräsentation des Körpers gebunden ist, sondern vielmehr an Kommunikationsmustern erfahrbar wird, die sich bereits um "Körpersplitter" anlagern können. Regeln des Umgangs mit (virtuellen) Körpern Über den eigenen Körper autonom zu verfügen gehört zu den Grundsätzen unserer Gesellschaft. Der Grad unserer persönlichen Freiheit bemißt sich u.a. nach dem Recht, den eigenen Körper selbstbestimmt von Ort zu Ort zu bewegen - das Gefängnis steht für den Entzug der persönlichen Freiheit, und damit der Kontrolle über den eigenen Körper. Auch im Alltag wachen wir mit Adleraugen über die Unantastbarkeit unserer Körper, erschrecken bei jeder noch so flüchtigen, zufälligen Berührung mit Unbekannten und erleben jeden erzwungenen Eingriff oder Angriff auf den eigenen Körper als bedrohlich, verletzend oder im Extremfall zerstörend. Es hat sich ein ganzes Regelsystem etabliert, das die persönlichen Rechte, u.a. auch die der Freiheit des Körpers, garantieren soll und die Grenzen des legitimen Umgangs mit dem eigenen und dem fremden Körper festschreibt. Fälle, in denen das Recht der Freiheit und Selbstbestimmung verletzt wird, wie z.B. bei Folter, Mord oder Vergewaltigung, stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verfügbarkeit über den eigenen Körper. Er ist damit ein zentrales Element an dem sich die Freiheit des Einzelnen im Verhältnis zur Gemeinschaft, deren Teil er ist, bemißt15. Die Grenzen der Gemeinschaft und ihr jeweiliges Selbstverständnis spiegeln sich somit in den Regeln des Umgangs mit Körpern. Das Netz wurde und wird in einem hohen Maße mit Anarchie und individueller Freiheit assoziiert. "Information wants to be free", so lautet die kurze und prägnante Formel der Hacker-Subkultur, die jedem das Recht zugesteht, fern von moralischen Wertungen Information zu konsumieren oder zu offerieren. Egal ob Amnesty International16 oder faschistische Propaganda17, Zensur darf auf keinen Fall den Fluß der "reinen" Information, sei es im WWW, Usenet oder den online Foren, behindern oder gar unterbinden. Allerdings wird dieser Anspruch problematisch sobald die "Freiheit" der Kommunikation zur Störung und Bedrohung eben dieser Freiheit führt. Auch in den synchronen Kommunikationsdiensten des Netzes, wie IRC oder den MUDs, sieht sich die jeweilige chat-Gemeinde mit unliebsamen Störern konfrontiert, die sich nicht an die bereits etablierten Kommunikationsregeln halten und dadurch bereits die noch junge Informationsgesellschaft in ihrer Freiheit beschneiden. Im Hinblick auf die enge Verbindung von Freiheit und Körper im RL ist es von besonderem Interesse, daß die "Versuche mit abweichendem Verhalten in virtuellen Gemeinschaften"18 umzugehen ebenfalls in die Metaphorik des Körpers gekleidet werden. In virtuellen Welten lassen sich gewisse "Regeln des Umgangs" beobachten, welche die Integrität des jeweiligen Charakters gewährleisten sollen, und bei deren Übertretung der Ausschluß aus der Kommunikationsgemeinschaft droht. Beides, sowohl die "Definition" der Regeln als auch die Methoden der Bestrafung bei deren Verletzung, rekurrieren auf den virtuellen Körper. Genauer gesagt auf den virtuellen Körper wie er sich bis jetzt darstellt: als Garant von Beweglichkeit und Interaktion bzw. als Signifikant. Denn es gilt als Verletzung der "Cybergesetze" sowie als Mittel der Bestrafung, den Handlungs- und Bewegungsspielraum der virtuellen Repräsentation bzw. die Möglichkeiten zu deren Gestaltung einzuschränken und aus den Händen des eigentlichen Autors zu nehmen. Macht im Netz definiert sich über Zugriffsrechte auf Daten bzw. Steuerung von Kommunikationsprozessen. In MUDs besitzen normalsterbliche BenutzerInnen nur in begrenztem Maße das Recht, die virtuelle Welt zu verändern. Im Regelfall ist dies auf die Beschreibung des eigenen Charakters bzw. eigener Objekte beschränkt. Ausgeschlossen sind z.B. die description-files anderer Benutzer bzw. deren Objekte. Die Systemoperatoren der Host-Rechner hingegen haben zu allen der individuellen Daten Zugang. In MUDs werden diese Zugriffsrechte auf die Datenwelt übersetzt in das Ausmaß der Kontrolle über den virtuellen Körper. Der Verlust der Zugriffsrechte markiert den Verlust der Freiheit und Kontrolle über den virtuellen Körper, auf dessen Beschreibungs- und Handlungsmöglichkeiten. Führt man diesen Gedanken weiter aus, so kann man zu dem Schluß gelangen, daß sich um