next up previous contents
Next: Wo policy durch die Up: FS II 97-104 Identität Previous: Aktuelle Probleme des DNS

Die aktuelle Debatte um die Zukunft des DNS

NSI und InterNIC werden weithin als Monopol wahrgenommen und kritisiert. Aus der Unzufriedenheit über die policies von NSI speist sich ein Gutteil des Antriebs für die derzeitigen Bestrebungen, den DNS zu öffnen und neue Registraturen einzurichten. Im September 1995 - NSI hatte gerade begonnen, Geld für seine Dienste zu nehmen - entstand die IETF-working group Integrated Network Information Centers (iNIC). Auf ihrer Mailingliste namens newdom wurden die diversen Vorschläge diskutiert, neue iTLDs und neue, alternative Registraturen einzurichten.

,,Freier Markt`` und ,,Wettbewerb`` sind bis heute vielgehörte Stichworte in den heftigen Debatten. Gleichwohl reichte der rough consensus, der sich bis zum Herbst 1996 herausgebildet hatte, nicht viel weiter als bis zur Unzufriedenheit mit dem status quo. Auch unter den Befürwortern neuer iTLDs waren (und sind) etliche, zum Teil fundamentale Fragen umstritten:

Im Grunde gab es keine konsensfähige Idee darüber, wie weit das Allokationsprinzip Markt Verwendung finden soll.

Wird der Namensraum nicht als öffentliches Gut verstanden, sondern als kommerziell zu entwickelndes und vermarktbares Produkt, dann folgt daraus eine enge Bindung der neuen Registraturen an ihre iTLDs: Sie gilt es zu bewerben, am Markt zu plazieren und zu pflegen; für ihre Attraktivität ist zu sorgen, ihr Bekanntheitsgrad zu steigern. Gefragt sind ,,sprechende``, assoziationsstarke Kürzel mit spezifischer Attraktivität. iTLDs sind aus dieser Warte nicht mehr vorrangig ordnungsstiftende, katalogisierende und möglichst neutrale mnemonics, sondern in erster Linie Produkte.

Der Vorschlag der IANA: Draft Postel

Der Draft Postel entsprang dem traditionellen, vor gut zehn Jahren entwickelten Verständnis von iTLDs als generischen Namen, die kategorisierbare Merkmale der netznutzenden Organisationen abbilden. Postel hält an der zentralen Rolle der IANA insoweit fest, als Schaffung und Management neuer iTLDs weiterhin unter ihrer Kontrolle bleiben sollen (,,IANA continues to supervise and control the creation and management aspects``).

Im Juni 1996, am Rande des 36. IETF-meetings im kanadischen Montreal, stimmte das ,,Board of Trustees`` der ISOC im Grundsatz dem von Jon Postel entworfenen Draft ,,New Registries and the Delegation of International Top Level Domains`` (draft-postel-iana-itld-admin-01.txt; Postel [1996a]) zu. Postel erhielt den Auftrag, den Vorschlag weiterzuentwickeln und einen business plan auszuarbeiten. Im August 1996 erschien ein leicht modifizierter Draft Postel (Postel [1996b]).

Jon Postel vertritt das Konzept einer Quersubventionierung: Die Einnahmen aus der Registrierung neuer iTLD-Registraturen will er verwenden, um der IANA einen ,,legal and financial umbrella`` zu verschaffen. Denn die IANA wird bis heute indirekt aus dem US-Staatshaushalt finanziert (Shaw [1996]). Sein Vorschlag, der auf zwei frühere, informelle drafts vom November 1995 und Januar 1996 zurückgeht, sah vor, bis zu 150 neue iTLDs und 50 neue Registraturen zu schaffen.

Noch im Oktober 1996 hielt die IANA an einer weiterentwickelten Fassung des Postel-Entwurfs fest (siehe ftp://ftp.isi.edu/in-notes/iana/administration/new-registries). Die heftig umstrittenen Pläne der IANA, den (neuen) Registraturen Gebühren aufzuerlegen, waren bis dahin auf eine ,,Bewerbungsgebühr`` von 1000 US-Dollar und eine jährliche Gebühr von 2000 US-Dollar plus zwei Prozent vom Bruttoeinkommen reduziert worden.

