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Automobil- und Datenverkehr:
Ein ernsthaftes Mißverhältnis
  dialog, Schader Stiftung, November, S. 24-25, 1996

Jeanette Hofmann , 11/96

  Sprungbrett
  Literatur:

 

  Wenige Minuten nachdem das Haus von Arthur Dent, einem der Protagonisten in Douglas Adams Roman "Per Anhalter durch die Galaxis", dem Bau einer Umgehungsstraße zum Oper fällt, wird die Sprengung der Erde angekündigt. Sie sei der neuen Expressroute durch die Galaxis im Weg, heißt es von außerirdischer Seite. Und Beschwerden kämen nun zu spät, die betreffenden Entwürfe hätten schließlich 50 Jahre lang im zuständigen, nur vier Lichtjahre entfernten Planungsamt zur Ansicht ausgelegen.

Worin besteht der Witz dieser Geschichte? Offensichtlich in der Übertragung irdischer Verkehrswegeplanungsprozeduren auf die stoff- und grenzenlosen Verhältnisse im All, in dem es unserer Vorstellung nach weder Verkehrsstaus noch Konkurrenzen zwischen Umgehungsstraßen und Wohnhäusern gibt. Douglas Adams futuristische Verkehrskomödie spielt mit dieser Differenz zwischen irdischen und außerirdischen Bedingungen der Fortbewegung. Das verstehen wir als Witz.

Mit großem Ernst betrachten wir dagegen Versuche, die expandierende elektronische Vernetzung mit durchaus vergleichbaren Assoziationsmanövern auf den Begriff zu bringen. Da werden weltumspannende digitale Computernetzwerke zu "Datenautobahnen" oder "Superhighways", die man über Auffahrten erreichen kann - natürlich bloß, um sich in den nächstbesten Datenstau einzureihen. Selbst Führerscheinprüfungen finden sich inzwischen im Angebot. Derselben Analogiebildung zwischen Straße und Datenleitung entspringt die Frage, ob von der digitalen Vernetzung eine Lösung der wachsenden Verkehrsprobleme zu erwarten sei: Kann der Datenverkehr den Autoverkehr ersetzen oder zumindest entscheidend einschränken? Werden wir uns in ein von verödenden Städten umgebenes Volk von Stubenhockern und "Couch Potatoes" verwandeln, das seinen beruflichen und freizeitlichen Beschäftigungen fortan ausschließlich vom heimatlichen Bildschirm aus nachgeht?

Wir nehmen Prognosen ernst, die eine Ersetzung des Auto- durch den digitalen Datenverkehr prophezeien, weil wir diese Informationsübertragung im Gegensatz zu Adams galaktischen Reisevehikeln als plausible Alternative ansehen. Aber ist sie das tatsächlich? Ich meine, hier ist Skepsis angezeigt.

Metaphorische Begriffe wie "Datenautobahn" entstehen auf der Suche nach Sinnbildern, die helfen, eine neue fremde Technologie assoziativ an unsere Erfahrungswelt anzubinden. So betont etwa das Bild der Autobahn die hohe Geschwindigkeit der Datenübertragung und knüpft damit an das verbreitete Ideal einer schnellen und ungehinderten Raumdurchquerung an (vergl. dazu Canzler, Helmers & Hoffmann 1995). Die Projektion heutiger Alltagspraktiken oder - vorstellungen auf die künftigen Gebrauchsweisen neuer Technologien laufen jedoch immer Gefahr, die qualitative Andersartigkeit des technisch Neuen zu unterschätzen. Dies trifft auch auf offene Computernetze wie das Internet zu.

Geschwindigkeit und Fortbewegung haben in der immateriellen Datenwelt eine andere Bedeutung als im Straßenverkehr. Das hängt unter anderem mit den unterschiedlichen Raum- und Zeitstrukturen zusammen.

Autobahnen bilden einen Infrastrukturtyp, der zur physischen Überwindung geographischer Distanzen dient. Möglichst schnell sollen Menschen und Dinge von einem Ort zum anderen transportiert werden.

Geschwindigkeit in Computernetzen bewirkt dagegen eine Aufhebung von räumlicher Distanz. In der Kommunikation zwischen Rechnern schrumpfen die irdischen Entfernungen auf die Übertragungszeit von Daten zusammen. Weil eben nur Informationen in Gestalt von Bits und Bytes, nicht aber Personen transportiert werden, spielen die geographischen Standorte im Datenverkehr keine Rolle mehr. Ausreichende Übertragungskapazität vorausgesetzt, unterscheidet sich die Transportzeit zwischen zwei Stadtteilen nur unwesentlich von jener zwischen zwei Erdteilen. Im Internet herrscht gewissermaßen weltweite Zeit- und Ortsgleichheit für alle Kommunizierenden; es ist ein "raumloser Raum", der eine neue Kommunikationsumgebung und mit dieser einen anderen Typ von Öffentlichkeit hervorbringt.