die "Regeln des Umgangs mit virtuellen Körpern" ein Gemeinschaftsverständnis anlagert und ausdrückt. Zunächst aber zwei Beispiele aus dem Netz, welche die Funktion der Körpermetaphorik veranschaulichen, auf deren Grundlage ein Minimalkonsens zur Kommunikation - im gern als anarchisch etikettierten Cyberspace - etabliert wird: "A Rape in Cyberspace" lautet der Titel19 des Aufsatzes von Julian Dibbell (1994). Darin beschreibt sie, wie ein gewisser Mr. Bungle20 in LambdaMoo zunächst den character von legba "[] a Haitian trickster spirit of indeterminate gender, brown skinned [ ] wearing an expensive pearl gray suite, top hat and dark glasses" mit Hilfe einer "Voodoo Puppe" unter seine Kontrolle bringt, und in gewaltvolle, pornographische Szenen involviert. Das heißt, mit Hilfe eines bestimmten Subprogramms, hier bezeichnend repräsentiert als Voodoo Puppe, gelang es Mr. Bungle dem character legba Handlungen zuzuschreiben, die die eigentliche "Eigentümerin", eine Frau aus Seattle, nicht im geringsten intendierte. Sie verlor die alleinigen Rechte über ihren emote-Befehl an die Person, die sich hinter Mr. Bungel verbarg. Ein zweiter character namens Starsinger wurde ebenfalls Opfer des Treibens von Mr. Bungle. Die Anwesenden des immer gut besuchten Living Rooms in LambdaMoo, dem Ort des Geschehens, wurden Zeugen, wie sich Starsinger, unter dem Gelächter von Mr. Bungle, selbst mit einem Messer verstümmelte. Dem ganzen Schauspiel wurde schließlich durch Zippy, einem "beinahe" Wizard, ein Ende bereitet: er entzog wiederum mit einem "Gewehr" Mr. Bungle die Macht über die Voodoo Puppe und damit über legba und starsinger. Als Konsequenz dieser Ereignisse entsponn sich eine Diskussion innerhalb der MUD- Gemeinde wie in Zukunft mit Regelbrechern, welche nicht die Autonomie jedes einzelnen characters anerkennen, umzugehen sei. Einen ähnlichen Fall berichtet Lynn Cherny (1995) aus eigener Erfahrung. Sie wurde durch ein Script unfreiwillig in eine Sexszene involviert. Scripts sind kleine Programme, die Bestandteil einer MUD-Datenbank sein können. Sie sind per Befehl für jedermann aufrufbar und spielen einen kurze Sequenz von Handlungen ab, an denen man sich nicht mehr direkt mit der Tastatur beteiligen kann. Der character bekommt vom Script Handlungen, die nicht unbedingt im Sinne des eigentlichen "Eigentümers" sein müssen, zugewiesen. Lynn wurde von The_Monkees in ein solches Script mit pornographischem Inhalt verwickelt. Der Programmierer dieses Scripts hatte allerdings in weiser Voraussicht der ablehnenden Haltungen, die einige bei seinen sexuellen Phantasien empfinden dürften, Abbruchmöglichkeiten eingebaut. Lynn Cherny wurde nur leider Opfer des time-lags, der verursachte, daß bereits ein Großteil des Scripts auf ihrem Bildschirm erschienen war, bevor ihr Abbruchbefehl den MUD-Computer erreichte. Festzuhalten bleibt aber auch in diesem Fall, daß die kritische Situation durch den Verlust der Kontrollmöglichkeit über die Handlungen des virtuellen Körpers entstand. In beiden Beispielen wird deutlich, daß der Körper aus dem Kontext einer Gemeinschaft von Interagierenden nicht so einfach wegzudenken ist. Die Körpermetaphorik bietet sich den Handelnden an, Regeln der Kommunikation festzulegen bzw. bei deren Verletzung über Bestrafungsverfahren nachzudenken. In diesem Sinne beschreibt Reid (1994) Bestrafung in den MUDs als "return to the medieval". Das heißt, es wird darauf verzichtet, den Regelbrecher sofort aus dem MUD zu verbannen, sondern er wird einer "öffentlichen Zurschaustellung" unterzogen, um ihn vor Wiederholungstaten abzuhalten. Dabei werden durch die Wizards21 in einem MUD dem jeweiligen character das Recht auf einen Namen und eine Selbstbeschreibung entzogen und gemäß seinem Vergehen neu gestaltet. Danach schafft man den Deliquenten an einen öffentlichen, d.h. gut besuchten Platz des MUDs, wie z.B. dem Living Room in LambdaMoo, um ihn an den Pranger zu stellen. Dies sollte im allgemeinen die Lust auf weitere virtuelle Verbrechen verderben, denn wozu sollte man sich noch in MUDs aufhalten, wenn man aus der Gemeinschaft ausgeschlossen ist und niemanden mehr zum chatten hat? Zusammenfassend läßt sich festhalten: Die Kontrolle über den eigenen virtuellen Körper, über sein Aussehen und seine Handlungen bemißt, analog zum RL, den Grad der individuellen Freiheit. Nebenbei bemerkt, unterstreicht