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Selbstregulierung im Kulturraum Internet
Volksentscheid, Cyberangels und Filter
  Das Parlament Nr. 33/34, 6./16. August 1996, S. 18

Ute Hoffmann , 6/98

  Sprungbrett
1  Selbstregulierung im Kulturraum Internet: Volksentscheid, Cyberangels und Filter

 

 
1 Selbstregulierung im Kulturraum Internet: Volksentscheid, Cyberangels und Filter
  Mit der Clinton/Gore-Initiative zum Aufbau einer nationalen Informationsinfrastrukturrückte das Internet im Herbst 1993 gewissermaßen über Nacht ins Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit. Das Netz, das lange Jahre eine Welt für sich gebildet hatte, sah sich nun als Vorläufer dervielbeschworenen Datenautobahn.

Seitdem ist das Begehren, "angeschlossen" zu sein, ungebrochen.Hatte die Zahl der Internet-Hosts 1992 gerade die Millionengrenze überschritten, verbindet das Netz Mitte 1996 bereits weltweit mehr als 12 Millionen Rechner. Aus alten Medien vertrauteRollenmuster wie Sender/Empfänger, Anbieter/Nachfrager, Produzent/Rezipient lösen sich in interaktiven Computernetzwerken wie dem Internet der Möglichkeit nach auf. So konnten sich hier nicht nurinnovative Nutzungspraxen, sondern auch neuartige Regulierungsweisen entfalten. Im Gegensatz zur häufig und gerneproklamierten "World wide anarchy" des "rechtsfreien Raums" Internet stellt sich das Netz beigenauerer Betrachtung als durchaus geordneter Interaktionsraum dar. In Abwesenheit von zentralen Steuerungsinstanzen hat sich eine Vielfalt von netzspezifischen Formen der dezentralen Selbstregulierung herausgebildet.

Die Netiquette ist ein Kodex von Regeln für das allgemeine Verhalten im Netz undumfaßt sowohl Benimm-Regeln für den Umgang mit anderen NutzerInnen, als auch Richtlinien für ein "angemessenes" Verhalten bei Inanspruchnahme von Internetresourcen. Die Netiquette ist ein Mittel der indirekten Verhaltenssteuerung. Ohne verpflichtenden Charakter appelliert sie an dieEigeninitiative und Eigenverantwortlichkeit der Nutzern eines Kollektivguts. Die Netiquette ist nicht durch repräsentative Verfahren der Entscheidungsfindung legitimiert, sondern bildet sich im Prozeß praktischer Handlungen heraus,der in einen vorläufigen, mehr oder weniger stabilen Konsens mündet.

Es gibt keine Legislative im Netz, die genau bemessene Strafen für Verstößefestsetzt. Zur gewachsenen Ordnung des Internet gehört allerdings selbsternannte oder gewählte Ordnungshüterinnen, wie etwa MUD Wizards, IRC Operators, News- und Listen-ModeratorInnen und FTP-AdministratorInnen, die in denverschiedenen Diensten des Netzes über die Einhaltung des Reglements der Internet-Kultur wachen. Ihre Sanktionsgewalt ist lokal begrenzt und beschränkt sich in derRegel auf Ermahnungen und Apelle an die Eigenverantwortlichkeit, mitunter unterstützt durch Gruppendruck anderer Netzteilnehmer. Im ärgsten Fall besteht eine Sanktion in einer Verbannung der Malefikanten aus demNetz.

Formalisierte Regelwerke und Einigungsmechanismen haben sich schon frün inBereichen herausgebildet, wo es um Entscheidungen im Netz mit globaler Tragweite geht. Ein Beispiel dafür ist dieEinrichtung neuer Diskussionsforum innerhalb von Teilen der Netnews, die nach einem festgelegten Verfahren per "Volksentscheid" erfolgt: auf die Veröffentlichung eines Vorschlags, der von jedem Netzteilnehmer ausgehen kann, und einer Diskussionsphase kann nach einem Wahlaufruf jeder an der Abstimmung teilnehmen.Sind die Stimmen ausgezählt und ihre Korrektheit kontrolliert, so ist die Wahl gültig, wenn innerhalb einer festgelegten Frist kein Widerspruch eingelegt wird.