Ein International Ad Hoc Committee, bestehend aus je zwei von IANA, IETF und ISOC und je einem von ITU, WIPO und INTA benannten Vertreter, sollte nach diesen letztlich fallengelassenen Plänen über die Schaffung neuer iTLDs und die Statuierung der Registraturen (chartering) entscheiden. Die ISOC beschloß dann am 22. Oktober 1996, ein gleichnamiges Komitee mit einer offeneren Aufgabenstellung einzurichten (siehe Abschnitt 4.3).

 

Die Dissidenten: Alternic, name.space und eDNS

Während der Postel-Entwurf und das Thema insgesamt noch breit diskutiert wurden, schufen ein paar Dissidenten um Eugene Kashpureff eine alternative Registratur namens ,,Alternic`` (siehe http://www.alternic.net/). Alternic bietet als besonderes feature nicht nur die Registrierung in neuen, ,,experimentellen`` oder ,,alternativen`` TLDs an (und nimmt Geld dafür), sondern erlaubt auch die Registrierung neuer TLDs selbst. Eine Reihe von netizens, die auch an den Debatten des Internet International Ad Hoc Committees (siehe Abschnitt 4.3) partizipierten und proposals einreichten, sind selbst bereits mit neuen iTLDs bei Alternic vertreten.

Alternic deklariert sich zwar als ,,experimentell`` und knüpft damit an den Usus an, neue Standards auf dem Netz selbst auszuprobieren, es partizipiert aber gleichzeitig am Versuch, mit einer Gruppe neuer, internationaler root servers (Root-64) die bisherige Rolle von NSI als Wurzel des Namensraums zu übernehmen. Ein Hauptkritikpunkt am draft Postels, der die meisten der ansonsten auch untereinander zerstrittenen Dissidenten eint, ist die ,,Zweckentfremdung`` von Registrierungsgebühren für die Finanzierung der IANA. Sie fordern, diese Mittel nur für den Betrieb der root servers selbst und die root-Registratur (,,.``) zu verwenden.

Im Herbst 1996 verkündete der New Yorker Videokünstler Paul Garrin die ,,Liberation of NameSpace``, nachdem er eine weitere alternative root-Registratur namens name.space (siehe http://namespace.autono.net/) etabliert hatte. Im Unterschied zu Alternic ist es dort möglich, ,,öffentliche``, für die allgemeine Nutzung freistehende TLDs kostenlos zu registrieren. Garrin garniert dies mit Revolutionsrhetorik (,,the Winter Palace is about to be stormed``). Er und seine Konkurrenten von Alternic haben nach einigem Disput inzwischen angekündigt, ihre Datenbanken zu synchronisieren (Gröndahl [1997]). Dies dürfte unter dem Dach des eDNS (enhanced DNS) geschehen, mit dem inzwischen der exponierte IAHC-Kritiker Karl Denninger aufgetreten ist.

 

Der Versuch einer Konsenslösung: IAHC

Manchem Beobachter erschien die Installation des Internet International Ad Hoc Committee als ein (womöglich letzter) Versuch, die angesichts des Problems der internationalen TLDs drohende staatliche Einflußnahme auf den administrativen Kern des Internet zu verhindern und ihr zuvorzukommen. Erstmals bediente sich die ISOC bei einer solch exponierten Frage des Sachverstands internationaler, nicht traditionell und direkt mit dem Internet verbundener Organisationen.

Die Beteiligung der von ihnen (wenn auch nicht als ,,offizielle`` Vertreter) benannten IAHC-Mitglieder zielte auch darauf, dem Entscheidungsprozeß mehr Legitimität zu geben - und so die Akzeptanz zu erzeugen, die essentiell ist zur Realisierung zentraler Entscheidungen in einem derart gestaltungsoffenen Netzwerk wie dem Internet. Das IAHC sieht dem von Postel präferierten zum Verwechseln ähnlich, es hat jedoch praktisch die Aufgabe der gescheiterten working group Integrated Network Information Centers (iNIC) übernommen, zunächst ein konsensfähiges procedere für die Installation neuer iTLDs zu entwickeln und dies dann ein erstes Mal anzuwenden.