diese Feststellung die Rolle des virtuellen Körpers als Signifikant von Identität, denn es gilt als "Bestrafung", nicht mehr selbst über seine Beschreibung verfügen zu können und damit einem wesentlichen Mittel der Präsentation von Identität für die online Gemeinde beraubt zu sein. Der Körper ist damit ein grundlegendes Medium zur Aushandlung von Interaktionsnormen in virtuellen Gemeinschaften, was dort erlaubt ist, was nicht und wie man die Gesetze durchsetzen kann. Körperlichkeit bzw. der Umgang mit dem Körper etabliert ein Zentrum an welches sich Gemeinschaftssinn anlagern kann. Durch den virtuellen Körper ist es möglich, Regeln des Umgangs einzuführen, welche die Grenzen der Gemeinschaft für alle klar ersichtlich diskriminieren. Damit öffnet sich eine weitere Dimension der Verflechtung von Körper und Anwesenheit in sozialen Räumen, denn Anwesenheit bedeutet, an der Gemeinschaft zu partizipieren, welche den sozialen Raum aufspannt. In diesem Raum existieren Freund- und Feindschaften, alte Bekannte, die Aufregung der ersten Liebe und das "Oben" bzw. "Unten" zwischen den Newbies und Wizards genauso wie das Streben nach sozialer Anerkennung. In dieser Gemeinschaft existieren aber auch Übereinkünfte des gegenseitigen Umgangs, welche sich durch die Regeln des Umgangs mit dem virtuellen Körper manifestieren. In diesem sozialen Raum anwesend zu sein, heißt also den eigenen virtuellen Körper und den der anderen "richtig" zu gebrauchen, in ihrer Autonomie zu respektieren und sich an die etablierten Regeln zu halten. Um die Arbeit bis zu diesem Punkt zusammenzufassen, kann man sagen, daß die Konstitution des virtuellen Körpers vier Ebenen umfaßt: auf einer ersten Ebene zeigt die Räumlichkeits- und Bewegungsfunktionaliät den virtuellen Körper an. Auf einer zweiten ist der Körper durch seine Sprache zu finden, auf einer dritten durch seine Funktion als Signifikant. Die vierte und letzte Ebene wird durch den Körper als Grundlage von Werten und Normen gestaltet. | |
9 Cyberspace: ein wertneutraler Raum?! | |
Nachdem ich in den vorhergehenden Abschnitten mein Augenmerk vor allem auf die
Konstitution des virtuellen Körpers gerichtete habe, soll im folgenden
sein Verhältnis zum realen Körper thematisiert werden. Denn es geht
darum, den Cyberspace als Teil einer real existenten Gesellschaft nicht aus den
Augen zu verlieren. So besteht ein wesentlicher Punkt in den Arbeiten von
Brenda Laurel, Sandy Stone oder Sally Pryor und Jill Scott (1994) genau darin,
die realen gesellschaftlichen Positionen aufzuzeigen, d.h. die Wertungen zu
verdeutlichen, welche den Cyberspace und die damit verknüpften Hoffnungen
und Vorstellungen prägen. So weist Brenda Laurel den Ursprung jener Idee
hin, nach der die Entwicklung der Computertechnik den Verlust der
Körperlichkeit nach sich zieht: "[
] in general boys have this
fantasy about leaving their bodies. And I think that's a cultural artefact of
the priesthood who gave us computers" (Laurel 1992). Stone macht deutlich,
daß die Freiheit des Cyberspace vor allem durch die Gruppe der Entwickler
seine Grenzen erhält: "Many of the engineers currently debating the form
and contur of cyberspace are the young turks of computer engineering, men in
their late teens and twenties, and they are preoccupied with the things with
which postpubescent men have always been preoccupied. This rather steamy group
will generate the codes and descriptors by which bodies in cyberspace are
represented." (Stone 1994: 103f.) Der Cyberspace ist damit kein "wertneutraler"
Raum, der losgelöst von einer realen, ihn prägenden Gesellschaft
betrachtet werden könnte. Und es ist nicht zu übersehen, daß die Funktionalität bzw. die Konnotationen des realen Körpers im virtuellen gespiegelt werden. A-stoffliche Gesten bringen real erfahrene Emotionalität und Intimitiät zum Ausdruck; virtuelle Körperlichkeit reproduziert die kommunikativen Erwartungen und Typisierungen realen sozialen Geschlechts und der virtuelle Körper ist eingeflochten in ein System der realen Werte und Normen, welche Umgangsformen festschreiben. In Anlehnung an den materiellen Körper entsteht damit virtuelle, soziale Körperlichkeit, die sich von ersterem durch ihre Immaterialität unterscheidet. Welche Konsequenzen erwachsen aber aus dieser Differenz? Und wie wirkt sich ein eventuell modifizierter Bedeutungshorizont des Körpers auf die gesellschaftlichen Differenzierungs- und Hierachisierungsmechanismen aus, in denen er eingebettet ist? Was können, angesichts der beliebigen Formbarkeit, bestimmte körperliche Zeichen wie Hautfarbe, -falten oder Geschlecht die bis jetzt unabweisbar soziale Positionen und Wertungen implizierten, noch bedeuten? | |
