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@home im Datenraum: fremde Heimat Netzwelt
  Zukünfte, Nr. 25, Oktober 1998

Ute Hoffmann , 10/98

  Sprungbrett
1  endlosschleife
2  lebenswelt netz
3  das möblierte Zimmer
4  selbstportraits
5  virtuelle gemeinschaften
6  wanderungen in die fremde
7  endlosschleife

 

  Heimat konstituiert sich über Orte, Sprache und Gemeinschaft. Das muß nicht der Geburtsort, die Muttersprache und der Kegelclub sein. Eine Heimat läßt sich unter vielen Umständen finden, sofern diese Bewohnbarkeit und Kommunikation mit anderen erlauben. Aber gilt das auch für den Cyberspace? Vernetzung löst die territorialen Dimensionen von Orten auf. Jeder Austausch wird zum Datenaustausch. Kritiker wie Neil Postman postulieren, daß es im Netz keine Gemeinschaft im herkömmlichen Sinn geben kann. - Eine kleine Phänomenologie der fremden Heimat Netzwelt.

1 endlosschleife
  "'Die Matrix hat ihre Wurzeln in primitiven Videospielen', sagte der Sprecher, 'in frühen Computergrafikprogrammen und militärischen Experimenten mit Schädelelektroden. (...) Cyberspace. Unwillkürliche Halluzination, täglich erlebt von Milliarden Berechtigten in allen Ländern. (...) Grafische Wiedergabe abstrahierter Daten aus den Banken sämtlicher Computer im menschlichen System. Unvorstellbare Komplexität. Lichtzeilen, in den Nicht-Raum des Verstandes gepackt, gruppierte Datenpakete. Wie die fliehenden Lichter einer Stadt ...'
'Was ist das?' fragte Molly, als Case den Kanalwahlschalter betätigte.
'Kinderprogramm.'"

In dieser vielzitierten, meist aus dem erzählerischen Kontext gerissenen Schlüsselpassage seines Romans Neuromancer (1984) läßt William Gibson den Cyberspace von einem Fernsehsprecher im Kinderprogramm erklären. Eine Reminiszenz an seinen realweltlichen Ursprung? In einem Interview rekapituliert Gibson die Geschichte seiner Inspiration:

"Was hat Sie auf die Idee gebracht, den Cyberspace zu erfinden?"
"Ich kam darauf, als ich Kids bei Videospielen beobachtete. Ich spazierte durch die Granville Street, den 'Strip' von Vancouver. Als ich in eine Spielhalle reinschaute, konnte ich den Kids anhand ihrer vertieften Haltung ansehen, wie hin und weg sie waren. Es war wie eine Feed-back-Schlinge, Photonen wanderten vom Bildschirm in die Augen, die Neuronen wanderten durch den Körper, die Elektronen wanderten durch den Computer. Und diese Kids glaubten offensichtlich an den Space, den die Spiele projizierten. Jeder, der mit Computern arbeitet, glaubt intuitiv anscheinend an einen echten Raum hinterm Bildschirm."

Gibson hatte erklärtermaßen zu dem Zeitpunkt, als er Anfang der 80er Jahre auf das Cyberspace-Konzept stieß, von Computern keine Ahnung. Ihm kam es vor allem auf die narrativen Vorzüge des Cyberspace an. Er gestattete nämlich vielerlei Schachzüge, so Gibson,"weil die Charaktere sich in sichtbare Realitäten stecken ließen." Trotz - oder vielleicht gerade wegen - der uninformierten und naiven Haltung seines Autors Computern gegenüber inspirierte Neuromancer eine nennenswerte Zahl von Entwicklern dadurch, daß hier, wie es der SF-Kritiker Darko Suvin nannte, eine "neue Struktur des Fühlens" zum Ausdruck kam. Technik erscheint nicht länger als etwas, das außerhalb des Körpers liegt. Vielmehr lösen sich die Grenzen zwischen (Informations-)Technik und Körper auf.

