Startseite Über uns Endbericht (Hyper-)Texte Allerlei Interaktionen Sitemap
Startseite Über uns Endbericht (Hyper-)Texte Allerlei Interaktionen Sitemap

Gewitterwolken am Netzhorizont
Neue Blockademaßnahmen gegen XS4ALL
  SPIEGEL ONLINE 17/1997.

Sabine Helmers , 4/97

 

  (Textkopie ohne Quellenangaben)

Der leuchtende Streifen Hale-Bopp bewegt sich nun wieder aus dem Blickfeld der Erde, und es wird dunkler am nächtlichen Himmel. Doch nicht nur am Firmament, auch in der Netzwelt gibt es seit dem 11. April eine Verdunkelung - künstlich herbeigeführt durch den Verein Deutsches Forschungsnetz (DFN), dem ältesten und noch immer bedeutendsten Internetprovider in Deutschland, der Universitäten und Forschungsinstitute vernetzt.

Gegenstand der Verdunkelung ist der WWW-Server des holländischen Internetproviders XS4ALL. Die Webadresse "www.xs4all.nl" ist via DFN-Internetanbindung nicht mehr erreichbar. Mit dieser Sperre folgt der DFN einem Ersuchen des Bundeskriminalamtes. Dem wiederum liegt das Ansinnen der Bundesanwaltschaft zugrunde, die Verbreitung eines in Deutschland verbotenen Textes über das Internet zu verhindern.

Der Text, um den es geht, hat bereits im vergangenen Jahr Schlagzeilen gemacht: Es handelt sich um einen Artikel aus der Ausgabe 154 der Zeitschrift RADIKAL, in dem Tips und Tricks der Eisenbahnsabotage erläutert werden. Dieser Text verstößt gegen deutsches Recht, wenn man ihn, wie die Bundesanwaltschaft, als Aufruf zu gemeingefährlichen Gewalttaten versteht und einen Straftatsbestand nach §§ 129a Abs. 3, 130a Abs. 1 sowie 140 Nr. 2 StGB erfüllt sieht. Schon im letzten August sind Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt wegen eben dieses Artikels in RADIKAL an die großen deutschen Internetprovider mit dem Hinweis herangetreten, daß der Text per Internet deutsches Hoheitsgebiet erreicht und daß sich die Provider möglicherweise einer Beihilfe zu diesen Straftaten schuldig machen, wenn sie den Internetzugang zu diesem Artikel nicht unterbinden.

Bisher ist jedoch das Aussortieren von einzelnen Inhalten aus Datenströmen des Internet nicht möglich. Für solche Maßnahmen wurde das Netz nicht entworfen. Einem Internetprovider, der hierzu gedrängt wird, bleibt allein die technisch platte Möglichkeit, nicht nur den einen Text, sondern den gesamten Ursprungsort aus seinem Internetadressierungssystem herauszustreichen und komplett zu blockieren. Im Falle von XS4ALL werden dadurch unterschiedslos Tausende von WWW-Seiten gesperrt, mit Informationen bespielsweise von Amsterdamer Sportvereinen und Künstlern, Seiten der israelischen Botschaft, Universitätsseiten, private Homepages - all das, was üblicherweise auf WWW- Servern von ganz normalen Internetprovidern zu finden ist, und was nach deutschen Recht völlig unproblematisch ist.

Allerdings ist XS4ALL kein ganz normaler kommerzieller Internetanbieter, sondern hat seine historischen Wurzeln in der holländischen Hackerbewegung und betrachtet es als eines seiner Ziele, Internetzugang für jedermann - access for all - anzubieten. Die Manager von XS4ALL weigern sich vehement, den RADIKAL-Artikel, den einer ihrer Internetkunden, die holländische "Solidaritätsgruppe politischer Gefangener" auf den Webserver gelegt hat, zu entfernen. Der Text verstößt nicht gegen holländische Gesetze.

Im vergangenen September reagierten einige der kommerziellen deutschen Internetprovider auf das Rundschreiben der Bundesanwaltschaft recht eilig mit einer mehrere Woche dauernden WWW-Blockade gegen die holländischen Kollegen. Der DFN-Verein allerdings hatte damals nur einen Brief an XS4ALL geschickt, mit der Aufforderung, den RADIKAL-Artikel vom Server zu nehmen. Außerdem begann man beim DFN mit einer eigenen Prüfung der Rechtslage. Die kommerziellen Provider beendeten ihre Sperre, nachdem die "Solidaritätsgruppe" - wenn auch nur für einen kurzen Zeitraum - die problematische RADIKAL-Ausgabe vom Server genommen hatte. Zwischenzeitlich war der Text weltweit an zahlreichen Orten von Meinungsfreiheitsfundamentalisten in Kopien ins WWW gestellt worden. Für viele schien die Angelegenheit damit ausgestanden.