10 Aushandlungsprozesse virtueller Körperlichkeit | |
Um es nocheinmal ins Gedächnis zu rufen: die Anonymität zwischen den
InteraktionspartnerInnen in MUDs/IRC gilt als eines der bezeichnenden Merkmale
computervermittelter Kommunikation. Anwesende eines MUDS sind füreinander
nur durch Textzeilen am Monitor zugänglich und auch nur in dem Maße,
in dem der/die PartnerIn Informationen über sein/ihr Äußeres
Erscheinungsbild, seine/ihre Vorstellungen und Phantasien formuliert, eintippt
und somit der MUD-Gemeinde präsentiert. Damit muß die
Körperrepräsentation im Netz auf keine außersprachliche
Wirklichkeit verweisen; die Personae existieren in ihrer Eigenart nur im Netz,
im virtuellen sozialen Raum. Ganz amüsant ist in diesem Zusammenhang die
Geschichte des New Yorker Psychiaters Stanford Lewin, welche von dem Zeitpunkt
berichtet, als der virtuelle Charakter noch eng mit seinem realen Pendant
assoziiert wurde und einer breiten Schicht von NetznutzerInnen die
mögliche Diskrepanz zwischen realer und im Netz repräsentierter
Personae zu Bewußtsein kam22. Da der
Körper in seinen Bedeutungen jetzt nicht mehr an eine "feste", materielle
Realität gebunden ist, wird er zum puren Zeichen, welches langsam
gemäß den Gesetzen der virtuellen Realität eine eigene und
autonome Bedeutung annimmt. Der Körper wird in den Kommunikationen der
Netzwelt langsam aus seinem realweltlichen, zuerst in den Cyberspace
transferierten Bedeutungen, herausgelöst und verfremdet. Worauf weist ein
weiblicher Körper im Netz noch hin? Auf eine "wirkliche" Frau oder eher
einen Mann, der sich als Frau ausgibt? So schreibt z.B. Amy Bruckman in
Anlehnung an Pavel Curtis: "If you meet a character namend `FabulousHotBabe'
she is almost certainly a he in real life" (Bruckman 1996: 444). Weibliche
Körper, die dem gängigen Sex-Klischee unserer Zeit entsprechen,
gelten damit langsam mehr als Repräsentant eines männlichen Spielers
und dessen Phantasien, denn als Referent einer "wirklichen" Frau (Curtis 1991).
Ähnliche Aushandlungsprozesse der Bedeutung der Körperrepräsentationen und damit letztlich unseres Körperverständnisses lassen sich auf dem Gebiet der "Schönheit" beschreiben. Virtuelle Welten sind Welten der verwirklichten Schönheitsideale; die Freiheit jeden Körper zu kreieren, muß nicht heißen, daß auch eine gewisse Vielfalt an Körperrepräsentationen tatsächlich anzutreffen ist. Diese Freiheit wird eher dazu genutzt, den gängigen Schönheitsidealen der Modewelt zu entsprechen (Curtis 1991, Reid 1994, Clark 1995). Was geschieht aber, wenn die virtuellen Welten mit den Kim Basingers und Claudia Schiffers dieser Erde gesättigt sind? Verlieren dann nicht Schönheitsideale ihren Reiz, Supermodels ihren Job, und wandeln sich in ihrer Bedeutung von "erstrebens- und begehrenswert" zu "ideenlos" und "veraltet"? Nigel Clark (1995) entwirft sogar ein theoretisches Konzept, welches eben skizzierte Entwicklung nahelegt und weitergehend spekuliert, daß "kreative" Computerprogramme am Sättigungspunkt der Schönheitsideale angelangt, uns die Last "phantasievoller" Kreationen von Körperrepräsentationen abnehmen werden. Eben skizzierte Bedeutungsverschiebungen lassen erahnen, daß die eindeutige und "natürliche" Aussagekraft des Körpers anfängt zu verschwimmen. Der biologische männliche/weibliche Körper ist nicht mehr auf ganz "natürliche" Weise der Garant von sozialem Geschlecht - die Konnotationen, welche so naheliegend in seiner Materialität gegründet scheinen, werden nun hinterfragbar. Was zeigt die Oberfläche des Körpers an, wenn sich dahinter verschiedene "Identitäten" verbergen können? Und vor allem, wie wirkt sich diese Verunsicherung auf die real noch wirksamen Zwänge und Diskriminierungen aus, die auf den Körper rekurrieren? Soziale Hierarchie durch Körper Diese Fragen interessieren besonders durch den Anspruch, mittels des Cyberspace soziale Hierachisierungs- und Differenzierungsmechanismen zu entkräften, die z.B. auf Hautfarbe, Geschlecht oder soziale Herkunft zurückgreifen. Es stimmt natürlich, daß diese sozialen Stigmata bei der