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1. Cyberfeministische Internationale im Hybrid Workspace der documenta X
  Sigrid Haase (Hg.), Musen < Medien > Mythen, Jahrbuch der Hochschule der Künste Berlin 1997, S. 197-205, 1998.

Sabine Helmers , 7/98

  Sprungbrett
1  1. Cyberfeministische Internationale im Hybrid Workspace der documenta X

 

 
1 1. Cyberfeministische Internationale im Hybrid Workspace der documenta X
 

Das Jahr 1997 war ein documenta-Jahr. Mit Catherine David wurde sie erstmalig von einer Frau kuratiert. Allein der Umstand, daß diese Tatsache immer wieder erwähnt wird, macht deutlich, mit wie wenig Selbstverständlichkeit Frauen ihre Arbeit in von Männern dominierten Bereichen wie Kunst, Politik, Wissenschaft oder Medien tun. Da Frauen dort überwiegend nicht zu sehen sind, fallen die wenigen umso mehr ins Auge. Und sie befinden sich in einer beäugten Position, in der nach "Weiblichem" - beispielsweise der typischen "Frau am Steuer" oder der "Quotenfrau" - Ausschau gehalten wird.

In den achtziger Jahren weitgehend aus dem Blickfeld öffentlicher Aufmerksamkeit verschwunden sind "Emanzen" und "Feminismus- Quatsch". Umso augenfälliger erscheint das neuerliche Wiederauftauchen des altehrwürdigen Reizworts vom "Feminismus". Waren die lila siebziger Jahre von Themen wie dem Kampf gegen das Abtreibungsverbot gekennzeichnet, so scheinen die pop-bunten neunziger Jahre unter dem Aspekt von Girl-Power und Spiel zu stehen. Doch bei allem Spielerischem der Erscheinung geht es auch in den neunzigern darum, daß das Frau-sein in fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens etwas Besonderes ist.

Der im Rahmen der documenta X von documenta und Berlin Biennale organisierte Hybrid Workspace in der Orangerie bot während der hundert Tage elf Projekten Raum, von denen bei einem das Geschlechterthema das Leitmotiv bildete. Die in der Woche vom 20. bis 28. September veranstaltete 1. Cyberfeministische Internationale brachte dreißig Frauen aus Europa, Australien und den USA in Kassel zusammen. In Gesprächen, Vorträgen, Aktionen und Aufführungen mit den Teilnehmerinnen aus dem weiteren Feld von Kunst, Technik, Medien und Politik ging es immer wieder um das Besondere des Frau-Seins in seinen vielen Facetten und darum, wie frau damit alltäglich lebt, leben könnte, muß und will.

Organisiert wurde die Cyberfeministische Internationale vom im Juni 1997 gegründeten Old Boys Network, einer Gruppe, die sich als offene Aktionsplattform von und für Frauen versteht und deren Name durchaus programmatischen Charakter trägt. Die Old Boys Cornelia Sollfrank, Susanne Ackers, Julianne Pierce, Ellen Nonnenmacher und Valentina Djordjevic bildeten die Kerngruppe der Internationale-Organisation. Und in dieser personellen Zusammensetzung vereint das Organisationsnetzwerk Kompetenz in Kunst, Theorie und Technik. Das Aktionsfeld des Old Boys Network umfaßt die reale wie die virtuelle Welt (1). Noch immer stellen Frauen innerhalb der Nutzerpopulation des Internet eine Minderheit dar. Die geschätzten Nutzerinnenzahlen liegen in Deutschland zwischen 5 und 15 Prozent und in den USA bei 30 bis 33 Prozent.

Vali Djordjevic:
(Old Boys Network, Medialab im Künstlerhaus Bethanien, Internationale Stadt Berlin. Studium der Literaturwissenschaft an der FU Berlin. E-Mail: valid@sero.de.)