Gleichwohl vereinigte das Komitee mit Vertretern von Internet Society (ISOC), Internet Assigned Numbers Authority (IANA), Internet Architecture Board (IAB) und Federal Networking Council (FNC) - neben Angehörigen der bislang eher netzfernen Institutionen International Telecommunication Union (ITU), International Trademark Association (INTA) und World Intellectual Property Organization (WIPO) - vorrangig das ,,alte`` Internet, läßt die vielen provider und die immer stärker werdenden kommerziellen Nutzer außen vor.

Die IAHC-Vorschläge

Am 4. Februar 1997 veröffentlichte das IAHC seine recommendations für die Lösung des DNS-Problems. Es schlug darin vor, zunächst nur sieben neue TLDs zu schaffen, diese aber durch eine Vielzahl (zunächst 28) von Registratoren (registrars) zu verwalten. Die neudefinierten gTLDs sind:

     .firm     for businesses, or firms
     .store    for businesses offering goods to purchase
     .web      for entities emphasizing activities related
               to the WWW
     .arts     for entities emphasizing cultural and
               entertainment activities
     .rec      for entities emphasizing
               recreation/entertainment activities
     .info     for entities providing information services
     .nom      for those wishing individual or personal
               nomenclature

Mit diesem Plan hat das IAHC in seinem ersten draft (Draft Specification for Administration and Management of gTLDs [1996]) für eine zugleich strukturkonservative und soziotechnisch ambitionierte Lösung optiert. Sie ist strukturkonservativ, weil sie auch unter dem Druck des exponentiellen Wachstums der Nachfrage nach Namen am traditionellen Verständnis von top level domains als Abbildung kategorisierbarer Merkmale der Inhaber von second level domains festhält. Gerade um dies tun zu können, muß sie für eine soziotechnisch ambitionierte Lösung votieren.

Denn es gibt, während die ingenieurstechnische Seite einer zentralen, von mehreren Registratoren (registrars) administrierten Datenbank kein unlösbares Problem darstellt, bislang keine Beispielimplementation für das soziale, vor allem wirtschaftliche Arrangement zwischen dieser Datenbank und dem Rest der Gesellschaft: nötig ist eine Konstellation aus mehreren Registratoren, die den service der bislang üblichen Registraturen anbieten, um eine shared registry herum. Das IAHC will dazu ein Council of Registrars (CORE) etablieren, in dem die Registratoren zusammengeschlossen werden.

Ein Policy Oversight Committee (POC), zusammengesetzt aus dem Kreis der im IAHC vertretenen Institutionen und dem CORE, soll dann über weitere neue gTLDs entscheiden, nachdem die ersten sieben gTLDs noch vom IAHC installiert wurden. Ein weiteres Gremium namens Policy Advisory Body (PAB), zusammengesetzt aus den Unterzeichnern eines gTLD DNS Memorandum of Understanding (gTLD-MoU), soll die Oberaufsicht übernehmen. Dieses Memorandum wurde am 1. Mai 1997 in Genf von 57 Firmen und Organisationen unterzeichnet, darunter IANA und ISOC; weitere 23 Organisationen erklärten schriftlich ihre Unterzeichnungsabsichten. Damit begann die hunderttägige Bewerbungsfrist für die Registratoren. Am 6. Mai 1997 annoncierte das in Genf gebildete Interim-POC, daß es vorschlagen werde, das Limit von 28 Registratoren fallen zu lassen.

Nach dem IAHC-Vorschlag sollte durch eine Lotterie unter den Bewerbern ermittelt werden, wer den Zuschlag für diese Positionen erhält. Diese Idee führte zu erregten Debatten auf der IAHC-mailinglist und gehörte zu den umstrittensten Punkten des drafts. Die Lotterie und die Limitierung der Registratorenzahl galt vielen Kritikern als willkürlicher Eingriff in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit, die auch für das Geschäft der Registratoren eingefordert wurde.