Kommunikation im Netz keine Rolle mehr spielen. In der Cybersociety wird der Körper als Träger dieser Wertungen zunehmend entkräftet, weil er diese durch die Anonymität und freie Gestaltbarkeit nicht mehr verläßlich anzeigt. Daran aber die Auflösung der real noch wirksamen Hierachisierungen zu knüpfen, greift zu kurz, weil durch den Cyberspace nicht der Wunsch, z.B. dem Schönheitsideal zu entsprechen abgeschafft wird, sondern eher die Möglichkeit existiert, diesen zu entsprechen. Jeder und jede kann nun zu den gängigen Klischeebildern aus Film und Fernsehen mutieren. Das Übel, dem Druck des medial vermittelten Schönheitsideals genügen zu müssen, wird nicht abgeschafft, indem der von ihm ausgehende Druck bekämpft wird, sondern indem jeder ihm nachgeben kann. Für den sozialen Cyberspace mag es keinen Unterschied machen, ob Schönheitsideale qua Entsprechung oder qua Bekämpfung ihre sozial diskriminierende Wirkung verlieren. Allerdings ist der Cyberspace Teil einer Gesellschaft, in der nach wie vor soziale Wertungen und Diskriminierung auf den Körper zurückgreifen. Die Möglichkeiten im Cyberspace den Schönheitsidealen zu entsprechen, schafft nicht das ihnen zugrundeliegende Bedürfnis ab, sondern bewirkt eine Vertiefung desselben. Besonders im Spalt zwischen der virtuellen Realität und unseren sozialen alltäglichen Interaktionen machen sich die Auswirkungen bemerkbar, wenn es mehr denn je darum geht, auch im Alltag den virtuell bereits erlebten Schönheitsidealen zu entsprechen (Reid 1994, Balsamo 1993). Nigel Clark (1995) verdeutlicht in diesem Sinne, daß wir uns durch die Möglichkeit der beliebigen Gestaltung des Körpers nicht von seinem diskriminierenden Potential befreien, sondern unsere gesteigerte Aufmerksamkeit den Katalogen der Schönheitschirurgen und damit dem "Schönheitsanspruch" an den Körper widmen müssen. Damit sind die Visionen, soziale körperliche Stigmata durch die Segnungen des Cyberspace zu entkräften, von einem Widerspruch gekennzeichnet: einerseits spielt zwar Hautfarbe und Aussehen bei der Kommunikation ]im Netz keine Rolle, aber die gesellschaftlichen (Schönheits-)Ideale werden dadurch nicht aufgegeben, sondern verstärken vielmehr ihren Anspruch auf Verwirklichung in der realen Gesellschaft: So despite the fact that VR technologies offer a new stage for the construction and performance of the body-based identities, it is likely that old identities will continue to be more comfortabel, and thus more frequently reproduced. (Balsamo 1993:131) Es kann daher keine Rede davon sein, daß durch virtuelle Welten, solange sie Teil einer realen Gemeinschaft bilden, den Körper aus seiner Eigenschaft als Ansatzpunkt von Macht und sozialer Differenzierung befreien. Ähnliches schreibt Balsamo auch in Bezug auf soziales Geschlecht. Cyberspace bietet nach ihren Worten nicht nur die Möglichkeit, Wertungen, die auf den Körper zurückgreifen zu hinterfragen, sondern die Freiheit der Netze wird überwiegend von Männern genutzt, im Schutz der Anonymität ihren diskriminierenden und chauvinistischen Neigungen freien Lauf zu lassen: "In this sense, cyberspace offers a enticing retreat for white men form the burdens of their cultural identities" (Balsamo 1993: 130). Geschlecht, Hautfarbe oder Herkunft haben zwar ihre strikte Bindung an einen Körper bei der Kommunikation im Netz eingebüßt, was aber, als Rückwirkung auf die realen Verhältnisse als befreiend gedacht, nicht zur erhofften subversiven Wirkung führt. Inspirierend wirkt in diesem Kontext auch ein Artikel von Günter Gebauer (1982), der an einem historischen Beispiel nahelegt, daß der Körper nicht aus einem System der Macht befreit wird, sondern sich lediglich die Art der Ausübung ändert23. Was sich uns heute als Befreiung präsentiert, kann sich schon morgen als subtilere Form der Macht entpuppen. Vielleicht geht es in diesem Sinne immer weniger darum, den eigenen Körper im Fitneß Center zu trimmen, zu bräunen und die Spuren des Alters auszulöschen, sondern den Körper als Schnittstelle zu präparieren? Nicht mehr der coole look, sondern das being wired ist gefragt. Die noch nicht vorhandene e-mail Adresse kann schon jetzt das ein oder andere verächtliche Naserümpfen nach sich ziehen. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die in der Realität noch so eng an den stofflichen Körper geschmiegten Bedeutungen, wie z.B. Geschlecht, Lebensstil oder kulturelle Identität, in ihrer Begründung durch den materiellen Körper im Netz hinterfragt werden. Seine Materialität hat ihre "Natürlichkeit" und "Authentizität" verloren. Was der Körper bedeutet, d.h. das was wir meinen, wenn wir vom Körper sprechen, ist beweglich geworden und wird in Ansätzen neu verhandelt. Dabei bleibt die Frage bestehen, inwiefern sich mit der Verschiebung der Konnotationen des Körpers jene Machtverhältnisse bewegen, in die er verflochten ist. Lösen sich Hautfarbe oder Geschlecht aus den gesellschaftlichen Hierarchisierungen und Machtverhältnissen im gleichen Maße heraus, wie sie im Cyberspace veränderlich und manipulierbar werden? Oder werden sie nicht noch mehr mit sozialen Wertungen und Diskriminierungen verwoben? Welche Konsequenzen hat die semantische Auflösung des Körpers? | |
11 Ausblick | |
Was ist der Körper? Lebende, organische Materie, die gegebenenfalls durch
leblose Technik ersetzt werden kann? Grundstein unseres Bewußtseins und
unserer Identität? Daseinsvoraussetzung? Oder soziales Kapital? Was
zeichnet unsere Körperlichkeit und damit uns selbst als Menschen aus? Mit
der Entwicklung der Cyberspace-Technologien hat sich ein neues Diskussionsfeld
eröffnet, auf dem diese Fragen nach unserem körperlichen und damit
menschlichen Selbstverständnis verhandelt werden. Bis vor kurzem galt der
menschliche Körper als relativ verläßliche Grundlage, als
einzig noch möglicher Kristallisationspunkt moderner Identität (vgl.
Schilling 1993: 3ff.). Der Körper in seiner Materialität als
Fundament des Lebens, mit seinen unumstößlichen Grenzen der Geburt
und des Todes, bot einen stabilen Fixpunkt - in einer ansonsten haltlosen
Moderne - an dem die Auslegung von Welt ansetzen konnte. Aber auch dieser
Fixpunkt gerät u.a. durch die a-stofflichen Welten des Cyberspace ins
Schlingern und wird verwischt. Körperlichkeit ist nicht mehr unbedingt
gleichzusetzen mit Unveränderlichkeit, Materialität,
Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit. Ein Hans Moravec
träumt von der unendlichen maschinellen Verlängerung des Lebens - Tod
und Geburt werden im Reich der Robotik und Software-Intelligenz zur besiegten
Pest von Gestern. Im Cyberspace existiert ein immaterieller, beliebig zu
gestaltender Körper, der dennoch als Körper, im Sinne der Anwesenheit
in sozialen, virtuellen Räumen, fungiert. Der Körper ist damit nicht
mehr jener unverrückbare, "natürlich" gegebene Ankerpunkt unseres
Daseins: auch er gerät in Bewegung, wird zum Projekt des aktiven Formens,
Manipulierens und Stylens. Der virtuelle Körper ist fragmentarisch, er zeigt sich auf unterschiedliche, in ihrer Verwirklichung voneinander unabhängigen Art und Weise. Erstens durch seine Räumlichkeits- und Bewegungsfunktionalität, die entweder graphisch oder rein textorientiert verwirklicht sein kann. Zweitens zeigen Gestik und Mimik als Ausdrucksmittel virtuelle Körperlichkeit an. Drittens strukturiert der Körper als Signifikant Kommunikation im Netz, und viertens bietet er sich als Grundlage von Werten und Normen zur Etablierung von Umgangsregeln an. Durch drei dieser vier Aspekte virtueller Körperlichkeit eröffnen sich uns soziale Erfahrungswelten, die bisher an die Stofflichkeit, Permanenz und "Natürlichkeit" des realen Körpers gebunden waren. Der eingangs skizzierten Auflösung des stofflichen Körpers durch die neuen Computertechnologien tritt somit ein virtueller Körper entgegen, den man nach seinen individuellen Phantasien formen und verändern kann. Damit wird in der Interaktion im Netz der Grundstein gelegt, soziale Zuschreibungen, die in der Biologie des Körpers fest verankert schienen bzw. durch die "Natürlichkeit" des Körpers scheinbar garantiert wurden, aus ihrer körperlichen, biologischen Umklammerung zu befreien. In gleichem Maße, wie der relativ unveränderliche, fleischliche Körper in seinen immateriellen Eigenheiten im Cyberspace repräsentiert, gestaltet und angeeignet werden kann, rückt damit die Veränderlichkeit seiner Bedeutungen in den Blickwinkel. Zeichen der Identität oder der Geschlechtlichkeit sind nicht mehr nur um den Preis einer Geschlechtsumwandlung oder einmal im Jahr zum Karneval veränderlich, sondern mit ihnen kann täglich in der Simulation experimentiert werden. Sie wandeln sich dadurch zu "Objekten über die man nachzudenken beginnt" (vgl. Bruckman 1996: 445), weil sie aus ihrem