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Einführung

We reject: kings, presidents, and voting. We believe in: rough consensus and running code.
Motto der IETF, zit. nach Borsook [1995]

Stalinistic limitations on the possibilities of network names are a legacy of the cold war mentality which exists in the current ,,domain`` name system (DNS) of the internet.
Paul Garrin <eon@autono.net> in einer email im Oktober 1996

Das Internet hat bekanntlich weder eine Zentrale noch eine Regierung. Und bislang fuhr es gut damit. Dennoch wäre es ein Mißverständnis, daraus den Schluß abzuleiten, es gebe keine Instanzen von zentraler Bedeutung und keine Regeln der self-governance. Im Umgang mit gewohnten Begriffen ist Vorsicht angeraten. Für die Industriegesellschaft grundlegende Konzepte wie das Privateigentum werden dort prekär, wo das Netz als Ganzes berührt ist. ,,Das dezentrale Gefüge der Netzwelt ordnet sich nicht entlang der konventionellen Formen parlamentarisch-rechtsstaatlicher Demokratie`` (Hofmann [1996]).

Privateigentum ist in der real world ein wohldefiniertes Konzept, basierend auf der Möglichkeit, andere von der Nutzung knapper Güter auszuschließen. Das Internet - in Form seiner konstituierenden Protokolle - hält sich daran, indem es Allokationsentscheidungen über knappe Güter möglichst beim lokalen Betreiber und seinen direkten Verhandungspartnern ansiedelt - wohlwissend darum, daß es selbst nicht in der Lage ist, kollektiv bindende Entscheidungen herzustellen, die über das technisch definierbare Minimum der Kommunikationsprotokolle hinausgehen.

Nun gibt es aber Fälle, in denen diese Strategie versagt: Die beiden prominentesten Beispiele einer solchen Wiederkehr der Knappheit sind IP-Adressen und domain names. Der Erfolg des Internet ist gleichzeitig sein Problem. Denn als der IPv4-Adressraum und der DNS-Namensraum definiert wurden, konnte niemand sich vorstellen, wie groß das damit abzubildende Netz einmal werden würde. Beide sind für heutige und künftige Verhältnisse schlicht zu klein geworden. Für den Adressraum ist mit IPv6 inzwischen eine Lösung in Sicht, mit der die Knappheit überwunden werden soll. Mögliche Erweiterungen des Namensraums werden in diesem Papier diskutiert.

Der kommerzielle Siegeszug des Internet stellt die akademisch verwurzelte Konsenskultur, die administrative Kernfragen bislang mit leichter Hand bearbeitete, vor neue Herausforderungen. Inzwischen ist großes Geld involviert, und die Registrierung der domain names - eine für das Internet zentrale Dienstleistung, mittels dener Netzpräsenzen definiert werden - hat sich vom Kostenfaktor zum Profitbereich entwickelt.

Die Namen haben einen Wert bekommen, der ihnen nicht zugedacht worden war, als vor einem guten Jahrzehnt der Domain Name Service (DNS) konzipiert und implementiert wurde. Die damals, als das ganze Internet nur wenige hundert Rechner umfaßte, erdachte Technik (Abschnitt 2.2) skaliert noch immer. Deren Prinzipien der Dezentralisierung und Automatisierung haben sich als äußerst robust erwiesen und das fulminante Wachstum möglich gemacht.

Grenzen werden nun dort sichtbar, wo Dezentralisierung nicht erfolgreich war: Es ist nicht gelungen, den internationalen Teil des Namensraums anders als flach zu strukturieren. Das Wachstum der internationalen top level domains, allen voran .com, stößt an Grenzen. Das InterNIC, die zentrale Registratur, wird als Monopol wahrgenommen. Als der InterNIC-Betreiber NSI im Herbst 1995 begann, pro domain und Jahr 50 US-Dollar zu berechnen (Abschnitt 3.4), war dies der Auslöser für Bestrebungen, neue internationale top level domains einzurichten und NSI auf diese Weise Konkurrenz zu machen.

Dieser Prozeß ist bislang nicht abgeschlossen. Kerninstitutionen des Internet wie IANA und ISOC versuchen, kollektiv bindende Entscheidungen mit direkten finanziellen Auswirkungen zu treffen und Akzeptanz dafür zu erzeugen. Das im Internet eigentlich Unentscheidbare muß also entschieden werden, und wie oft im wirklichen Leben lag die Entscheidungsgewalt zunächst bei einem plural besetzten Gremium, dem IAHC (Abschnitt 4.3) - dessen Entscheidungen gleichwohl in netztypischer Weise auf einen breiten Konsens quasi aller Netzbetreiber angewiesen bleiben.

Dieses Papier versucht, diesen Entscheidungsprozeß und seine Bedingungen nachzuzeichnen und zu erläutern. Auf eine Institutionenkunde des Internet (vgl. dazu Helmers et al. [1996, 36ff.]) wird dabei zugunsten einer detaillierten Erläuterung des DNS (Abschnitt 2.1) und seiner Technik verzichtet.

Während die ,,klassischen`` Institutionen noch um einen Konsens rangen, hatten Dissidenten längst ,,alternative`` Registraturen (Abschnitt 4.2) eingerichtet, drohten und drohen mit einer Spaltung des Netz-Namensraums. Wird es gelingen, den Namensraum des Internet vor dem Zerbrechen zu bewahren?


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Martin Recke
Fri May 9 18:33:56 MET DST 1997