Besonders umstritten war auch die Idee, eine 60tägige Wartezeit für neue domain names einzuführen. Mit Hilfe dieser Wartezeit soll es möglich werden, daß trademark-Inhaber rechtzeitig vor Installation von domains, die ihre Rechte verletzen könnten, Gelegenheit zum Einspruch bekommen. Diese Frist sahen manche als ungerechtfertigte Verzögerung im dynamischen Internet-Alltag an. Im stark überarbeiteten IAHC-Dokument vom 4. Februar ist diese Wartezeit zur Empfehlung abgeschwächt worden (vgl. Recommendations for Administration and Management of gTLDs. Final Report [1997]). Ein Namensraum eigens für internationale Warenzeichen soll zudem unter .tm.int etabliert werden.

Das IAHC hält am Verständnis der Internet-Traditionalisten fest und sieht den Namensraum als öffentliche Ressource:

Therefore any administration, use and/or evolution of the Internet TLD space is a public policy issue and should be carried out in an open and public manner in the interests and service of the public. Appropriately, related public policy needs to openly balance and represent the interests of the current and future stakeholders in the Internet name space.
(Draft Specification for Administration and Management of gTLDs [1996]; Hervorh. MR)

Das Wort stakeholders (eigentlich: Eigentümer einer Parzelle), ein Gegenbegriff zum stockholder oder shareholder (vgl. zur wirtschaftswissenschaftlichen Debatte Buono & Nichols [1990] und kritisch dazu Uyl [1992]), erinnert an Zeiten des gold rush im Wild West, an Siedler, die ihre claims abstecken und gegen Konkurrenten verteidigen. Auch im namespace scheint also die Metaphorik des Raumes durch, die bereits mit prominenten Begriffen wie cyberspace besetzt ist und ein Kernstück der konservativ inspirierten Rhetorik darstellt, wie sie exemplarisch in der Magna Charta for the Knowledge Age (Dyson et al. [1994]) zu finden ist.

Der IAHC-Vorschlag ist in gewisser Weise ein Versuch, das Monopoleigentum am Namensraum selbst - wie es NSI oft zugeschrieben wird - wieder abzuschaffen: Das Kerngeschäft der Registratoren des neuen Typs wird nicht mehr der Handel mit Netznamen sein, sondern die Dienstleistung, eine Datenbank zu verwalten und für den Nutzer Daten einzutragen.

Dieser Entmonopolisierung und Differenzierung dient auch der Plan, ,,echte`` root servers für die root zone ,,.`` einzurichten und diese Funktion vom Domain Name Service (DNS) für die generischen TLDs (wie .com) zu trennen (siehe Abschnitt 3.4). Die derzeit faktisch von einer kommerziellen Firma namens NSI ausgeübte Kontrolle über die Wurzel des Namensraums, zunehmend als problematisch angesehen, geht damit wieder in die Hände der IANA über. Während versucht wird, den Namensraum selbst in die öffentliche Sphäre zurückzuholen, soll andererseits die Registrierung als Dienstleistung nach den Kriterien von Markt, Konkurrenz und Wettbewerb organisiert werden.

Den Internet-Traditionen verhaftet bleibt der IAHC-Plan auch, wenn er (zunächst) nur inkrementelle Veränderungen am DNS nahelegt, der als kritisch für die Funktionsfähigkeit des Internet betrachtet wird. Sieben neue gTLDs sind, verglichen mit der Zahl von 150 im Draft Postel, eine konservative Wahl. Hier folgt das IAHC der Internet-typischen Kombination aus überschaubaren und kalkulierbaren, aber schnellen Veränderungen und Experimenten auf dem Netz selbst.


next up previous contents
Next: Wo policy durch die Up: FS II 97-104 Identität Previous: Aktuelle Probleme des DNS

Martin Recke
Fri May 9 18:33:56 MET DST 1997