Internet ist noch immer eine Männerdomäne. Das drückt sich oft in einer Art Technikfetischismus im Umgang mit dem Netz aus. An erster Stelle steht das technisch Mögliche, aber welchen Sinn das technisch Machbare hat, steht erst an zweiter Stelle. Es wäre gut, wenn mehr Frauen im Netz sind. Dann ändert sich vielleicht die Atmosphäre. Frauen im Netz befassen sich viel mit Design, mit Oberflächengestaltung. Sie programmieren oder administrieren nur selten. Ich sehe keinen Grund, weshalb Frauen nicht alles mögliche machen könnten. Mir geht es darum, Frauen zu zeigen, daß diese ganze Technik einfach und beherrschbar ist, nicht auf dem Y- Chromosom sitzt, und daß man es lernen kann, wenn man möchte. Natürlich muß man Zeit investieren und sich ein bißchen darum kümmern, denn von allein passiert das nicht.

Ellen Nonnenmacher:
(Old Boys Network,-Innen, frauen und technik. Kunststudium an der HfbK in Hamburg. E-Mail: ellen@berlin.snafu.de)

Es waren zwar viele Frauen bei der documenta, aber es waren nicht die Hälfte (2). Man kann es Catherine David zum Vorwurf machen. Der ganze Kunstbetrieb ist nicht gerade frauenfreundlich. Die bestehenden Strukturen im Kunstsektor arbeiten über Netzwerke, aus denen Frauen - angeblich gar nicht mal böswillig - immer wieder herausfallen. Es sind vielleicht ganz, ganz kleine Schritte, die man mit solchen Aktionen wie der Cyberfeministischen Internationale macht, aber ich finde, sie helfen enorm. Es hat so gut getan, sich zu treffen, sich auszutauschen und sich kennenzulernen. Ein Ziel von Old Boys Network besteht ja auch darin, ein Frauennetzwerk zu schaffen, sich gegenseitig zu unterstützen. Das funktioniert nur dann, wenn man sich kennt, wenn man voneinander weiß, was die Frauen im einzelnen machen, können, was sie interessiert und so weiter. Das fand ich an der Aktion sehr wichtig.

Und es war auch sehr schön, die Frauen nicht nur über ihre virtuelle Präsenz - die meisten haben ja eigene Webpages und haben auch schon vor dem Treffen in Kassel via Mailingliste (3) miteinander kommuniziert - zu kennen, sondern sie alle zusammen einmal in Fleisch und Blut zu sehen. Ich fand es verblüffend, wie sich dreißig Frauen, die sich nur zum Teil vorher aus verschiedenen Medienzusammenhängen kannten und also weitgehend unvorbereitet dort in Kassel aufeinandergetroffen sind, wie die es geschafft haben, sich gegenseitig zuzuarbeiten, zu sehen, was für die Gemeinschaft wichtig ist, da hineinzuspringen und zu kooperieren. Wir planen jährliche Cyberfeministinnentreffen. Das Treffen in Kassel wird u.a. im Rahmen der 100 Tage Hybrid Workspace CD ROM dokumentiert. Dort wird es also eine cyberfeministische Abteilung geben. Im kleineren Rahmen sind Workshops zu verschiedenen Themen geplant. In Australien gab es jetzt gerade das Code Red Symposium mit einem Roundtable zum Thema Cyberfeminismus. Und möglicherweise wird es auch via Australien eine Women Data Base geben, eine Datenbank, in der Frauen mit ihren Projekten verzeichnet sind. So etwas gab und gibt es ja gerade im Kunstbereich immer wieder, aber es hat bislang noch nicht solch einen Erfolg, daß man damit aufhören könnte.

Ich arbeite schon lange in Frauenzusammenhängen. Schon während meines Studiums habe ich in verschiedenen Künstlerinnengruppen mitgearbeitet. 1991 war ich bei der Gruppe "frauen und technik". Ursprünglich war dies eine Gruppe von Frauen, die sich für neue Medien und Medientheorie interessiert hat. Da es damals in Hamburg kein Lehrangebot in dieser Richtung gab, haben wir uns als Arbeitskreis zu diesen Themen zusammengefunden, Texte gelesen, und sehr bald auch begonnen, Aktionen und Performances zu planen. Aus der recht großen Gruppe frauen und technik heraus haben vier Frauen dann die Künstlerinnengruppe Innen gebildet, die sich mit dem Gebiet der Medien und neuen Medien befaßt hat. In reinen Frauenzusammenhängen ist es leichter, die Interessen zu bündeln. Und gerade in Kassel fiel mir wieder einmal auf, welch eine Erleichterung es ist, nur unter Frauen zu sein. Die Geschlechterrollen haben weniger Bedeutung. Man wird zur Person. Man kann einfach freier und unabhängiger arbeiten.