selbstverständlichen und alltäglichen Kontext herausgelöst sind. Kulturelle Identität oder Geschlechtlichkeit gelten nicht mehr als Phänomene, die sich selbstverständlich aus der Biologie des Körpers herleiten lassen, sondern erscheinen als veränderlich, als kulturelles Konstrukt. Dies ist keine Einsicht, welche erst durch die Erfahrungswelten des Cyberspace möglich wurde. Andere Arbeiten24 liefern vor allem das historisch begründete Fundament, auf dem eine Dekonstruktion des Körpers bzw. die Interpretation des virtuellen Körpers betrieben werden kann. Als eine Quelle aber, deren Wasser die Unterhöhlung der "Natürlichkeit" des Körpers stetig vorantreibt, ist der Cyberspace zu begreifen (vgl. Angerer 1993: 744). Vor allem als eine Quelle, die die Veränderlichkeit der Bedeutungen des Körpers individuell zugänglich und erfahrbar macht. Allerdings bleibt es weiterhin fraglich, inwiefern an das Bewußtsein der Kontingez der Wahrnehmungsweise des Körpers die Befreiung von Hierarchien und sozialen Diskriminierungen gekoppelt ist. Denn das Netz bietet zwar die soziale Erfahrungsposition "anderer" Körper und damit ein mehr an Empathie, aber es verpflichtet nicht, nach den gewonnen Netz-Einsichten auch in der Realität zu handeln. | |
Literatur | |
Angerer, Marie-Luise (1993): The Pleasure of the Interface. Beziehungsgeflechte
in einer telematischen Kultur. In: Das Argument Jh. 35 H. 201 S. 737-748 Argyle, Katie/ Rob Shields (1996): Is there a Body on the Net? In: Shields, Rob (ed.): Cultures of Internet. Virtual Spaces, Real Histories, Living Bodies. London: Sage Publications Balsamo, Anne (1993): The Virtual Body in Cyberspace. In: Research in Philosophie and Technology, Vol. 13 Technology and Feminism. JAI Press Benedikt, Michael (1994) (ed.): Cyberspace: First Steps. Cambridge Mass.: MIT Press Bolter, Jay (1996): Virtuelle Realität und Epistemologie des Körpers. In: Kunstforum International Bd. 132 Die Zukunft des Körpers I Bourdieu, Pierre (1993): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main.: Suhrkamp Bruckman Amy S. /Pavel Curtis u.a. (1994): Approaches to managing deviant behaviour in virtual communities. e.-version: ftp: media.mit.edu:/pub/asb/deviance-chi94.txt dies. (1996): Gender Swapping on the Internet. In: Vitanza, Victor J. (ed.): Cyberreader. 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Fußnoten | |
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Das vorliegende Papier entstand während eines
Praktikums von März bis Ende Mai 1996 im Rahmen des von der
Volkswagen-Stiftung geförderten Projekts "Interaktionsraum Internet.
Netzkultur und Netzwerkorganisation in offenen Datennetzen" am
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung bei der Projektgruppe
"Kulturraum Internet". 1 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der australische Performance Künstler STELARC. In seinen Augen ist unser Körper veraltet und hinkt hinter den Anfordernissen des modernen Informationszeitalters her. Nur mittels der Technik, die tief in das Innere unseres Körpers eindringt bzw. mit Hilfe derer wir die natürliche "Haut-Grenze" des Köpers ausdehnen, können wir zum "aufrechten Gang" im Zeitalter der Informationstechnologien zurückfinden. (STELARC 1996) Zu finden auch im WWW unter http://www.merlin.com.au/stelarc/ 2 Diese Zahl bezieht sich auf Januar 1996. Der Aktuelle Stand kann unter der Adresse http://www.nw.com/zone/WWW/top.html abgefragt werden. 3 Ziel meiner Arbeit ist es, die Konstitution des virtuellen Körpers aufzuzeigen. Dies gelingt am eindringlichsten, wie sich noch zeigen wird, am Beispiel der MUDs, weshalb ich mich an dieser Stelle nicht länger mit der Beschreibung aller anderen Kommunikationsdieste des Netzes aufhalten möchte. 4 vgl. hierzu vor allem Benedikt (1994) S.1 ff., 119 ff 5 Bolter (1996), Shaw (1996), Rheingold (1995) 6 telnet mud.uni-muenster.de 4711 7 Wobei natürlich die Spieler selbst einen guten Teil der MUD-Bevölkerung stellen. Aber die Rahmenbedingungen, die Abenteuer die es zu bestehen gilt und die möglichen Interaktionsformen werden vom Computer bzw. den Programmierern vorgegeben. 8 In den verschiedenen Netzdiensten ist das Maß der Anonymität jedoch unterschiedlich ausgeprägt. Zum Beispiel werden e-mails meist vom realen Namen begleitet, den man beim Beantragen eines Accounts angeben muß. Dagegen kann man sich in MUDs einloggen ohne diese realen Daten preisgeben zu müssen. 