Im März 1996 wurde jüngst über die Einrichtung einer Newsgruppe, die sich derDiskussion von "rassistischer und chauvinistischer" Musik widmen wollte, abgestimmt. Mit einer noch nie dagewesenen Abstimmungsbeteiligung wurde die Gruppe rec.music.white-power bei 33.033 Nein-Stimmen und 592 Ja-Voten nach einer 2-monatigen Auszählungszeit schießlich abgewiesen. Fälle wie dieser verweisen auf die Belastung, die der Ansturm neuer Nutzer für die gewachsene Entscheidungsmechanismenbeinhaltet. Ob diese Mechanismen robust genug sind, um die Aufwärtstransformation des Netzes zu überleben, oder obsie über kurz oder lang als nicht weiter praktikabel erscheinen, muß sich erst erweisen.

Die Pflege und Weiterentwicklung der Internet-Protokollfamilie ist eine zentraleProblemstellung von globalem Belang. Sie betrifft die Nutzer des Internet als Gesamtheit: Kommunikationsprotokolleberühren die Bedingungen der Interaktion und Teilhabe in der virtuellen Welt in unmittelbarer Weise - jeder Austauch ist einDatenaustausch. Technische Standardisierungsprozesse im Internet gehören zum Hauptbetätigungsfeld der wenigen übergreifenden Organe des Internet. Die eigentliche Entwicklungsarbeit erfolgt in Arbeitsgruppen der Internet EngineeringTask Force (IETF). Die Mitgliedschaft in diesem Standardisierungsforum wird eher lose gehandhabt: Mitglied ist, wer sich an einer derIETF-Mailing-Listen beteiligt. Entscheidungen werden nicht durch Abstimmung, sondern nach dem Prinzip des "roughconsensus" erzielt.

Die technische Standardsetzung folgt einem netzspezifischen Verfahren, das im Netzauch "Request for Comments" (RFC) genannt wird nach der Schriftenreihe, in der in Erprobung befindliche oder bereits empfohlene Internet-Protokolle veröffentlicht werden. Seit kurzem sind in dieser Schriftenreihe auch "Netiquette Guidelines" (RFC 1855) zu finden. Im Internet unterliegen technische und soziale Normen ein und demselben - netzspezifischen - Prozederde der Standardsetzung.

Die globale Formalisierung und Vereinheitlichung sozialer Interaktionsregeln auf demkleinsten gemeinsamen Nenner ist einer der Formen, mit denen die Internetgemeinde den Herausforderungen begegnet, die sich mit der schnell wachsenden Zahl zunehmend heterogener Nutzerkreise an dieSelbstregulierungsfähigkeit des Netzes stellen. Im Auftauchen von neuartigen Funktionsgemeinschaften, die sich derAufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung verschrieben haben, zeichnet sich ein zweite Reaktionsformab. Die "Cyberangels" etwa sind Netzableger der Guardian Angels, die in den New Yorker U-BahnenMitbürger vor Übergriffen schützen wollen. Solche "Bürgerwehren" treffen im Netz auf gemischteGefühle, kann doch der Kampf gegen den Netzmißbrauch leicht in eine Überwachungsmentalität und Zensurumschlagen.

Eine dritte Möglichkeit ist der Einsatz technischer Filter alsRegulierungsinstrument. Solche Filter wie etwa Suchmaschinen im World Wide Web (WWW), die erwünschte Informationenaus der Fülle der Angebote herausdestillieren, können ebensogut als Selektionsmechanismen eingesetzt werden, um Informationen abzublocken. So zeigt etwa der WWW-Browser deramerikanischen Firma Safe Surf nur solche WWW-Seiten des Internet auf dem Bildschirm an, die als "kindgemäß" bei Safe Surf in einer Datenbank registriert sind. Dieses Lesegerät erlaubt Eltern die selektive Steuerung desInternet-Zugriffs ihrer Kinder.

Nutzungsoffene Netze wie das Internet eröffnen einen Möglichkeitsraum, dendie NutzerInnen für sich gestalten. Technische Filter als dezentrale Problemlösung erweitern ihre Handlungsfähigkeiten bei dieser Ausgestaltung. Filtertechnologien stehen in der Tradition der Internetkultur, weil sie die Freiheitder Information nicht einschränken. Sie geben dem Recht, nicht hinzuhören, eine zusätzliche Realisierungschance.

 

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Projektgruppe "Kulturraum Internet". c/o Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
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