Sie irrten sich, wie nun der DFN feststellen mußte. Die deutschen Justizbeamten surfen offenbar auch weiterhin durch die Netzwelt, um nach den illegalen Inhalten Ausschau zu halten. Am 2. April erhielt der DFN einen Brief vom Bundeskriminalamt mit dem Hinweis, man habe feststellen müssen, der Text sei noch immer in Deutschland zugänglich. Der DFN sah sich nach Prüfung der derzeitigen Rechtslage gezwungen, der Aufforderung des BKA nachzukommen und XS4ALL zu sperren, um gerichtliche Auseinandersetzungen mit den Terrorismusbekämpfern zu vermeiden.

Der DFN will die Sperre aufrechterhalten, solange der im Schreiben vom BKA genannte RADIKAL-Text über XS4ALL nach Deutschland gelangen kann. Das wird fortan täglich geprüft. Da man in Holland nicht willens ist, sich den deutschen Strafverfolgern zu beugen, kann die Blockade wohl ziemlich lange dauern. Technisch ist eine solche Sperre durchführbar, aber es bleibt fraglich, ob sie zumutbar ist - ob man in einem Netz, das dem internationalen Verbund von Forschung aller Fachrichtungen und der möglichst uneingeschränkten Kommunikation der Wissenschaft dienen soll, im nationalen Alleingang größere Informationsbereiche, wie jetzt im Falle von XS4ALL, einfach ausgrenzen kann, ohne in Konflikt mit seinem Auftrag als Provider zu geraten.

Der DFN informiert seit heute auf seinem Webserver über die Sperrmaßnahme, enthält sich allerdings eines weitergehenden Kommentars zu der Angelegenheit. Auch am Telephon wollte der Sprecher des DFN nicht mehr sagen, als aus der offiziellen Verlautbarung hervorgeht.

In Amsterdam, im Management von XS4ALL, reagiert man auf die erneute Blockade des Angebots mit Fassungslosigkeit. Felipe Rodriquez, einer der Manager, gegen den die Bundesanwaltschaft im letzten Jahr ermittelt hat und möglicherweise auch noch weiterhin ermittelt, kommentiert:

"Bisher ist weder die deutsche noch die holländische Justiz mit uns wegen des RADIKAL-Textes in Verbindung getreten. Ob wir einen Text aus rechtlichen Gründen von unserem Server nehmen müssen, bliebe aber immer einer Entscheidung holländischer Gerichte vorbehalten. Es ist nicht unsere Aufgabe als Provider, von uns aus und ohne ordentliche Gerichtsentscheidung die Redefreiheit unserer Internetkunden zu beschränken."

Auch die Tatsache, daß wiederum nur "xs4all" von der deutschen Justizaktion betroffen ist, verärgert Rodriquez: "Es sind bereits seit mehreren Monaten über 40 Websites weltweit bekannt, auf denen die RADIKAL-Seiten gespiegelt werden. Warum blockiert DFN nur unseren Webserver? Das ist vollkommen absurd. Ich werde Herrn Maas von DFN eine Mitteilung über die Mirror-Sites schicken. Formell wäre er dann verpflichtet, auch all diese Server zu blockieren."

Während bislang bei den beiden Sperraktionen gegen "www.xs4all.nl" das allseitige Bestreben festzustellen war, möglichst wenig Wirbel zu erzeugen, könnte sich die Angelegenheit mit einer solchen Maßnahme recht stürmisch entwickeln. Statt einer punktuellen, möglicherweise nur vorübergehenden Sperraktion müßte der DFN eine sehr viel weiträumigere Blockade durchführen, von der unter anderem auch große amerikanische Universitäten betroffen sein könnten. Auf lange Sicht würde eine solche Politik zu einer zunehmenden Isolierung des deutschen Internet führen. Es bleibt zu hoffen, daß sich das Gewitter, das hier am Netzhorizont heraufzieht, klärend auf die deutsche Rechtslage auswirkt.

DER SPIEGEL 17/97 - Vervielfältigung nur mit Genehmigung des SPIEGEL-Verlags


Originaltext einschliesslich Quellenangaben im Archiv von SPIEGEL ONLINE

 

Startseite Über uns Endbericht (Hyper-)Texte Allerlei Interaktionen Sitemap
Startseite Über uns Endbericht (Hyper-)Texte Allerlei Interaktionen Sitemap

Projektgruppe "Kulturraum Internet". c/o Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
Reichpietschufer 50, 10785 Berlin. Telefon: (030) 254 91 - 207; Fax: (030) 254 91 - 209;
; http://duplox.wzb.eu.