Vali Djordjevic:

Ich habe ebenfalls die Erfahrung gemacht, daß es sehr angenehm ist, mit Frauen zu arbeiten. Wir Old Boys verstehen uns gut und haben ähnliche Ansichten und Pläne. Männer haben einfach eine andere soziale Geschichte. In erster Linie war die Veranstaltung der Cyberfeministischen Internationale für uns Frauen. Es ging darum, die Frauen, die sich aus Medienkunst und Online- Zusammenhängen kannten oder kennenlernen könnten, dort zusammenzubringen. Und darüber hinaus ist es wichtig, in dieser Weise Präsenz zu zeigen und zu demonstrieren, daß Frauen interessante Dinge tun und daß es keine wie-auch-immer marginale Minderheitenkunst ist. Um diese Präsenz, das Da-sein, ging es unter anderem auch in Kassel. Wir verstehen uns als Feministinnen, lassen uns aber davon nicht einschränken, etwa von bestimmen traditionell feministischen Themen oder auch von bestimmten Ästhetiken. Beispielsweise wird man in der Homepage von Old Boys Network erst mal nichts "typisch Weibliches" finden. Bei der Gestaltung der Homepage Old Boys Network sind RGB Farben gewählt, was eine sehr techniknahe Farbwahl ist. Es geht uns nicht um eine spezifisch weibliche Ästhetik, sondern darum, alles zu tun was wir tun wollen, ob es irgendwie "weiblich" ist oder nicht.

Ellen Nonnenmacher:

Natürlich hat Feminismus eine lange Geschichte. In der Vergangenheit wurde viel getan, was man vielleicht auch heute nicht mehr reproduzieren will. Feminismus ist keine fixe Ideologie, kein Dogma, sondern es ist das, was wir machen. "Cyber" und "Feminismus", das sind zwei so riesige Worthülsen, daß man nicht mehr ernsthaft versuchen kann, sie zu füllen. Ich betrachte es als ein Spielgerät, in dessen Rahmen man den Feminismus wieder neu definieren kann. Feminismus ist etwas, was sich bewegt und was wir bewegen können.


Aus den Diskussionen im Zusammenhang mit der Veranstaltung der 1. Cyberfeministischen Internationale ist eine Aufstellung von 100 Anti-Thesen zum Cyberfeminismus entstanden, die auf den Webseiten von Old Boys Network unter der Adresse http://www.obn.org/cfundef/100antitheses.html veröffentlicht sind. Diese Anti-Thesen sind ein Spiegel der multi-vokalen, engagierten, kreativen und undogmatischen Veranstaltung in Kassel.

100 anti-theses

cyberfeminism is not ...