Die unterschiedlichen Spielarten verteilter Kommunikation im Internet ermöglichen einen kollektiven zeitgleichen Austausch, an dem sich beliebig viele Menschen aktiv und passiv beteiligen können. Anders als bei den klassischen Medien Radio, Zeitung und Fernsehen sieht die Architektur interaktiver Computernetze vor, daß alle Nutzer zugleich als Produzenten und als Empfänger von Mitteilungen auftreten.

Während der Straßenverkehr vorrangig auf das Überwinden des Raums zielt, besteht das Charakteristikum des Datentransfers in offenen Computernetzen gerade darin, daß er neue gesellschaftliche Räume begründet; Räume, in die man sich auf körperlose Weise hineinbegeben kann. Erfahren wird der Datenverkehr im Internet weniger als Fortbewegung denn als elektronisches Angeschlossensein und, sofern gewünscht, als Teilhabe am öffentlichen Leben der immateriellen Netzwelt.

Anders als es die Autobahnmetapher nahelegt, erschöpft sich die Bedeutung von Computernetzen also weder in ihrer Transportfunktion, noch kann sie jene des automobilen Verkehrs ersetzen. Ortswechsel bleiben im digitalen Raum den Daten vorbehalten. Aus ihrer Übertragung aber entstehen Interaktionsformen, die sich zu neuartigen gesellschaftlichen Organisationszusammenhängen verdichten, deren Möglichkeiten und Grenzen noch nicht einmal in Ansätzen ausgelotet sind.

Erwartet wird etwa, daß die eigentümliche Ort- und Grenzenlosigkeit der digitalen Netzwelt die wirtschaftlichen Produktions- und Handelsstrukturen immer stärker durchdringen und virtualisieren wird. Unternehmensgrenzen werden durchlässiger, Produktionsstandorte beliebiger und Arbeitsbeziehungen flüchtiger. Tiefgreifende Verschiebungen in der internationalen Arbeitsteilung könnten eine der Folgen sein.

Telearbeit im Weltmaßstab wird vorstellbar, bei der Routinetätigkeiten nicht nur aus dem Betrieb, sondern auch gleich aus dem Produktionsland ausgelagert werden. Ob eine internationale Umverteilung der Arbeitsplätze tatsächlich eine Verringerung des Verkehrsaufkommens nach sich ziehen oder nicht vielmehr, wie Schütte (1996) vermutet, an anderer Stelle neue Verkehrsströme auslösen würde, bleibt offen. In jedem Fall aber zeichnet sich ab, daß auch Straßen und Autos kurz über lang an Computernetze angeschlossen werden. Mit Hilfe digitaler Leitsysteme soll es gelingen, durch eine höhere Nutzungseffizienz des bestehenden Straßennetzes Fahrzeuge staufrei an ihren Zielort zu steuern.

Visionen wie die eines computergelenkten Autoverkehrs mögen als ein weiteres Indiz dafür angesehen werden, daß die Substitutionsthese, die einer Ersetzung des Automobils durch den Datenverkehr das Wort redet, außerordentlich unrealistisch ist. Weder werden solche technikzentrierten Prognosen der gesellschaftlichen Verantwortung für die Verkehrsproblematik gerecht, noch zeichnen sie ein angemessenes Bild von der Beschaffenheit der Computernetze. Die digitale Technik tritt eben nicht einfach anstelle gewachsener Handlungs- bzw. Fortbewegungsformen, sie durchdringt und verändert diese vielmehr und bringt auf diese Weise neue hervor. Ob und wie bestehende Verkehrssysteme hiervon berührt werden, ist in erster Linie eine Frage gesellschaftlicher Entscheidungen.

Während Douglas Adams "Per Anhalter durch die Galaxis" parodisierend um die Unterschiede zwischen irdischen und galaktischen Fortbewegungsformen kreist, dominieren in der Debatte über den Datenverkehr Sinnbilder und Deutungsfiguren, die dessen Differenz zum Autoverkehr geradezu unkenntlich werden lassen. Es steht zu hoffen, daß wir die Idee, Computernetze als Autobahnen zu interpretieren, irgendwann auch mit einem Lächeln bedenken werden.

Literatur:
  Canzler, Weert, Sabine Helmers & Ute Hoffmann (1995) "Die Datenautobahn - Sinn und Unsinn einer populären Metapher", WZB Discussion Paper FS II 95-101, Wissenschaftszentrum Berlin.

Schütte, Volker (1996) "Wie grün ist die Informationsgesellschaft", in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 9, S. 1111 - 1119.

 

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