Cyberspace mutierte zum popularisierenden Generalnenner für Computersimulationen dreidimensionaler Räume, die mittels Datenhelm und -handschuh "betreten" werden konnten. Virtual Reality-Anwendungen in diesem Sinne beruhen auf sensorischer Immersion: die Nutzerin "taucht" gewissermaßen in die Simulation "ein". Das Cyberspace-Konzept wurde aber nicht nur von der VR-Community aufgegriffen, sondern auch von den Nutzern des Internet, der Mailboxen und Online-Dienste. Cyberspace im Horizont der realexistierenden Matrix Ende der 80er Jahre meinte Konnektivität: das Angeschlossen-Sein per Telefon und Modem oder Datenleitung an eine kommunikative Lebenswelt jenseits des real life. Cyberspace wurde zur Chiffre für die Erfahrung des Computers als Medium: "Inside the little box are other people." (Sandy Stone)

2 lebenswelt netz
  Die Phänomenologie der Lebenswelt unterscheidet "primäre" und "sekundäre Wirkzonen". Innerhalb der Realwelt ist die primäre Wirkzone bestimmt durch die Reichweite des leiblichen Nahbereichs. Präsenz in der Netzwelt beginnt an den Knoten des Netzes. Primäre Wirkzone im Cyberspace ist der lokale Netzwerkrechner mit seinen Möglichkeiten und Beschränkungen. Standort und Fenster zum Netz sind dabei vor allem das Heimatverzeichnis und die Homepage. Die rund um die einzelnen Netzdienste entstandenen virtuellen Gemeinschaften bilden eine "sekundäre Wirkzone".
3 das möblierte Zimmer
  Bei Mehrbenutzersystemen wie Unix oder Linux haben traditionell alle Nutzer ein privates Heimatverzeichnis. Nach dem Login führt der erste Weg automatisch ins /home Verzeichnis des Systems. Da die Systemverwalterin beim Einrichten eines Accounts eine Standardausstattung mit Initialisierungsdateien bereitstellt, gleicht das Heimatverzeichnis, wie es in einem Linux-Anwenderhandbuch heißt, einem "möblierten Zimmer". Jede Nutzerin kann "ihr" Home Directory nach eigenen Vorlieben und Anforderungen weiter ausgestalten. Ein Listing zeigt die "Einrichtung", den Inhalt des eigenen - aber auch den eines fremden - Heimatverzeichnisses an. Die Grundausstattung eines Home Directory schaut etwa so aus:
$ ls -F ~
./              .bash_login   .seyon/     Mail/
..//            .bash_logut   .tcshrc     News/
.Xmodmap        .bashrc       .term/      bin/
.bash_history   .emacs        .xinitrc    public/
$ _
Ein solches Heimatverzeichnis ist eine Netzwelt im kleinen. Neben den individuellen Initialisierungsdatein - erkennbar am Punkt am Anfang des Dateinamens - befinden sich dort etwa im public Verzeichnis Datein, die anderen Systembenutzern zugänglich sein sollen. Im Mail Verzeichnis wird die persönliche Email aufbewahrt. News enthält die Liste der subskribierten Usenet Newsgruppen.

Ein ganz normaler Tag im Leben einer typischen Unixnutzerin könnte so beginnen: "I read netnews right after my mail most mornings." (The Jargon File) Über Email und Newsgruppen kann die Nutzerin mit anderen über das Netz interagieren. Sie kann auch eine aus dem Netz abrufbare Selbstbeschreibung von sich bereitstellen und umgekehrt ihrerseits per Fernabfrage etwas über andere Nutzer erfahren, indem sie diese "fingert". Auf diese Weise erhält sie nicht nur Angaben zur Person, sondern beispielsweise auch darüber, ob die "gefingerte" Person gerade am Netz ist oder wann sie das letzte Mal ihre Mail gelesen hat.