1.cyberfeminism is not a fragrance
2.cyberfeminism is not a fashion statement
3.sajbrfeminizm nije usamljen
4.cyberfeminism is not ideology
5.cyberfeminism nije aseksualan
6.cyberfeminism is not boring
7.cyberfeminism ist kein gruenes haekeldeckchen
8.cyberfeminism ist kein leerer kuehlschrank
9.cyberfeminism ist keine theorie
10.cyberfeminism ist keine praxis
11.cyberfeminism ist keine traditio
12.cyberfeminism is not an institution
13.cyberfeminism is notusing words without any knowledge of numbers
14.cyberfeminism is not complete
15.cyberfeminism is not error 101
16.cyberfeminism ist kein fehler
17.cyberfeminism ist keine kunst
18.cyberfeminism is not an ism
19.cyberfeminism is not anti-male
20.sajbrfeminizm nige nesto sto znam da je
21.cyberfeminism is not a structure
22.cyberfeminismo no es uns frontera
23.cyberfeminism nije poslusan
24.cyberfeminism nije apolitican
25.cyberfeminisme is niet concreet
26.cyberfeminism is not separatism
27.cyberfeminism is not a tradition
28.cyberfeminism is not maternalistic
29.cyberfeminisme id niet iets buitenlands
30.cyberfeminism is not without connectivity
31.cyberfeminismus ist nicht mehr wegzudenken
32.cyberfeminismus ist kein oxymoron
33.cyberfeminism is not on sale
34.cyberfeminism is nor for sale
35.cyberfeminismus ist nicht gut
36.cyberfeminismus ist nicht schlecht
37.cyberfeminismus ist nicht modern
38.cyberfeminismus ist nicht post-modern
39.cyberfeminism is not natural
40.cyberfeminism is not essentialist
41.cyberfeminism is not abject
42.cyberfeminism is not an avatar
43.cyberfeminism is not an alter ego
44.cyberfeminismus ist nicht truegerisch
45.cyberfeminismus ist nicht billig
46.cyberfeminismus ist nicht willig
47.cyberfeminisme n'est pas jaloux
48.cyberfeminism is not exclusive
49.cyberfeminism is not solid
50.cyberfeminism is not genetic
51.cyberfeminismus ist keine entschuldigung
52.cyberfeminism is not prosthetic
53.cyberfeminismo no tiene cojones
54.cyberfeminisme n'est pas triste
55.cyberfeminisme n'est pas une pipe
56.cyberfeminism is not a motherboard
57.cyberfeminism is not a fake
58.cyberfeminism nije ogranicen
59.cyberfeminism nije nekonfliktan
60.cyberfeminism nije make up
61.cyberfeminism nije zatvoren prozor
62.cyberfeminism is not a lack
63.cyberfeminism is not a wound
64.cyberfeminism is not a trauma
65.cyberfeminismo no es una banana
66.cyberfeminism is not a sure shot
67.cyberfeminism is not an easy mark
68.cyberfeminism is not a single woman
69.cyberfeminism is not romantic
70.cyberfeminism is not post-modern
71.cyberfeminism is not a media-hoax
72.cyberfeminism is not neutral
73.cyberfeminism is not lacanian
74.cyberfeminism is not nettime
75.cyberfeminism is not a picnic
76.cyberfeminism is not a coldfish
77.cyberfeminism is not a cyberepilation
78.cyberfeminism is not a horror movie
79.cyberfeminism is not science fiction
80.cyberfeminism is not artificial intelligence
81.cyberfeminism is not an empty space
82.cyberfeminism is not immobile
83.cyberfeminism is not about boring toys for boring boys
84.cyberfeminismus ist keine verlegenheitsloesung
85.cyberfeminism is not a one-way street
86.cyberfeminism is not supporting quantum mechanics
87.cyberfeminism is not caffeine-free
88.cyberfeminism is not a non-smoking area
89.cyberfeminism is not daltonistic
90.cyberfeminism is not nice
91.cyberfeminismo no es callado
92.cyberfeminism is not lady.like
93.cyberfeminismus ist nicht arrogant
94.cyberfeminismus ist keine nudelsauce
95.cyberfeminism is not mythical
96.cyberfeminism is not from outer space
97.cyberfeminismo no es rock 'n roll
98.cyberfeminism is not dogmatic
99.cyberfeminism is not stable
100.cyberfeminism has not only one language


(1) Homepage Old Boys Network: www.obn.org.
(2) vgl. den Artikel von Katy Deepwell über Frauen bei der documenta x. N. Paradoxa Review, web.ukonline.co.uk/n.paradoxa/dx2.htm.
(3) Die FACES Mailingliste (Frauen und neue Medien) wird von Diana McCarty, Budapest, und Kathy Rae Huffman, Wien, betrieben. Anfragen bitte an diana@dial.isys.hu oder kathy@thing.at. Die Einrichtung der Mailingliste steht in Verbindung mit dem Kunstprojekt FACE SETTINGS (thing.at/face/) von Kathy Huffman und Eva Wohlgemuth.

 

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Projektgruppe "Kulturraum Internet". c/o Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
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