9 vgl. hierzu vor allem Reid (1995): 166ff. und Reid (1991) sowie Doheny-Farina (1995) 10 So wurde z.B. erst mit der Aufklärung soziales Geschlecht, und damit die stark hierarchische Position von Mann und Frau, auf das unterschiedliche biologische Geschlecht zurückgeführt. Vor der Aufklärung waren Unterschiede in der Biologie keine Legitimationsgrundlage für die gesellschaftliche Positionierung der Geschlechter (Shilling 1993: 43ff.). Vgl.auch Synnott, Anthony (1993). Synnott gibt eine umfangreiche Zusammenschau der sozialen Konstruktion des Körpes, vor allem der einzelnen Körperteile, wie Haar, Gesicht, etc. 11 d.h. fiktive Identitäten, die nichts mit der realen Persönlichkeit gemein haben müssen. 12 Wobei die Reproduktion dieser Verhaltensweisen überhaupt die Erfahrung des gender-swappings ermöglicht, denn einen weiblichen Körper zu bewohnen zeichnet sich durch die gesteigerte Aufmerksamkeit sowie die (sexuellen) Belästigungen in der Kommunikation aus. 13 Stone situiert "the structure of pleasure and play" in das Herz und die Seele der Online Gemeinde (Stone 1995a: 397) und beschreibt an anderer Stelle (Stone 1995b: 120) wie bereits käuflicher Sex in die virtuellen Welten eingang gefunden hat. Parallel dazu konstatiert Sherry Turkle, daß virtual sex für viele das Kernstück ihrer Netz-Erfahrungen bildet (Turkle 1996a: 223) 14 vgl. zu diesem Gedanken der multiplen Identitäten bzw. der Beziehung zwischen dem Körper und dem Subjekt Sherry Turkle (1996a): Life on the Screen. Identity in the Age of the Internet. Und Sandy Stone (1995): The Ear of Desire and Technology at the Close of the Mechanical Age. 15 Freiheit kann aber auch z.B. durch Psychofolter, oder "Gehirnwäsche" eingeschränkt werden, welche nicht direkt den Körper "betreffen". Allerdings muß auch hier der Körper als Sitz der Psyche verfügbar sein. 16 http://www.io.org/amnesty/ 17 http://stormfront.wa.com/Stormfront/ 18 vgl. Bruckman, Amy, Pavel Curtis u.a. (1994): Approaches to managing deviant behaviour in virtual communities. 19 Der eigentlichen Beschreibung dieses Vorfalls in LambdaMoo möchte ich jedoch die Bemerkung vorausschicken, daß die Beteiligten jederzeit die Möglichkeit hatten, die Verbindung zum MUD zu unterbrechen und damit der "Vergewaltigung" ein Ende zu bereiten. 20 "[ ] a fat, oleaginous, Bisquick-faced clown dressed in cum-stained harlequin garb and girdled with a mistletoe-and-hemlock belt whose buckle bore the quint inscription `Kiss me under this, Bitch!'" (Dibbell 1994) 21 In der Gestalt von Wizards, von Zauberern, wandeln die Systemoperatoren in ihren MUDs. Sie besitzen magische, unübertroffene Macht im MUD, d.h. sie haben im Gegensatz zu anderen Bewohnern der virtuellen Welt Zugang zu allen Daten. 22 Stanford Lewin kreierte sich einen weiblichen Charakter, eine durch einen Unfall querschnittsgelähmte Frau, die trotz ihres schweren Schicksals nicht den Lebensmut verlor. Julia, so der Name von Lewins Charakter, hatte sogar soviel positive Energie übrig, daß sie bald einen festen online Freundeskreis aufgebaut hatte, indem sie für ihre trostspendende und hilfreiche Art, vor allem bei anderen Frauen, beliebt war. Über kurz oder lang wurde aber der "Betrug" aufgedeckt, daß sich in RL hinter Julia nicht eine schwerbehinderte Frau, sondern eben besagter New Yorker Psychiater verbirgt. Einige, die glaubten in Julia eine feste und intime Freundin gefunden zu haben, reagierten mit Unglauben, andere mit Zorn und wiederum andere konnten sich nur über das Ausmaß der Naivität im Online-Umgang wundern (vgl. Stone 1995b). 23 Gebauer widmet sich dem Bedeutungswandel des Körpes zur Zeit der französichen Revolution. Alle Menschen, alle Körper wurden von Natur aus als gleichwertig erklärt, Geburtsrecht und "Blaues Blut" galten nicht mehr als diskriminierend zwischen Adelsstand und Bauerntum. In der Folge okkupierte allerdings der "Geschmack" die Öberfläche des Körpers und wurde Ausdruck und Legitimation neuer gesellschaftlicher Hierarchien. Der Körper wurde (theoretisch) aus einer Form der Machtverhältnisse befreit - in der Folge lagerte sich aber eine neue Form der Differenzierung und Hierarchisierung um ihn an. 24 Vgl. u.a.: Foucault (1994); Kamper (1982); Kamper (1989); Butler (1990); Gallagher (1987); Feher (1989). |
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