>finger jillian
Login: jillian                       Name: Jillian-Beth Stamos-Kaschke
Directory: /home/jillian             Shell: /bin/tcsh
On since Fri Oct  9 15:43 (MET DST) on tty3   29 minutes 15 seconds idle
On since Fri Oct  9 15:42 (MET DST) on tty4   8 seconds idle
On since Fri Oct  9 16:06 (MET DST) on tty2   42 seconds idle
New mail received Fri Oct  9 16:19 1998 (MET DST)
     Unread since Fri Oct  9 15:43 1998 (MET DST)
Project:
---------BEGIN GEEK CODE BLOCK---------
GH d--- s--:+>: a- C+++ UL+ P+ L+ E--- W++$ N+++$ o-- K++ w++++ O-
M-- V-- PS+++ PE-- Y+ PGP-- t+ 5 X- R tv++ b++++ DI+++ D++ G++ e* h r++ y+
---------END GEEK CODE BLOCK-----------
Plan:
if you treat a woman like a dog she'll piss on you
Angaben zur Person können im Klartext oder - wie im obigen Beispiel - verschlüsselt gemacht werden. Solche Chiffrierungen gehören - wie ein spezieller Jargon, zahllose Akronyme oder die Emoticons :-) - zur Sprache des Netzes als kommunikativer Lebenswelt. Nicht alle verstehen und verwenden denselben "Code" - aber das ist in der Realwelt ja nicht anders.

Wer vor der Existenz des WWW visuelle Informationen übermitteln wollte, mußte eine ASCII-Grafik erzeugen. Das folgende, von Sabine Helmers übernommene "Bild" zirkulierte in einem Mailbox-Brett des Chaos Computer Club, nachdem jemand gefragt hatte: "Mich wuerde mal interessieren, in welchem durchschnittlichen Zustand das Zimmer sich befindet, in dem der Rechner steht, auf dem ihr gerade diese Mail zu Augen bekommt."

+-------------------------+---------------+---+
         | noch'n schrank        |1|               |#8#|
         |-------+---------------+ |      3        |###|
         | Bett\ | ################+---------------+###|
         | Matr  | #######################*#########+-+| <- 2
         |  aze  |                         #########+-+|
         |       | # #######+-----+-----+--------+ +--+|
         +-------+ # #######|  4  |  5  |   6    | |7 ||
       Tu|########## #######+-----+-----+--------+ +--+|
       ere\          ##################################|
         |###########################################9#|
         |+-------------------------------------------+|
         |        maechtiger einbauschrank            ||
         |+-------------------------------------------+|
         +---------------------------------------------+

         1   - Big Tower (offen 'tuerlich, da man oefter mal was
             auswechseln musz) [wie die anderen comp's auch]
Heimatverzeichnisse, Geek Code und ASCII-Grafiken entstammen der "guten alten Zeit", als Unixsysteme an den Netzknoten vorherrschend waren und die text-basierte Kommunikation das Bild des Cyberspace bestimmte. Sie repräsentieren eine Netzwelt, die zwar in gewissem Umfang weiterlebt, jedoch zunehmend in den Hintergrund getreten ist, seit sich mit dem Aufkommen des World Wide Web das Gesicht des Netzes und seiner Nutzerschaft erheblich gewandelt hat. Das Netz ist bunter geworden und Netzpräsenz wird zunehmend verknüpft mit der eigenen Homepage. Ist das Home Directory ein Arbeitsverzeichnis, dient die Homepage vor allem der Selbstdarstellung.
4 selbstportraits
  Das Selbstportrait kann so unterschiedlich ausfallen wie es die Personen, Organisationen oder Unternehmen sind, die die Homepage betreiben, und die Zwecke, denen sie dient. Bei privaten Seiten lassen sich grob zwei Motive unterscheiden: viele entstehen aus dem Spaß oder der Notwendigkeit heraus, (auch) im Netz eine persönliche Duftmarke zu setzen, andere werden zur Veröffentlichung von nützlichen, politischen, etc. "Inhalten" oder für gemeinsame Aktivitäten genutzt. Elabortierte, mit den neuesten HTML-Features versehene Kreationen aus Text, Bild und Ton stehen Seiten gegenüber, die nur das nötigste bieten - ein paar Angaben zur Person, ihrer Tätigkeit und eine Liste von bevorzugten Links. Manche Seiten präsentieren sich steif und formell, andere geben bis an die Grenze der Peinlichkeit Auskünfte über persönliche Lebensumstände und Dramen. Die allermeisten Homepages haben irgendeine Art von Homo-Logo:

Wie die eigene Wohnung oder das eigene Haus spiegelt die Homepage die Konstruktion einer Identität durch die Anordnung von selbst hergestellten oder erworbenen, funktionalen und dekorativen Objekten. Solche bedeutungsvollen Objekte können persönlicher Art sein wie eigene Fotos und selbstverfaßte Texte. Auch Hyperlinks haben häufig einen persönlichen Bezug, beispielsweise zum Wohnort oder zum Hobby der Autorin. Manche Objekte dienen dem Gebrauch wie etwa der Link zu einer Suchmaschine. Solche Objekte können sich als Hilfsmittel für den Eigentümer der Homepage oder als Angebot an die Besucherin der Seite darstellen - wie der eigene Stuhl, den man einem Gast anbietet.

Über die Zeit läßt sich eine wachsende Kommodifizierung der Gestaltungselemente und Identitätsrequisiten beobachten. Bei Bildern und Anwendungen handelt es sich immer seltener um Eigenkreationen, stattdessen kommen sie von woanders her. Icons lassen sich aus Clip-Art-Sammlungen downloaden. Gästebücher müssen nicht mehr eigenhändig programmiert werden, sondern lassen sich als externe Dienstleistung installieren. Moden - mit den komplementären Antimoden - breiten sich aus und verschwinden wieder im Zuge immer neuer HTML-Versionen. Manche Seiten werden mit Frames, Tables oder Java Applets geradezu süberladen, während andere ein großes Schild tragen "This site is frames free." Neue Features gelten solange als cool, wie sie nicht jeder hat.

the web hall of fame Die Suchmaschine AltaVista zählte laut Rainer Rilling im März 1998 21,3 millionenfach das Wort "Homepage". Schätzungen der Gesamtzahl schwankten im Sommer 1997 zwischen 80 und 150 Millionen Seiten. Um sich in der Masse noch abzuheben, bedarf es einer permanenten Verfeinerung und Verschönerung der eigenen Seite. €sthetisierung reicht als erfolgreiche Strategie der Bindung von Aufmerksamkeit längst nicht mehr aus. Als besonders wirkungsvoll erweist sich das Spiel mit dem Voyeurismus des Betrachters. Eine US-amerikanische Studentin installierte auf dem Computer in ihrem Zimmer eine Kamera. In regelmäßigen Abständen nimmt diese "jennicam" ein Foto des Raums auf. Das Foto erscheint umgehend im Web: man sieht Jenni vor dem Computer sitzen und arbeiten, mit ihrer Katze spielen oder schlafen.

Andere schließen ihre Haushaltsgeräte ans Netz. Jedesmal wenn Alex seinen Kühlschrank öffnet, startet ein Script und verzeichnet auf seiner Homepage, wann und wie lange die Tür geöffnet ist. Seit kurzem läßt Alex die Besucher seiner Seite darüber abstimmen, mit welchem Musikstück ihn sein Wecker am Morgen aufwecken soll. Urbild für die Gerätschaften im Netz ist die Kaffemaschine in einem Computerlabor an der Universität Cambridge.

Xcoffee wurde Anfang der 90er Jahre entwickelt, damit alle Laborangehörigen über ihren Abeitsplatzrechner stets den Kaffeestand der einzigen Kanne überprüfen konnten. Seit die Kaffeemaschine im Web ist, hat sie hunderttausende Besucher angezogen.

Künftig könnte eine mittels Softwareagenten personalisierte Homepage der letzten Schrei sein. Konzipiert für den kommerziellen Einsatz, dienen solche Agenten dazu, den angezeigten Inhalt einer Seite auf die jeweiligen Präferenzen der Besucher abzustimmen, beispielsweise als eine Art kundenspezifisches Schaufenster. Aber auch private Webseiten lassen sich mit virtuellen Freunden bevölkern. So werden Programme angeboten, mit denen sich unterschiedliche Charaktere erzeugen lassen, die die Besucher einer Homepage individuell begrüßen sollen. Einer dieser Charaktere ist Herr Kaiser aus der Familie der VirtualFriends:

Anstrengungungen zur Personalisierung von Webseiten durch Agenten oder der unbeobachtete Blick ins Leben einer Homepage-Autorin lassen einen grundlegenden Mangel von Webseiten deutlich werden: eine Homepage ist weitgehend statisch und bietet keine "Situationen" für interpersonale Kommunikation. Gästebücher, technisch gesehen an sich kein Wunderwerk, galten in der Anfangszeit des WWW nicht zuletzt deshalb als cool, weil sie interaktiv waren. Interaktivität aber ist eine wichtige Voraussetzung für die Bildung von Gemeinschaft.

5 virtuelle gemeinschaften
  Das WWW beruht auf einem Publikationsmodell. Für Judith Donath, als Designerin von Online-Umwelten gewissermaßen eine Innenarchitektin der Netzwelt, wurde das Web durch das Auftauchen privater Homepages zur Selbsttechnologie. Identität erwächst aber nicht nur aus dem Arrangement bedeutungsvoller Objekte auf der eigenen Seite, sondern auch aus den Verbindungen mit den Seiten anderer - daraus, welchen Nachbarschaften man angehört. Am Anfang ist eine Homepage noch ohne Anschlüsse - disconnected. Eine frischgebackene Autorin kann Hyperlinks legen, ihre Seite regelrecht bewerben und versuchen, durch eine entsprechende Gestaltung Aufmerksamkeit - auch die von Suchmaschinen - auf sich zu ziehen.

Eine "soziale Technologie" innerhalb des WWW, über die sich Anschlüsse an die eigene Homepage herstellen lassen, sind global operierende Link-Verbünde. Einer der größten Verbünde dieser Art verzeichnete im April 1998 über eine halbe Million Mitglieds-Sites und gut 40.000 "Ringe". Im Web ring sind Seiten themenbezogen untereinander vernetzt, wie beispielsweise im Sustainable Future Webring. Wie dagegen eine private Homepage von sich aus zum Kristallisationspunkt einer größeren Kommunikationsgemeinschaft werden kann, zeigt die von Carola Enning im Frühjahr 1996 ins Leben gerufene Hausfrauenseite. Diese Seite, die u.a. mit Wühltisch, Kontaktecke, Schreibstube und Club ausgestattet ist, verzeichnete zuletzt (9.10.1998) über 1000 Besuche pro Tag. Wie bei anderen virtuellen Gemeinschaften auch gibt es hier nicht nur einen harten Kern aktiver Mitglieder, sondern auch eine fluktuierende Peripherie von Gelegenheitsbesuchern.

Howard Rheingold bezeichnet als virtuelle Gemeinschaft "eine Gruppe von Menschen, die miteinander kommunizieren, die sich bis zu einem gewissen Grad untereinander kennen, in gewissem Maß Wissen und Informationen teilen und sich bis zu einer gewissen Grenze als menschliche Wesen umeinander kümmern, sich treffen und in erster Linie über Computernetzwerke miteinander kommunizieren." Diese weitgefaßte Definition läßt offen, wie Nicola Döring bemerkt, ob es sich im Einzelfall um Kleingruppen, Kollektive, soziale Netzwerke, Szenen oder Subkulturen handelt.

Die Netzforschung unterscheidet virtuelle Gemeinschaften zumeist danach, in welchem Internetdienst sie sich etablieren. Solche mediatisierten Orte der Vergemeinschaftung sind vor allem die Newsgruppen des Usenet, die "Channel" im IRC (Internet Relay Chat) oder die Spielwelten der MUDs, in denen die Nutzer eigene Zimmer und Charaktere definieren. Newsgruppen, IRC-Kanäle und MUDs sind in der Regel öffentlich zugänglich. Um vom Passanten zum Mitglied in einer der dortigen Gemeinschaften zu werden, sind allerdings regelmäßiges Engagement, Kontaktfreude und kompetente Beiträge wichtige Voraussetzugen. Von Kulturgemeinschaften kann man sprechen, wenn die Aktivitäten und Kontakte im Netz zum zentralen Sozialbezug, wie bei der Gruppe der Hacker, auf deren Initiative und Kreativität sich zahlreiche nicht-kommerzielle Software-Entwicklungsprojekte im Internet gründen.

In den frühen 90er Jahren prägte Michael Hauben das Leitbild des Netizens (zusammengesetzt aus Network + citizen) - des verantwortungsbewußten Netzbürgers einer elektronischen Weltgesellschaft. Im Hinblick auf die Gesamtheit der Netznutzer läßt sich jedoch kaum von einer Gemeinschaft bzw. Gesellschaft sui generis sprechen. Die dezentrale und offene Bauweise des Netzes fördert eher Tribalisierung denn Globalisierung, zumindest im Inneren. Das Projekt der globalen Konnektivität zielt auf die Integration aller potentiellen Nutzer und Nutzungsweisen mit der paradoxen Folge einer allmählichen Heterogenisierung des Netzes selbst. In der Netzwelt sind es bis auf weiteres vor allem die technisch fundierten Teilnahmebedingungen, die die res publica ausmachen. So gesehen, bezeichnet sich die Internet Engineering Task Force, die als Funktionsgemeinschaft mit der Weiterentwicklung der gemeinsamen Kommunikationsprotokolle befaßt ist, nicht zufällig selbst als "the community".

6 wanderungen in die fremde
  Die verschiedenen Netzdienste bilden historisch und operativ je eigene Interaktionsräume. Zunehmend ist jedoch zu beobachten, daß virtuelle Gemeinschaften sich nicht auf einen Dienst beschränken, sondern ihre Aktivitäten auf mehrere Dienste ausdehnen, wie etwa eine Newsgruppe mit eigener Homepage. Web Browser schließen ihrerseits vermehrt die Funktionalität einst separierter Dienste mit ein. Die Tendenz zu gleichzeitig integrierten und ausdifferenzierten Kontextsystemen im Netz zeigt sich besonders ausgeprägt bei den digitalen Städten. Digitale Städte sind einerseits ein technisches Vermittlungssystem: die einzelnen Dienste - und damit unterschiedliche Kommunikationsformen - lassen sich gleichzeitig und parallel nutzen. Andererseits stellen sie eine "soziale Architektur" dar, die von den Verbindungen her gesehen global, was die Sprache angeht national und bezogen auf den Kommunikationskontext lokal sind. In der Tradition der Bürgernetze verankert, gründete sich 1994 als erste dieser Netzstädte de digitale stad Amsterdam, die 1996 auf über 30.000 "Bewohner" angewachsen war.

Über die Sadtmetapher reinszeniert sich das Netz als Sammelpunkt des Ungleichen und Ungleichzeitigen, als Terrain des distanzierten Umgangs, des Flanierens und Konsumierens - als Umgebung, in der Fremde mit Fremden zusammentreffen. Die Stadtmetapher ermöglicht es, der Idee nach, das Netz als Wanderung in die Fremde aufzufassen, als Raum von Erkundungen, der im Prinzip offen und damit unkalkulierbar ist. Dazu Georg Simmel in seiner Soziologie des Raums: "Gerade weil das Wandern an und für sich individualisiert, weil es den Menschen auf sich selbst stellt, treibt es ihn zu engem, jenseits der sonstigen Unterschiede stehendem Zusammenschluß. Indem es den Individuen die Stützen der Heimat, zugleich aber deren feste Abstufungen nimmt, legt es ihnen gerade nahe, die Schicksale der Wandernden, Vereinsamung und Haltlosigkeit, durch möglichen Zusammenschluß zu einer mehr als individuellen Einheit zu ergänzen."

7 endlosschleife
  Mitte der 90er Jahre verschmelzen Internet und Cyberspace zum gigantischen elektronischen Marktplatz der Zukunft. Die neuen Zauberworte sind virtuelle Wirtschaft, Cyberlaw und E-Cash. Der Internet-Hype gebiert mit The Net, Johnny Mnemonic und Hackers im Jahr 1995 drei einschlägige Hollywood-Filme, die sich an der Kinokasse alle als Flop erweisen. Cyberspace ist ein alter Hut. Der kurze Sommer des Netzes ist vorbei. Dafür gibt es jetzt http://heimat de.

 

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